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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.

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Drittes Kapitel: Erfurt, Olmütz, Dresden.
Einzelheiten der künftigen Verfassung, unter denen eine der breitesten
Stellen die Frage von dem Gesandschaftsrecht der deutschen Fürsten
neben dem des Deutschen Reiches einnahm1). Ich habe damals in
den mir zugänglichen Kreisen am Hofe und unter den Abgeordneten
die Ansicht vertreten, daß das Gesandschaftsrecht nicht die Wichtig¬
keit habe, die man ihm beilegte, sondern der Frage von dem Ein¬
flusse der einzelnen Bundesfürsten im Reiche oder im Auslande
untergeordnet sei. Wäre der Einfluß eines solchen auf die Politik
gering, so würden seine Gesandschaften im Auslande den einheit¬
lichen Eindruck des Reiches nicht abschwächen können; bliebe sein
Einfluß auf Krieg und Frieden, auf die politische und finanzielle
Leitung des Reiches oder auf die Entschließungen fremder Höfe
stark genug, so gebe es kein Mittel, zu verhindern, daß fürstliche
Correspondenzen oder irgend welche mehr oder weniger distinguirte
Privatleute, bis in die Kategorie der internationalen Zahnärzte hinein,
die Träger politischer Verhandlungen würden.

Mir schien es damals nützlicher, anstatt der theoretischen Er¬
örterungen über Verfassungsparagraphen die vorhandene lebens¬
kräftige preußische Militärmacht in den Vordergrund zu stellen, wie
es gegen den Aufstand in Dresden geschehn war und in den übrigen
außerpreußischen Staaten hätte geschehn können. Die Dresdner Vor¬
gänge hatten gezeigt, daß in der sächsischen Truppe Disciplin und
Treue unerschüttert waren, sobald die preußische Verstärkung die
militärische Lage haltbar machte. Ebenso erwiesen sich bei den Kämpfen
in Frankfurt die hessische, in Baden die mecklenburgische Truppe
zuverlässig, sobald sie überzeugt waren, daß eine bewußte Leitung
stattfand und einheitliche Befehle gegeben wurden, und sobald man
ihnen nicht zumuthete, sich angreifen zu lassen und sich nicht zu
wehren. Hätte man damals von Berlin aus die eigne Armee recht¬
zeitig und hinreichend verstärkt und mit ihr die Führung auf mili¬

1) Vgl. Bismarck's Aeußerung in der Reichstagsrede vom 8. März 1878,
Politische Reden VII 184 f.

Drittes Kapitel: Erfurt, Olmütz, Dresden.
Einzelheiten der künftigen Verfaſſung, unter denen eine der breiteſten
Stellen die Frage von dem Geſandſchaftsrecht der deutſchen Fürſten
neben dem des Deutſchen Reiches einnahm1). Ich habe damals in
den mir zugänglichen Kreiſen am Hofe und unter den Abgeordneten
die Anſicht vertreten, daß das Geſandſchaftsrecht nicht die Wichtig¬
keit habe, die man ihm beilegte, ſondern der Frage von dem Ein¬
fluſſe der einzelnen Bundesfürſten im Reiche oder im Auslande
untergeordnet ſei. Wäre der Einfluß eines ſolchen auf die Politik
gering, ſo würden ſeine Geſandſchaften im Auslande den einheit¬
lichen Eindruck des Reiches nicht abſchwächen können; bliebe ſein
Einfluß auf Krieg und Frieden, auf die politiſche und finanzielle
Leitung des Reiches oder auf die Entſchließungen fremder Höfe
ſtark genug, ſo gebe es kein Mittel, zu verhindern, daß fürſtliche
Correſpondenzen oder irgend welche mehr oder weniger diſtinguirte
Privatleute, bis in die Kategorie der internationalen Zahnärzte hinein,
die Träger politiſcher Verhandlungen würden.

Mir ſchien es damals nützlicher, anſtatt der theoretiſchen Er¬
örterungen über Verfaſſungsparagraphen die vorhandene lebens¬
kräftige preußiſche Militärmacht in den Vordergrund zu ſtellen, wie
es gegen den Aufſtand in Dresden geſchehn war und in den übrigen
außerpreußiſchen Staaten hätte geſchehn können. Die Dresdner Vor¬
gänge hatten gezeigt, daß in der ſächſiſchen Truppe Diſciplin und
Treue unerſchüttert waren, ſobald die preußiſche Verſtärkung die
militäriſche Lage haltbar machte. Ebenſo erwieſen ſich bei den Kämpfen
in Frankfurt die heſſiſche, in Baden die mecklenburgiſche Truppe
zuverläſſig, ſobald ſie überzeugt waren, daß eine bewußte Leitung
ſtattfand und einheitliche Befehle gegeben wurden, und ſobald man
ihnen nicht zumuthete, ſich angreifen zu laſſen und ſich nicht zu
wehren. Hätte man damals von Berlin aus die eigne Armee recht¬
zeitig und hinreichend verſtärkt und mit ihr die Führung auf mili¬

1) Vgl. Bismarck's Aeußerung in der Reichstagsrede vom 8. März 1878,
Politiſche Reden VII 184 f.
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[60/0087] Drittes Kapitel: Erfurt, Olmütz, Dresden. Einzelheiten der künftigen Verfaſſung, unter denen eine der breiteſten Stellen die Frage von dem Geſandſchaftsrecht der deutſchen Fürſten neben dem des Deutſchen Reiches einnahm 1). Ich habe damals in den mir zugänglichen Kreiſen am Hofe und unter den Abgeordneten die Anſicht vertreten, daß das Geſandſchaftsrecht nicht die Wichtig¬ keit habe, die man ihm beilegte, ſondern der Frage von dem Ein¬ fluſſe der einzelnen Bundesfürſten im Reiche oder im Auslande untergeordnet ſei. Wäre der Einfluß eines ſolchen auf die Politik gering, ſo würden ſeine Geſandſchaften im Auslande den einheit¬ lichen Eindruck des Reiches nicht abſchwächen können; bliebe ſein Einfluß auf Krieg und Frieden, auf die politiſche und finanzielle Leitung des Reiches oder auf die Entſchließungen fremder Höfe ſtark genug, ſo gebe es kein Mittel, zu verhindern, daß fürſtliche Correſpondenzen oder irgend welche mehr oder weniger diſtinguirte Privatleute, bis in die Kategorie der internationalen Zahnärzte hinein, die Träger politiſcher Verhandlungen würden. Mir ſchien es damals nützlicher, anſtatt der theoretiſchen Er¬ örterungen über Verfaſſungsparagraphen die vorhandene lebens¬ kräftige preußiſche Militärmacht in den Vordergrund zu ſtellen, wie es gegen den Aufſtand in Dresden geſchehn war und in den übrigen außerpreußiſchen Staaten hätte geſchehn können. Die Dresdner Vor¬ gänge hatten gezeigt, daß in der ſächſiſchen Truppe Diſciplin und Treue unerſchüttert waren, ſobald die preußiſche Verſtärkung die militäriſche Lage haltbar machte. Ebenſo erwieſen ſich bei den Kämpfen in Frankfurt die heſſiſche, in Baden die mecklenburgiſche Truppe zuverläſſig, ſobald ſie überzeugt waren, daß eine bewußte Leitung ſtattfand und einheitliche Befehle gegeben wurden, und ſobald man ihnen nicht zumuthete, ſich angreifen zu laſſen und ſich nicht zu wehren. Hätte man damals von Berlin aus die eigne Armee recht¬ zeitig und hinreichend verſtärkt und mit ihr die Führung auf mili¬ 1) Vgl. Bismarck's Aeußerung in der Reichstagsrede vom 8. März 1878, Politiſche Reden VII 184 f.

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/87>, abgerufen am 25.11.2024.