Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.Vierundzwanzigstes Kapitel: Culturkampf. Rede das Wort ergriff1). In Posen und Westpreußen warennach Ausweis amtlicher Berichte Tausende von Deutschen und ganze Ortschaften, die in der vorigen Generation amtlich deutsch waren, durch die Einwirkung der katholischen Abtheilung polnisch erzogen und amtlich "Polen" genannt worden. Nach der Com¬ petenz, welche der Abtheilung verliehn worden war, ließ sich ohne Aushebung derselben hierin nicht abhelfen. Diese Aufhebung war also nach meiner Ueberzeugung als nächstes Ziel zu erstreben. Da¬ gegen war natürlich der Radziwill'sche Einfluß am Hof, nicht natürlich mein Cultus-College, dessen Frau und Ihre Majestät die Königin. Der Chef der katholischen Abtheilung war damals Krätzig, der früher Radziwill'scher Privatbeamter gewesen und dies im Staatsdienst auch wohl geblieben war. Der Träger des Radzi¬ will'schen Einflusses war der jüngere beider Brüder Fürst Boguslav, auch Stadtverordneter von Einfluß in Berlin. Der ältere, Wil¬ helm, und sein Sohn Anton, waren zu ehrliche Soldaten, um sich auf polnische Intrigen gegen den König und dessen Staat ein¬ zulassen. Die katholische Abtheilung des Cultusministeriums, ur¬ sprünglich gedacht als eine Einrichtung, vermöge deren katholische Preußen die Rechte ihres Staates in den Beziehungen zu Rom vertreten sollten, war durch den Wechsel der Mitglieder nach und nach zu einer Behörde geworden, die inmitten der preußi¬ schen Bürokratie die römischen und polnischen Interessen gegen Preußen vertrat. Ich habe mehr als einmal dem Könige ausein¬ ander gesetzt, daß diese Abtheilung schlimmer sei als ein Nuntius in Berlin. Sie handle nach Anweisungen, die sie aus Rom empfinge, vielleicht nicht immer vom Papste, und sei neuerdings hauptsächlich polnischen Einflüssen zugänglich geworden. In dem Radziwill'schen Hause seien die Damen deutschfreundlich, der ältere Bruder Wil¬ helm durch das Ehrgefühl des preußischen Offiziers in derselben 1) Vgl. die Aeußerung in der Rede vom 28. Januar 1886, Politische
Reden XI 438. Vierundzwanzigſtes Kapitel: Culturkampf. Rede das Wort ergriff1). In Poſen und Weſtpreußen warennach Ausweis amtlicher Berichte Tauſende von Deutſchen und ganze Ortſchaften, die in der vorigen Generation amtlich deutſch waren, durch die Einwirkung der katholiſchen Abtheilung polniſch erzogen und amtlich „Polen“ genannt worden. Nach der Com¬ petenz, welche der Abtheilung verliehn worden war, ließ ſich ohne Aushebung derſelben hierin nicht abhelfen. Dieſe Aufhebung war alſo nach meiner Ueberzeugung als nächſtes Ziel zu erſtreben. Da¬ gegen war natürlich der Radziwill'ſche Einfluß am Hof, nicht natürlich mein Cultus-College, deſſen Frau und Ihre Majeſtät die Königin. Der Chef der katholiſchen Abtheilung war damals Krätzig, der früher Radziwill'ſcher Privatbeamter geweſen und dies im Staatsdienſt auch wohl geblieben war. Der Träger des Radzi¬ will'ſchen Einfluſſes war der jüngere beider Brüder Fürſt Boguslav, auch Stadtverordneter von Einfluß in Berlin. Der ältere, Wil¬ helm, und ſein Sohn Anton, waren zu ehrliche Soldaten, um ſich auf polniſche Intrigen gegen den König und deſſen Staat ein¬ zulaſſen. Die katholiſche Abtheilung des Cultusminiſteriums, ur¬ ſprünglich gedacht als eine Einrichtung, vermöge deren katholiſche Preußen die Rechte ihres Staates in den Beziehungen zu Rom vertreten ſollten, war durch den Wechſel der Mitglieder nach und nach zu einer Behörde geworden, die inmitten der preußi¬ ſchen Bürokratie die römiſchen und polniſchen Intereſſen gegen Preußen vertrat. Ich habe mehr als einmal dem Könige ausein¬ ander geſetzt, daß dieſe Abtheilung ſchlimmer ſei als ein Nuntius in Berlin. Sie handle nach Anweiſungen, die ſie aus Rom empfinge, vielleicht nicht immer vom Papſte, und ſei neuerdings hauptſächlich polniſchen Einflüſſen zugänglich geworden. In dem Radziwill'ſchen Hauſe ſeien die Damen deutſchfreundlich, der ältere Bruder Wil¬ helm durch das Ehrgefühl des preußiſchen Offiziers in derſelben 1) Vgl. die Aeußerung in der Rede vom 28. Januar 1886, Politiſche
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Vierundzwanzigſtes Kapitel: Culturkampf.
Rede das Wort ergriff 1). In Poſen und Weſtpreußen waren
nach Ausweis amtlicher Berichte Tauſende von Deutſchen und
ganze Ortſchaften, die in der vorigen Generation amtlich deutſch
waren, durch die Einwirkung der katholiſchen Abtheilung polniſch
erzogen und amtlich „Polen“ genannt worden. Nach der Com¬
petenz, welche der Abtheilung verliehn worden war, ließ ſich ohne
Aushebung derſelben hierin nicht abhelfen. Dieſe Aufhebung war
alſo nach meiner Ueberzeugung als nächſtes Ziel zu erſtreben. Da¬
gegen war natürlich der Radziwill'ſche Einfluß am Hof, nicht
natürlich mein Cultus-College, deſſen Frau und Ihre Majeſtät
die Königin. Der Chef der katholiſchen Abtheilung war damals
Krätzig, der früher Radziwill'ſcher Privatbeamter geweſen und dies
im Staatsdienſt auch wohl geblieben war. Der Träger des Radzi¬
will'ſchen Einfluſſes war der jüngere beider Brüder Fürſt Boguslav,
auch Stadtverordneter von Einfluß in Berlin. Der ältere, Wil¬
helm, und ſein Sohn Anton, waren zu ehrliche Soldaten, um ſich
auf polniſche Intrigen gegen den König und deſſen Staat ein¬
zulaſſen. Die katholiſche Abtheilung des Cultusminiſteriums, ur¬
ſprünglich gedacht als eine Einrichtung, vermöge deren katholiſche
Preußen die Rechte ihres Staates in den Beziehungen zu Rom
vertreten ſollten, war durch den Wechſel der Mitglieder nach
und nach zu einer Behörde geworden, die inmitten der preußi¬
ſchen Bürokratie die römiſchen und polniſchen Intereſſen gegen
Preußen vertrat. Ich habe mehr als einmal dem Könige ausein¬
ander geſetzt, daß dieſe Abtheilung ſchlimmer ſei als ein Nuntius in
Berlin. Sie handle nach Anweiſungen, die ſie aus Rom empfinge,
vielleicht nicht immer vom Papſte, und ſei neuerdings hauptſächlich
polniſchen Einflüſſen zugänglich geworden. In dem Radziwill'ſchen
Hauſe ſeien die Damen deutſchfreundlich, der ältere Bruder Wil¬
helm durch das Ehrgefühl des preußiſchen Offiziers in derſelben
1) Vgl. die Aeußerung in der Rede vom 28. Januar 1886, Politiſche
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