Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.Verzettelung der preußischen Truppen. Bezirke unvollzählig befanden. Wenn wir im Frühjahr 1849 dieMöglichkeit einer kriegerischen Lösung im Auge behalten und unsre Mobilmachungsfähigkeit durch Verwendung keiner andern als kriegs¬ bereiter Truppen intact erhalten hätten, so wäre die militärische Kraft, über welche Friedrich Wilhelm IV. verfügte, ausreichend gewesen, nicht nur jede aufständische Bewegung in und außer Preußen niederzuschlagen, sondern die aufgestellten Streitkräfte hätten zugleich das Mittel gewährt, uns 1850 auf die Lösung der damaligen Hauptfragen in unverdächtiger Weise vorzubereiten, falls sie sich zu einer militärischen Machtfrage zuspitzten. Es fehlte dem geistreichen Könige nicht an politischer Voraussicht, aber an Entschluß, und sein im Prinzip starker Glaube an die eigne Macht¬ vollkommenheit hielt in concreten Fällen wohl gegen politische Rathgeber Stand, aber nicht gegen finanzministerielle Bedenken. Ich hatte schon damals das Vertrauen, daß die militärische Verzettelung der preußiſchen Truppen. Bezirke unvollzählig befanden. Wenn wir im Frühjahr 1849 dieMöglichkeit einer kriegeriſchen Löſung im Auge behalten und unſre Mobilmachungsfähigkeit durch Verwendung keiner andern als kriegs¬ bereiter Truppen intact erhalten hätten, ſo wäre die militäriſche Kraft, über welche Friedrich Wilhelm IV. verfügte, ausreichend geweſen, nicht nur jede aufſtändiſche Bewegung in und außer Preußen niederzuſchlagen, ſondern die aufgeſtellten Streitkräfte hätten zugleich das Mittel gewährt, uns 1850 auf die Löſung der damaligen Hauptfragen in unverdächtiger Weiſe vorzubereiten, falls ſie ſich zu einer militäriſchen Machtfrage zuſpitzten. Es fehlte dem geiſtreichen Könige nicht an politiſcher Vorausſicht, aber an Entſchluß, und ſein im Prinzip ſtarker Glaube an die eigne Macht¬ vollkommenheit hielt in concreten Fällen wohl gegen politiſche Rathgeber Stand, aber nicht gegen finanzminiſterielle Bedenken. Ich hatte ſchon damals das Vertrauen, daß die militäriſche <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0090" n="63"/><fw place="top" type="header">Verzettelung der preußiſchen Truppen.<lb/></fw> Bezirke unvollzählig befanden. Wenn wir im Frühjahr 1849 die<lb/> Möglichkeit einer kriegeriſchen Löſung im Auge behalten und unſre<lb/> Mobilmachungsfähigkeit durch Verwendung keiner andern als <hi rendition="#g">kriegs¬<lb/> bereiter</hi> Truppen intact erhalten hätten, ſo wäre die militäriſche<lb/> Kraft, über welche Friedrich Wilhelm <hi rendition="#aq">IV</hi>. verfügte, ausreichend<lb/> geweſen, nicht nur jede aufſtändiſche Bewegung in und außer<lb/> Preußen niederzuſchlagen, ſondern die aufgeſtellten Streitkräfte<lb/> hätten zugleich das Mittel gewährt, uns 1850 auf die Löſung der<lb/> damaligen Hauptfragen in unverdächtiger Weiſe vorzubereiten, falls<lb/> ſie ſich zu einer militäriſchen Machtfrage zuſpitzten. Es fehlte<lb/> dem geiſtreichen Könige nicht an politiſcher Vorausſicht, aber an<lb/> Entſchluß, und ſein im Prinzip ſtarker Glaube an die eigne Macht¬<lb/> vollkommenheit hielt in concreten Fällen wohl gegen <hi rendition="#g">politiſche</hi><lb/> Rathgeber Stand, aber nicht gegen finanzminiſterielle Bedenken.</p><lb/> <p>Ich hatte ſchon damals das Vertrauen, daß die militäriſche<lb/> Kraft Preußens genügen werde, um alle Aufſtände zu überwältigen,<lb/> und daß die Ergebniſſe der Ueberwältigung zu Gunſten der Mon¬<lb/> archie und der nationalen Sache um ſo erheblicher ſein würden,<lb/> je größer der zu überwindende Widerſtand geweſen wäre, und<lb/> vollſtändig befriedigend, wenn alle Kräfte, von denen Widerſtand<lb/> zu erwarten war, in einem und demſelben Feldzuge überwunden<lb/> werden konnten. Während der Aufſtände in Baden und der Pfalz<lb/> war es eine Zeit lang zweifelhaft, wohin ein Theil der bairiſchen<lb/> Armee gravitiren würde. Ich erinnere mich, daß ich dem bairiſchen<lb/> Geſandten, Grafen Lerchenfeld, als er grade in dieſen kritiſchen<lb/> Tagen von mir Abſchied nahm, um nach München zu reiſen, ſagte:<lb/> „Gott gebe, daß auch Ihre Armee, ſo weit ſie unſicher iſt, offen<lb/> abfällt; dann wird der Kampf groß, aber ein entſcheidender werden,<lb/> der das Geſchwür heilt. Machen Sie mit dem unſichern Theil<lb/> Ihrer Truppen Frieden, ſo bleibt das Geſchwür unterköthig.“ Lerchen¬<lb/> feld, beſorgt und beſtürzt, nannte mich leichtſinnig. Ich ſchloß<lb/> das Geſpräch mit den Worten: „Seien Sie ſicher, wir reißen<lb/> Ihre und unſre Sache durch; je toller je beſſer.“ Er glaubte mir<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [63/0090]
Verzettelung der preußiſchen Truppen.
Bezirke unvollzählig befanden. Wenn wir im Frühjahr 1849 die
Möglichkeit einer kriegeriſchen Löſung im Auge behalten und unſre
Mobilmachungsfähigkeit durch Verwendung keiner andern als kriegs¬
bereiter Truppen intact erhalten hätten, ſo wäre die militäriſche
Kraft, über welche Friedrich Wilhelm IV. verfügte, ausreichend
geweſen, nicht nur jede aufſtändiſche Bewegung in und außer
Preußen niederzuſchlagen, ſondern die aufgeſtellten Streitkräfte
hätten zugleich das Mittel gewährt, uns 1850 auf die Löſung der
damaligen Hauptfragen in unverdächtiger Weiſe vorzubereiten, falls
ſie ſich zu einer militäriſchen Machtfrage zuſpitzten. Es fehlte
dem geiſtreichen Könige nicht an politiſcher Vorausſicht, aber an
Entſchluß, und ſein im Prinzip ſtarker Glaube an die eigne Macht¬
vollkommenheit hielt in concreten Fällen wohl gegen politiſche
Rathgeber Stand, aber nicht gegen finanzminiſterielle Bedenken.
Ich hatte ſchon damals das Vertrauen, daß die militäriſche
Kraft Preußens genügen werde, um alle Aufſtände zu überwältigen,
und daß die Ergebniſſe der Ueberwältigung zu Gunſten der Mon¬
archie und der nationalen Sache um ſo erheblicher ſein würden,
je größer der zu überwindende Widerſtand geweſen wäre, und
vollſtändig befriedigend, wenn alle Kräfte, von denen Widerſtand
zu erwarten war, in einem und demſelben Feldzuge überwunden
werden konnten. Während der Aufſtände in Baden und der Pfalz
war es eine Zeit lang zweifelhaft, wohin ein Theil der bairiſchen
Armee gravitiren würde. Ich erinnere mich, daß ich dem bairiſchen
Geſandten, Grafen Lerchenfeld, als er grade in dieſen kritiſchen
Tagen von mir Abſchied nahm, um nach München zu reiſen, ſagte:
„Gott gebe, daß auch Ihre Armee, ſo weit ſie unſicher iſt, offen
abfällt; dann wird der Kampf groß, aber ein entſcheidender werden,
der das Geſchwür heilt. Machen Sie mit dem unſichern Theil
Ihrer Truppen Frieden, ſo bleibt das Geſchwür unterköthig.“ Lerchen¬
feld, beſorgt und beſtürzt, nannte mich leichtſinnig. Ich ſchloß
das Geſpräch mit den Worten: „Seien Sie ſicher, wir reißen
Ihre und unſre Sache durch; je toller je beſſer.“ Er glaubte mir
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