in den Kauf zu nehmen, die das Ergebniß eines öffentlichen Ein¬ tretens für die päpstlichen Interessen bezüglich Roms sein mußte.
In den Wechselfällen des Krieges ist unter den streitenden italienischen Elementen Anfangs der König als der für uns mög¬ licherweise gefährliche Gegner erschienen. Später ist uns die republi¬ kanische Partei unter Garibaldi, die uns bei Ausbruch des Krieges ihre Unterstützung gegen Napoleonische Velleitäten des Königs in Aussicht gestellt hatte, auf dem Schlachtfelde in einer mehr thea¬ tralischen als praktischen Erregtheit und in militärischen Leistungen entgegengetreten, deren Formen unsre soldatischen Auffassungen verletzten. Zwischen diesen beiden Elementen lag die Sympathie, welche die öffentliche Meinung der Gebildeten in Italien für das in der Geschichte und in der Gegenwart parallele Streben des deutschen Volkes hegen und dauernd bewahren konnte, lag der nationale Instinct, der denn auch schließlich stark und praktisch genug ge¬ wesen ist, mit dem frühern Gegner Oestreich in den Dreibund zu treten. Mit dieser nationalen Richtung Italiens würden wir durch ostensible Parteinahme für den Papst und seine territorialen Ansprüche gebrochen haben. Ob und in wie weit wir dafür den Beistand des Papstes in unsern innern Angelegenheiten gewonnen haben würden, ist zweifelhaft. Der Gallicanismus erschien mir stärker, als ich ihn 1870 der Infallibilität gegenüber einschätzen konnte, und der Papst schwächer, als ich ihn wegen seiner über¬ raschenden Erfolge über alle deutschen, französischen, ungarischen Bischöfe gehalten hatte. Bei uns im Lande war das jesuitische Centrum demnächst stärker als der Papst, wenigstens unabhängig von ihm; der germanische Fractions- und Parteigeist unsrer katho¬ lischen Landsleute ist ein Element, dem gegenüber auch der päpst¬ liche Wille nicht durchschlägt.
Desgleichen lasse ich dahingestellt, ob die am 16. desselben Monats vor sich gegangenen Wahlen zum preußischen Landtage durch das Fehlschlagen der Ledochowskischen Verhandlungen beein¬ flußt worden sind. Die letztern wurden in etwas andrer Rich¬
Vierundzwanzigſtes Kapitel: Culturkampf.
in den Kauf zu nehmen, die das Ergebniß eines öffentlichen Ein¬ tretens für die päpſtlichen Intereſſen bezüglich Roms ſein mußte.
In den Wechſelfällen des Krieges iſt unter den ſtreitenden italieniſchen Elementen Anfangs der König als der für uns mög¬ licherweiſe gefährliche Gegner erſchienen. Später iſt uns die republi¬ kaniſche Partei unter Garibaldi, die uns bei Ausbruch des Krieges ihre Unterſtützung gegen Napoleoniſche Velleitäten des Königs in Ausſicht geſtellt hatte, auf dem Schlachtfelde in einer mehr thea¬ traliſchen als praktiſchen Erregtheit und in militäriſchen Leiſtungen entgegengetreten, deren Formen unſre ſoldatiſchen Auffaſſungen verletzten. Zwiſchen dieſen beiden Elementen lag die Sympathie, welche die öffentliche Meinung der Gebildeten in Italien für das in der Geſchichte und in der Gegenwart parallele Streben des deutſchen Volkes hegen und dauernd bewahren konnte, lag der nationale Inſtinct, der denn auch ſchließlich ſtark und praktiſch genug ge¬ weſen iſt, mit dem frühern Gegner Oeſtreich in den Dreibund zu treten. Mit dieſer nationalen Richtung Italiens würden wir durch oſtenſible Parteinahme für den Papſt und ſeine territorialen Anſprüche gebrochen haben. Ob und in wie weit wir dafür den Beiſtand des Papſtes in unſern innern Angelegenheiten gewonnen haben würden, iſt zweifelhaft. Der Gallicanismus erſchien mir ſtärker, als ich ihn 1870 der Infallibilität gegenüber einſchätzen konnte, und der Papſt ſchwächer, als ich ihn wegen ſeiner über¬ raſchenden Erfolge über alle deutſchen, franzöſiſchen, ungariſchen Biſchöfe gehalten hatte. Bei uns im Lande war das jeſuitiſche Centrum demnächſt ſtärker als der Papſt, wenigſtens unabhängig von ihm; der germaniſche Fractions- und Parteigeiſt unſrer katho¬ liſchen Landsleute iſt ein Element, dem gegenüber auch der päpſt¬ liche Wille nicht durchſchlägt.
Desgleichen laſſe ich dahingeſtellt, ob die am 16. deſſelben Monats vor ſich gegangenen Wahlen zum preußiſchen Landtage durch das Fehlſchlagen der Ledochowſkiſchen Verhandlungen beein¬ flußt worden ſind. Die letztern wurden in etwas andrer Rich¬
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Vierundzwanzigſtes Kapitel: Culturkampf.
in den Kauf zu nehmen, die das Ergebniß eines öffentlichen Ein¬
tretens für die päpſtlichen Intereſſen bezüglich Roms ſein mußte.
In den Wechſelfällen des Krieges iſt unter den ſtreitenden
italieniſchen Elementen Anfangs der König als der für uns mög¬
licherweiſe gefährliche Gegner erſchienen. Später iſt uns die republi¬
kaniſche Partei unter Garibaldi, die uns bei Ausbruch des Krieges
ihre Unterſtützung gegen Napoleoniſche Velleitäten des Königs in
Ausſicht geſtellt hatte, auf dem Schlachtfelde in einer mehr thea¬
traliſchen als praktiſchen Erregtheit und in militäriſchen Leiſtungen
entgegengetreten, deren Formen unſre ſoldatiſchen Auffaſſungen
verletzten. Zwiſchen dieſen beiden Elementen lag die Sympathie,
welche die öffentliche Meinung der Gebildeten in Italien für das in
der Geſchichte und in der Gegenwart parallele Streben des deutſchen
Volkes hegen und dauernd bewahren konnte, lag der nationale
Inſtinct, der denn auch ſchließlich ſtark und praktiſch genug ge¬
weſen iſt, mit dem frühern Gegner Oeſtreich in den Dreibund
zu treten. Mit dieſer nationalen Richtung Italiens würden wir
durch oſtenſible Parteinahme für den Papſt und ſeine territorialen
Anſprüche gebrochen haben. Ob und in wie weit wir dafür den
Beiſtand des Papſtes in unſern innern Angelegenheiten gewonnen
haben würden, iſt zweifelhaft. Der Gallicanismus erſchien mir
ſtärker, als ich ihn 1870 der Infallibilität gegenüber einſchätzen
konnte, und der Papſt ſchwächer, als ich ihn wegen ſeiner über¬
raſchenden Erfolge über alle deutſchen, franzöſiſchen, ungariſchen
Biſchöfe gehalten hatte. Bei uns im Lande war das jeſuitiſche
Centrum demnächſt ſtärker als der Papſt, wenigſtens unabhängig
von ihm; der germaniſche Fractions- und Parteigeiſt unſrer katho¬
liſchen Landsleute iſt ein Element, dem gegenüber auch der päpſt¬
liche Wille nicht durchſchlägt.
Desgleichen laſſe ich dahingeſtellt, ob die am 16. deſſelben
Monats vor ſich gegangenen Wahlen zum preußiſchen Landtage
durch das Fehlſchlagen der Ledochowſkiſchen Verhandlungen beein¬
flußt worden ſind. Die letztern wurden in etwas andrer Rich¬
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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/148>, abgerufen am 17.02.2025.
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