Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.Die Candidatur eine Familiensache. Französische Kriegstreiberei. Sachkunde geprüft hatte. Der deutsch-nationale Aufschwung, welcherder französischen Kriegserklärung folgte, vergleichbar einem Strome, der die Schleusen bricht, war für die französischen Politiker eine Ueberraschung; sie lebten, rechneten und handelten in Rheinbunds¬ erinnerungen, genährt durch die Haltung einzelner westdeutscher Minister und durch ultramontane Einflüsse, welche hofften, daß Frankreichs Siege, gesta Dei per Francos, die Ziehung weitrer Consequenzen des Vaticanums in Deutschland, gestützt auf Allianz mit dem katholischen Oestreich, erleichtern würden. Ihre ultra¬ montanen Tendenzen waren der französischen Politik in Deutsch¬ land förderlich, in Italien nachtheilig, da das Bündniß mit letzterm schließlich an der Weigerung Frankreichs, Rom zu räumen, scheiterte. In dem Glauben an die Ueberlegenheit der franzö¬ sischen Waffen wurde der Kriegsvorwand, man kann sagen, an den Haaren herbeigezogen, und anstatt Spanien für seine, wie man annahm, antifranzösische Königswahl verantwortlich zu machen, hielt man sich an den deutschen Fürsten, der es nicht abgelehnt hatte, dem Bedürfniß der Spanier auf deren Wunsch durch Gestellung eines brauchbaren und voraussichtlich in Paris als persona grata betrachteten Königs abzuhelfen, und an den König von Preußen, den nichts als der Familienname und die deutsche Landsmannschaft zu dieser spanischen Angelegenheit in Beziehung brachte. Schon in der Thatsache, daß das französische Cabinet sich erlaubte, die preußische Politik über die Annahme der Wahl zur Rede zu stellen, und zwar in einer Form, die durch die Interpretation der französischen Blätter zu einer öffentlichen Be¬ drohung wurde, schon in dieser Thatsache lag eine internationale Unverschämtheit, die für uns nach meiner Ansicht die Unmög¬ lichkeit involvirte, auch nur um einen Zoll breit zurückzuweichen. Der beleidigende Charakter der französischen Zumuthung wurde verschärft nicht nur durch die drohenden Herausforderungen der französischen Presse, sondern auch durch die Parlamentsverhand¬ lungen und die Stellungnahme des Ministeriums Gramont-Ollivier Die Candidatur eine Familienſache. Franzöſiſche Kriegstreiberei. Sachkunde geprüft hatte. Der deutſch-nationale Aufſchwung, welcherder franzöſiſchen Kriegserklärung folgte, vergleichbar einem Strome, der die Schleuſen bricht, war für die franzöſiſchen Politiker eine Ueberraſchung; ſie lebten, rechneten und handelten in Rheinbunds¬ erinnerungen, genährt durch die Haltung einzelner weſtdeutſcher Miniſter und durch ultramontane Einflüſſe, welche hofften, daß Frankreichs Siege, gesta Dei per Francos, die Ziehung weitrer Conſequenzen des Vaticanums in Deutſchland, geſtützt auf Allianz mit dem katholiſchen Oeſtreich, erleichtern würden. Ihre ultra¬ montanen Tendenzen waren der franzöſiſchen Politik in Deutſch¬ land förderlich, in Italien nachtheilig, da das Bündniß mit letzterm ſchließlich an der Weigerung Frankreichs, Rom zu räumen, ſcheiterte. In dem Glauben an die Ueberlegenheit der franzö¬ ſiſchen Waffen wurde der Kriegsvorwand, man kann ſagen, an den Haaren herbeigezogen, und anſtatt Spanien für ſeine, wie man annahm, antifranzöſiſche Königswahl verantwortlich zu machen, hielt man ſich an den deutſchen Fürſten, der es nicht abgelehnt hatte, dem Bedürfniß der Spanier auf deren Wunſch durch Geſtellung eines brauchbaren und vorausſichtlich in Paris als persona grata betrachteten Königs abzuhelfen, und an den König von Preußen, den nichts als der Familienname und die deutſche Landsmannſchaft zu dieſer ſpaniſchen Angelegenheit in Beziehung brachte. Schon in der Thatſache, daß das franzöſiſche Cabinet ſich erlaubte, die preußiſche Politik über die Annahme der Wahl zur Rede zu ſtellen, und zwar in einer Form, die durch die Interpretation der franzöſiſchen Blätter zu einer öffentlichen Be¬ drohung wurde, ſchon in dieſer Thatſache lag eine internationale Unverſchämtheit, die für uns nach meiner Anſicht die Unmög¬ lichkeit involvirte, auch nur um einen Zoll breit zurückzuweichen. Der beleidigende Charakter der franzöſiſchen Zumuthung wurde verſchärft nicht nur durch die drohenden Herausforderungen der franzöſiſchen Preſſe, ſondern auch durch die Parlamentsverhand¬ lungen und die Stellungnahme des Miniſteriums Gramont-Ollivier <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0107" n="83"/><fw place="top" type="header">Die Candidatur eine Familienſache. Franzöſiſche Kriegstreiberei.<lb/></fw> Sachkunde geprüft hatte. 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Die Candidatur eine Familienſache. Franzöſiſche Kriegstreiberei.
Sachkunde geprüft hatte. Der deutſch-nationale Aufſchwung, welcher
der franzöſiſchen Kriegserklärung folgte, vergleichbar einem Strome,
der die Schleuſen bricht, war für die franzöſiſchen Politiker eine
Ueberraſchung; ſie lebten, rechneten und handelten in Rheinbunds¬
erinnerungen, genährt durch die Haltung einzelner weſtdeutſcher
Miniſter und durch ultramontane Einflüſſe, welche hofften, daß
Frankreichs Siege, gesta Dei per Francos, die Ziehung weitrer
Conſequenzen des Vaticanums in Deutſchland, geſtützt auf Allianz
mit dem katholiſchen Oeſtreich, erleichtern würden. Ihre ultra¬
montanen Tendenzen waren der franzöſiſchen Politik in Deutſch¬
land förderlich, in Italien nachtheilig, da das Bündniß mit
letzterm ſchließlich an der Weigerung Frankreichs, Rom zu räumen,
ſcheiterte. In dem Glauben an die Ueberlegenheit der franzö¬
ſiſchen Waffen wurde der Kriegsvorwand, man kann ſagen, an
den Haaren herbeigezogen, und anſtatt Spanien für ſeine, wie
man annahm, antifranzöſiſche Königswahl verantwortlich zu machen,
hielt man ſich an den deutſchen Fürſten, der es nicht abgelehnt
hatte, dem Bedürfniß der Spanier auf deren Wunſch durch
Geſtellung eines brauchbaren und vorausſichtlich in Paris als
persona grata betrachteten Königs abzuhelfen, und an den König
von Preußen, den nichts als der Familienname und die deutſche
Landsmannſchaft zu dieſer ſpaniſchen Angelegenheit in Beziehung
brachte. Schon in der Thatſache, daß das franzöſiſche Cabinet
ſich erlaubte, die preußiſche Politik über die Annahme der Wahl
zur Rede zu ſtellen, und zwar in einer Form, die durch die
Interpretation der franzöſiſchen Blätter zu einer öffentlichen Be¬
drohung wurde, ſchon in dieſer Thatſache lag eine internationale
Unverſchämtheit, die für uns nach meiner Anſicht die Unmög¬
lichkeit involvirte, auch nur um einen Zoll breit zurückzuweichen.
Der beleidigende Charakter der franzöſiſchen Zumuthung wurde
verſchärft nicht nur durch die drohenden Herausforderungen der
franzöſiſchen Preſſe, ſondern auch durch die Parlamentsverhand¬
lungen und die Stellungnahme des Miniſteriums Gramont-Ollivier
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