Rücktritt entscheidend wurden, ist mir erinnerlich, daß es die Streitigkeiten mit dem Oberkirchenrath und den ihm nahe stehenden Geistlichen waren, welche den Bruch mit Sr. Majestät herbeiführten, nicht ohne daß aus der Zuspitzung der Entwicklung des vorhandenen Streitmaterials gegen Falk sich die Mitwirkung geschickterer Hände und feinerer Arbeit erkennen ließ, als den formellen Rathgebern des Kaisers in seiner Eigenschaft als summus episcopus eigen war.
IV.
Nach seinem Abgange war ich vor die Frage gestellt, ob und wie weit ich bei der Wahl eines neuen Cultuscollegen die mehr juristische als politische Linie Falks im Auge behalten, oder meinen mehr gegen Polonismus als gegen Katholicismus gerichteten Auffassungen ausschließlich folgen sollte. In dem Culturkampfe war die parlamentarische Regirungspolitik durch den Abfall der Fortschrittspartei und ihren Uebergang zum Centrum gelähmt, indem sie im Reichstage einer durch gemeinsame Feindschaft zu¬ sammengehaltnen Majorität von Demokraten aller Schattirungen, im Bunde mit Polen, Welfen, Franzosenfreunden und Ultramon¬ tanen, ohne Unterstützung durch die Conservativen gegenüberstand. Die Consolidirung unsrer neuen Reichseinheit wurde durch diese Zustände gehemmt und, wenn sie dauerten oder sich verschärften, gefährdet. Der nationale Schaden konnte auf diesem Wege größer werden, als auf dem eines Verzichtes auf den meiner Ansicht nach entbehrlichen Theil der Falkschen Gesetzgebung. Für nicht entbehrlich hielt ich die Beseitigung der Verfassungsartikel, die Kampfmittel gegen den Polonismus und vor allen die Herr¬ schaft des Staates über die Schule. Wahrten wir die, so be¬ hielten wir aus dem Culturkampfe beim Frieden immer einen werthvollen Siegespreis im Vergleich mit den Zuständen vor Aus¬ bruch des Kampfes. Ueber die Grenze, bis zu der wir der Curie
Vierundzwanzigſtes Kapitel: Culturkampf.
Rücktritt entſcheidend wurden, iſt mir erinnerlich, daß es die Streitigkeiten mit dem Oberkirchenrath und den ihm nahe ſtehenden Geiſtlichen waren, welche den Bruch mit Sr. Majeſtät herbeiführten, nicht ohne daß aus der Zuſpitzung der Entwicklung des vorhandenen Streitmaterials gegen Falk ſich die Mitwirkung geſchickterer Hände und feinerer Arbeit erkennen ließ, als den formellen Rathgebern des Kaiſers in ſeiner Eigenſchaft als ſummus episcopus eigen war.
IV.
Nach ſeinem Abgange war ich vor die Frage geſtellt, ob und wie weit ich bei der Wahl eines neuen Cultuscollegen die mehr juriſtiſche als politiſche Linie Falks im Auge behalten, oder meinen mehr gegen Polonismus als gegen Katholicismus gerichteten Auffaſſungen ausſchließlich folgen ſollte. In dem Culturkampfe war die parlamentariſche Regirungspolitik durch den Abfall der Fortſchrittspartei und ihren Uebergang zum Centrum gelähmt, indem ſie im Reichstage einer durch gemeinſame Feindſchaft zu¬ ſammengehaltnen Majorität von Demokraten aller Schattirungen, im Bunde mit Polen, Welfen, Franzoſenfreunden und Ultramon¬ tanen, ohne Unterſtützung durch die Conſervativen gegenüberſtand. Die Conſolidirung unſrer neuen Reichseinheit wurde durch dieſe Zuſtände gehemmt und, wenn ſie dauerten oder ſich verſchärften, gefährdet. Der nationale Schaden konnte auf dieſem Wege größer werden, als auf dem eines Verzichtes auf den meiner Anſicht nach entbehrlichen Theil der Falkſchen Geſetzgebung. Für nicht entbehrlich hielt ich die Beſeitigung der Verfaſſungsartikel, die Kampfmittel gegen den Polonismus und vor allen die Herr¬ ſchaft des Staates über die Schule. Wahrten wir die, ſo be¬ hielten wir aus dem Culturkampfe beim Frieden immer einen werthvollen Siegespreis im Vergleich mit den Zuſtänden vor Aus¬ bruch des Kampfes. Ueber die Grenze, bis zu der wir der Curie
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Vierundzwanzigſtes Kapitel: Culturkampf.
Rücktritt entſcheidend wurden, iſt mir erinnerlich, daß es die
Streitigkeiten mit dem Oberkirchenrath und den ihm nahe ſtehenden
Geiſtlichen waren, welche den Bruch mit Sr. Majeſtät herbeiführten,
nicht ohne daß aus der Zuſpitzung der Entwicklung des vorhandenen
Streitmaterials gegen Falk ſich die Mitwirkung geſchickterer Hände
und feinerer Arbeit erkennen ließ, als den formellen Rathgebern
des Kaiſers in ſeiner Eigenſchaft als ſummus episcopus eigen war.
IV.
Nach ſeinem Abgange war ich vor die Frage geſtellt, ob und
wie weit ich bei der Wahl eines neuen Cultuscollegen die mehr
juriſtiſche als politiſche Linie Falks im Auge behalten, oder meinen
mehr gegen Polonismus als gegen Katholicismus gerichteten
Auffaſſungen ausſchließlich folgen ſollte. In dem Culturkampfe
war die parlamentariſche Regirungspolitik durch den Abfall der
Fortſchrittspartei und ihren Uebergang zum Centrum gelähmt,
indem ſie im Reichstage einer durch gemeinſame Feindſchaft zu¬
ſammengehaltnen Majorität von Demokraten aller Schattirungen,
im Bunde mit Polen, Welfen, Franzoſenfreunden und Ultramon¬
tanen, ohne Unterſtützung durch die Conſervativen gegenüberſtand.
Die Conſolidirung unſrer neuen Reichseinheit wurde durch dieſe
Zuſtände gehemmt und, wenn ſie dauerten oder ſich verſchärften,
gefährdet. Der nationale Schaden konnte auf dieſem Wege größer
werden, als auf dem eines Verzichtes auf den meiner Anſicht nach
entbehrlichen Theil der Falkſchen Geſetzgebung. Für nicht
entbehrlich hielt ich die Beſeitigung der Verfaſſungsartikel,
die Kampfmittel gegen den Polonismus und vor allen die Herr¬
ſchaft des Staates über die Schule. Wahrten wir die, ſo be¬
hielten wir aus dem Culturkampfe beim Frieden immer einen
werthvollen Siegespreis im Vergleich mit den Zuſtänden vor Aus¬
bruch des Kampfes. Ueber die Grenze, bis zu der wir der Curie
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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/156>, abgerufen am 22.02.2025.
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