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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.

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Drittes Kapitel: Erfurt, Olmütz, Dresden.
nach den vertraulichen Mittheilungen, die mir der Kriegsminister
im November desselben Jahres machte.

Die nähere Berührung, in welche ich in Erfurt mit dem Grafen
Brandenburg trat, ließ mich erkennen, daß sein preußischer Patrio¬
tismus vorwiegend von den Erinnerungen an 1812 und 1813
zehrte und schon deshalb von deutschem Nationalgefühl durchsetzt
war. Entscheidend blieb indeß das dynastische und borussische
Gefühl und der Gedanke einer Machtvergrößerung Preußens. Er
hatte von dem Könige, der schon damals auf seine Weise an meiner
politischen Erziehung arbeitete, den Auftrag erhalten, meinen
etwaigen Einfluß in der Fraction der äußersten Rechten für die
Erfurter Politik zu gewinnen, und versuchte das, indem er mir
auf einem einsamen Spaziergange zwischen der Stadt und dem
Steigerwalde sagte: "Was kann bei der ganzen Sache Preußen für
Gefahr laufen? Wir nehmen ruhig an, was uns an Verstärkung
geboten wird, ,Viel oder Wenig', unter einstweiligem Verzichte auf
das, was uns nicht geboten wird. Ob wir uns die Verfassungs¬
bestimmungen, die der König mit in den Kauf zu nehmen hat,
auf die Dauer gefallen lassen können, das kann nur die Erfahrung
lehren. Geht es nicht, ,so ziehn wir den Degen und jagen die
Kerls zum Teufel'." Ich kann nicht leugnen, daß dieser mili¬
tärische Schluß seiner Auseinandersetzung mir einen sehr gewinnen¬
den Eindruck machte, hatte aber meine Zweifel, ob die Allerhöchste
Entschließung im entscheidenden Augenblicke nicht mehr von andern
Einflüssen abhängen würde als von diesem ritterlichen Generale.
Sein tragisches Ende hat meine Zweifel bestätigt1).

Auch Herr von Manteuffel war von dem Könige zu dem Ver¬
suche veranlaßt worden, die preußische äußerste Rechte für Unter¬
stützung der Regirungspolitik zu gewinnen und in diesem Sinne

1) Nach Sybel II 3 f. ist die Erzählung, Brandenburg sei an "gebrochenem
Herzen" über die ihm in Warschau zu Theil gewordene übermüthige Behand¬
lung und die ihm aufgezwungene friedliche Politik gestorben, gegenüber den
aktenmäßigen Feststellungen als legendär zu bezeichnen.

Drittes Kapitel: Erfurt, Olmütz, Dresden.
nach den vertraulichen Mittheilungen, die mir der Kriegsminiſter
im November deſſelben Jahres machte.

Die nähere Berührung, in welche ich in Erfurt mit dem Grafen
Brandenburg trat, ließ mich erkennen, daß ſein preußiſcher Patrio¬
tismus vorwiegend von den Erinnerungen an 1812 und 1813
zehrte und ſchon deshalb von deutſchem Nationalgefühl durchſetzt
war. Entſcheidend blieb indeß das dynaſtiſche und boruſſiſche
Gefühl und der Gedanke einer Machtvergrößerung Preußens. Er
hatte von dem Könige, der ſchon damals auf ſeine Weiſe an meiner
politiſchen Erziehung arbeitete, den Auftrag erhalten, meinen
etwaigen Einfluß in der Fraction der äußerſten Rechten für die
Erfurter Politik zu gewinnen, und verſuchte das, indem er mir
auf einem einſamen Spaziergange zwiſchen der Stadt und dem
Steigerwalde ſagte: „Was kann bei der ganzen Sache Preußen für
Gefahr laufen? Wir nehmen ruhig an, was uns an Verſtärkung
geboten wird, ‚Viel oder Wenig‛, unter einſtweiligem Verzichte auf
das, was uns nicht geboten wird. Ob wir uns die Verfaſſungs¬
beſtimmungen, die der König mit in den Kauf zu nehmen hat,
auf die Dauer gefallen laſſen können, das kann nur die Erfahrung
lehren. Geht es nicht, ‚ſo ziehn wir den Degen und jagen die
Kerls zum Teufel‘.“ Ich kann nicht leugnen, daß dieſer mili¬
täriſche Schluß ſeiner Auseinanderſetzung mir einen ſehr gewinnen¬
den Eindruck machte, hatte aber meine Zweifel, ob die Allerhöchſte
Entſchließung im entſcheidenden Augenblicke nicht mehr von andern
Einflüſſen abhängen würde als von dieſem ritterlichen Generale.
Sein tragiſches Ende hat meine Zweifel beſtätigt1).

Auch Herr von Manteuffel war von dem Könige zu dem Ver¬
ſuche veranlaßt worden, die preußiſche äußerſte Rechte für Unter¬
ſtützung der Regirungspolitik zu gewinnen und in dieſem Sinne

1) Nach Sybel II 3 f. iſt die Erzählung, Brandenburg ſei an „gebrochenem
Herzen“ über die ihm in Warſchau zu Theil gewordene übermüthige Behand¬
lung und die ihm aufgezwungene friedliche Politik geſtorben, gegenüber den
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[66/0093] Drittes Kapitel: Erfurt, Olmütz, Dresden. nach den vertraulichen Mittheilungen, die mir der Kriegsminiſter im November deſſelben Jahres machte. Die nähere Berührung, in welche ich in Erfurt mit dem Grafen Brandenburg trat, ließ mich erkennen, daß ſein preußiſcher Patrio¬ tismus vorwiegend von den Erinnerungen an 1812 und 1813 zehrte und ſchon deshalb von deutſchem Nationalgefühl durchſetzt war. Entſcheidend blieb indeß das dynaſtiſche und boruſſiſche Gefühl und der Gedanke einer Machtvergrößerung Preußens. Er hatte von dem Könige, der ſchon damals auf ſeine Weiſe an meiner politiſchen Erziehung arbeitete, den Auftrag erhalten, meinen etwaigen Einfluß in der Fraction der äußerſten Rechten für die Erfurter Politik zu gewinnen, und verſuchte das, indem er mir auf einem einſamen Spaziergange zwiſchen der Stadt und dem Steigerwalde ſagte: „Was kann bei der ganzen Sache Preußen für Gefahr laufen? Wir nehmen ruhig an, was uns an Verſtärkung geboten wird, ‚Viel oder Wenig‛, unter einſtweiligem Verzichte auf das, was uns nicht geboten wird. Ob wir uns die Verfaſſungs¬ beſtimmungen, die der König mit in den Kauf zu nehmen hat, auf die Dauer gefallen laſſen können, das kann nur die Erfahrung lehren. Geht es nicht, ‚ſo ziehn wir den Degen und jagen die Kerls zum Teufel‘.“ Ich kann nicht leugnen, daß dieſer mili¬ täriſche Schluß ſeiner Auseinanderſetzung mir einen ſehr gewinnen¬ den Eindruck machte, hatte aber meine Zweifel, ob die Allerhöchſte Entſchließung im entſcheidenden Augenblicke nicht mehr von andern Einflüſſen abhängen würde als von dieſem ritterlichen Generale. Sein tragiſches Ende hat meine Zweifel beſtätigt 1). Auch Herr von Manteuffel war von dem Könige zu dem Ver¬ ſuche veranlaßt worden, die preußiſche äußerſte Rechte für Unter¬ ſtützung der Regirungspolitik zu gewinnen und in dieſem Sinne 1) Nach Sybel II 3 f. iſt die Erzählung, Brandenburg ſei an „gebrochenem Herzen“ über die ihm in Warſchau zu Theil gewordene übermüthige Behand¬ lung und die ihm aufgezwungene friedliche Politik geſtorben, gegenüber den aktenmäßigen Feſtſtellungen als legendär zu bezeichnen.

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/93>, abgerufen am 24.11.2024.