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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.

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Vierundzwanzigstes Kapitel: Culturkampf.
gehende, daß bezüglich unsres Schicksals nach dem irdischen Tode
die Bürgschaften für die Katholiken stärker seien, als für andre,
weil, angenommen, daß die katholischen Dogmen irrthümlich seien,
das Schicksal der katholischen Seele nicht schlimmer ausfalle, wenn
der evangelische Glaube sich als der richtige erweisen sollte, im
umgekehrten Falle aber die Zukunft der ketzerischen Seele eine ent¬
setzliche sei. Er knüpfte daran die Frage: "Glauben Sie etwa,
daß ein Katholik nicht selig werden könne?" Ich antwortete: "Ein
katholischer Laie unbedenklich; ob ein Geistlicher, ist mir zweifel¬
haft; in ihm steckt ,die Sünde wider den heiligen Geist', und der
Wortlaut der Schrift steht ihm entgegen." Der Bischof beantwortete
diese in scherzhaftem Tone gegebene Erwiderung lächelnd durch eine
höflich ironische Verbeugung.

Nachdem unsre Verhandlungen resultatlos abgelaufen waren,
wurde die Neubildung der 1860 gegründeten, jetzt Centrum ge¬
nannten katholischen Fraction mit steigendem Eifer besonders von
Savigny und Mallinckrodt betrieben. An dieser Fraction habe ich
die Beobachtung zu machen gehabt, daß, wie in Frankreich so auch
in Deutschland, der Papst schwächer ist, als er erscheint, jedenfalls
nicht so stark ist, daß wir seinen Beistand in unsern Angelegen¬
heiten durch den Bruch mit den Sympathien andrer mächtiger Ele¬
mente erkaufen durften. Von dem desaveu des Cardinals Antonelli
in dem Briefe an den Bischof Ketteler vom 5. Juni 1871, von der
Centrumsmission des Fürsten Löwenstein-Wertheim, von der Unbot¬
mäßigkeit des Centrums bei Gelegenheit des Septennats habe ich
den Eindruck erhalten, daß der Partei- und Fractionsgeist, den
die Vorsehung dem Centrum an Stelle des Nationalsinnes andrer
Völker verliehn hat, stärker ist als der Papst, nicht auf einem
Concil, ohne Laien, aber auf dem Schlachtfelde parlamentarischer
und publicistischer Kämpfe innerhalb Deutschlands. Ob das auch
der Fall sein würde, wenn der päpstliche Einfluß sich ohne Rücksicht
auf concurrirende Kräfte, namentlich den Jesuitenorden, geltend
zu machen vermöchte, lasse ich, ohne an den plötzlichen Tod des

Vierundzwanzigſtes Kapitel: Culturkampf.
gehende, daß bezüglich unſres Schickſals nach dem irdiſchen Tode
die Bürgſchaften für die Katholiken ſtärker ſeien, als für andre,
weil, angenommen, daß die katholiſchen Dogmen irrthümlich ſeien,
das Schickſal der katholiſchen Seele nicht ſchlimmer ausfalle, wenn
der evangeliſche Glaube ſich als der richtige erweiſen ſollte, im
umgekehrten Falle aber die Zukunft der ketzeriſchen Seele eine ent¬
ſetzliche ſei. Er knüpfte daran die Frage: „Glauben Sie etwa,
daß ein Katholik nicht ſelig werden könne?“ Ich antwortete: „Ein
katholiſcher Laie unbedenklich; ob ein Geiſtlicher, iſt mir zweifel¬
haft; in ihm ſteckt ,die Sünde wider den heiligen Geiſt', und der
Wortlaut der Schrift ſteht ihm entgegen.“ Der Biſchof beantwortete
dieſe in ſcherzhaftem Tone gegebene Erwiderung lächelnd durch eine
höflich ironiſche Verbeugung.

Nachdem unſre Verhandlungen reſultatlos abgelaufen waren,
wurde die Neubildung der 1860 gegründeten, jetzt Centrum ge¬
nannten katholiſchen Fraction mit ſteigendem Eifer beſonders von
Savigny und Mallinckrodt betrieben. An dieſer Fraction habe ich
die Beobachtung zu machen gehabt, daß, wie in Frankreich ſo auch
in Deutſchland, der Papſt ſchwächer iſt, als er erſcheint, jedenfalls
nicht ſo ſtark iſt, daß wir ſeinen Beiſtand in unſern Angelegen¬
heiten durch den Bruch mit den Sympathien andrer mächtiger Ele¬
mente erkaufen durften. Von dem désaveu des Cardinals Antonelli
in dem Briefe an den Biſchof Ketteler vom 5. Juni 1871, von der
Centrumsmiſſion des Fürſten Löwenſtein-Wertheim, von der Unbot¬
mäßigkeit des Centrums bei Gelegenheit des Septennats habe ich
den Eindruck erhalten, daß der Partei- und Fractionsgeiſt, den
die Vorſehung dem Centrum an Stelle des Nationalſinnes andrer
Völker verliehn hat, ſtärker iſt als der Papſt, nicht auf einem
Concil, ohne Laien, aber auf dem Schlachtfelde parlamentariſcher
und publiciſtiſcher Kämpfe innerhalb Deutſchlands. Ob das auch
der Fall ſein würde, wenn der päpſtliche Einfluß ſich ohne Rückſicht
auf concurrirende Kräfte, namentlich den Jeſuitenorden, geltend
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[126/0150] Vierundzwanzigſtes Kapitel: Culturkampf. gehende, daß bezüglich unſres Schickſals nach dem irdiſchen Tode die Bürgſchaften für die Katholiken ſtärker ſeien, als für andre, weil, angenommen, daß die katholiſchen Dogmen irrthümlich ſeien, das Schickſal der katholiſchen Seele nicht ſchlimmer ausfalle, wenn der evangeliſche Glaube ſich als der richtige erweiſen ſollte, im umgekehrten Falle aber die Zukunft der ketzeriſchen Seele eine ent¬ ſetzliche ſei. Er knüpfte daran die Frage: „Glauben Sie etwa, daß ein Katholik nicht ſelig werden könne?“ Ich antwortete: „Ein katholiſcher Laie unbedenklich; ob ein Geiſtlicher, iſt mir zweifel¬ haft; in ihm ſteckt ,die Sünde wider den heiligen Geiſt', und der Wortlaut der Schrift ſteht ihm entgegen.“ Der Biſchof beantwortete dieſe in ſcherzhaftem Tone gegebene Erwiderung lächelnd durch eine höflich ironiſche Verbeugung. Nachdem unſre Verhandlungen reſultatlos abgelaufen waren, wurde die Neubildung der 1860 gegründeten, jetzt Centrum ge¬ nannten katholiſchen Fraction mit ſteigendem Eifer beſonders von Savigny und Mallinckrodt betrieben. An dieſer Fraction habe ich die Beobachtung zu machen gehabt, daß, wie in Frankreich ſo auch in Deutſchland, der Papſt ſchwächer iſt, als er erſcheint, jedenfalls nicht ſo ſtark iſt, daß wir ſeinen Beiſtand in unſern Angelegen¬ heiten durch den Bruch mit den Sympathien andrer mächtiger Ele¬ mente erkaufen durften. Von dem désaveu des Cardinals Antonelli in dem Briefe an den Biſchof Ketteler vom 5. Juni 1871, von der Centrumsmiſſion des Fürſten Löwenſtein-Wertheim, von der Unbot¬ mäßigkeit des Centrums bei Gelegenheit des Septennats habe ich den Eindruck erhalten, daß der Partei- und Fractionsgeiſt, den die Vorſehung dem Centrum an Stelle des Nationalſinnes andrer Völker verliehn hat, ſtärker iſt als der Papſt, nicht auf einem Concil, ohne Laien, aber auf dem Schlachtfelde parlamentariſcher und publiciſtiſcher Kämpfe innerhalb Deutſchlands. Ob das auch der Fall ſein würde, wenn der päpſtliche Einfluß ſich ohne Rückſicht auf concurrirende Kräfte, namentlich den Jeſuitenorden, geltend zu machen vermöchte, laſſe ich, ohne an den plötzlichen Tod des

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/150>, abgerufen am 23.11.2024.