Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.Fractionsleben sonst und jetzt. Dreikönigsbündniß. gungen waren damals aufrichtiger und ungeschulter, wenn auch dieLeidenschaften, der Haß und die gegenseitige Mißgunst der Fractionen und ihrer Führer, die Neigung, die Landesinteressen den Fractions¬ interessen zu opfern, heut vielleicht stärker entwickelt sind. En tout cas le diable n'y perd rien. Byzantinismus und verlogene Spe¬ culation auf Liebhabereien des Königs wurden wohl in kleinen höhern Kreisen betrieben, aber bei den parlamentarischen Fractionen war der Wettlauf um die Gunst des Hofes noch nicht im Gange; der Glaube an die Macht des Königthums war irrthümlicher Weise meist geringer als der an die eigne Bedeutung; man fürchtete nichts mehr, als für servil oder für ministeriell zu gelten. Die Einen strebten nach eigner Ueberzeugung das Königthum zu stärken und zu stützen, die Andern glaubten, ihr und des Landes Wohl in Bekämpfung und Schwächung des Königs zu finden; es liegt darin ein Beweis, daß, wenn nicht die Macht, doch der Glaube an die Macht des preußischen Königthums damals schwächer war als heut zu Tage. Die Unterschätzung der Macht der Krone erlitt auch durch die Thatsache keine Aenderung, daß der persönliche Wille eines nicht sehr willensstarken Monarchen wie Friedrich Wilhelms IV. hinreichte, der ganzen deutschen Bewegung durch Ablehnung der Kaiserkrone die Spitze abzubrechen, und daß die sporadischen Aufstände, die demnächst für die Durchführung nationaler Wünsche ausbrachen, von der Königlichen Gewalt mit Leichtigkeit unterdrückt wurden. Die günstige Situation, welche für Preußen in der kurzen Fractionsleben ſonſt und jetzt. Dreikönigsbündniß. gungen waren damals aufrichtiger und ungeſchulter, wenn auch dieLeidenſchaften, der Haß und die gegenſeitige Mißgunſt der Fractionen und ihrer Führer, die Neigung, die Landesintereſſen den Fractions¬ intereſſen zu opfern, heut vielleicht ſtärker entwickelt ſind. En tout cas le diable n'y perd rien. Byzantinismus und verlogene Spe¬ culation auf Liebhabereien des Königs wurden wohl in kleinen höhern Kreiſen betrieben, aber bei den parlamentariſchen Fractionen war der Wettlauf um die Gunſt des Hofes noch nicht im Gange; der Glaube an die Macht des Königthums war irrthümlicher Weiſe meiſt geringer als der an die eigne Bedeutung; man fürchtete nichts mehr, als für ſervil oder für miniſteriell zu gelten. Die Einen ſtrebten nach eigner Ueberzeugung das Königthum zu ſtärken und zu ſtützen, die Andern glaubten, ihr und des Landes Wohl in Bekämpfung und Schwächung des Königs zu finden; es liegt darin ein Beweis, daß, wenn nicht die Macht, doch der Glaube an die Macht des preußiſchen Königthums damals ſchwächer war als heut zu Tage. Die Unterſchätzung der Macht der Krone erlitt auch durch die Thatſache keine Aenderung, daß der perſönliche Wille eines nicht ſehr willensſtarken Monarchen wie Friedrich Wilhelms IV. hinreichte, der ganzen deutſchen Bewegung durch Ablehnung der Kaiſerkrone die Spitze abzubrechen, und daß die ſporadiſchen Aufſtände, die demnächſt für die Durchführung nationaler Wünſche ausbrachen, von der Königlichen Gewalt mit Leichtigkeit unterdrückt wurden. Die günſtige Situation, welche für Preußen in der kurzen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0086" n="59"/><fw place="top" type="header">Fractionsleben ſonſt und jetzt. 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Eine ſchnelle Ausnutzung<lb/> der Lage im nationalen Sinne war vielleicht möglich, ſetzte aber<lb/> klare und praktiſche Ziele und entſchloſſenes Handeln voraus. Beides<lb/> fehlte. Die günſtige Zeit ging verloren mit Erwägungen von<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [59/0086]
Fractionsleben ſonſt und jetzt. Dreikönigsbündniß.
gungen waren damals aufrichtiger und ungeſchulter, wenn auch die
Leidenſchaften, der Haß und die gegenſeitige Mißgunſt der Fractionen
und ihrer Führer, die Neigung, die Landesintereſſen den Fractions¬
intereſſen zu opfern, heut vielleicht ſtärker entwickelt ſind. En tout
cas le diable n'y perd rien. Byzantinismus und verlogene Spe¬
culation auf Liebhabereien des Königs wurden wohl in kleinen
höhern Kreiſen betrieben, aber bei den parlamentariſchen Fractionen
war der Wettlauf um die Gunſt des Hofes noch nicht im Gange;
der Glaube an die Macht des Königthums war irrthümlicher Weiſe
meiſt geringer als der an die eigne Bedeutung; man fürchtete
nichts mehr, als für ſervil oder für miniſteriell zu gelten. Die
Einen ſtrebten nach eigner Ueberzeugung das Königthum zu ſtärken
und zu ſtützen, die Andern glaubten, ihr und des Landes Wohl in
Bekämpfung und Schwächung des Königs zu finden; es liegt darin
ein Beweis, daß, wenn nicht die Macht, doch der Glaube an die
Macht des preußiſchen Königthums damals ſchwächer war als heut
zu Tage. Die Unterſchätzung der Macht der Krone erlitt auch durch
die Thatſache keine Aenderung, daß der perſönliche Wille eines nicht
ſehr willensſtarken Monarchen wie Friedrich Wilhelms IV. hinreichte,
der ganzen deutſchen Bewegung durch Ablehnung der Kaiſerkrone
die Spitze abzubrechen, und daß die ſporadiſchen Aufſtände, die
demnächſt für die Durchführung nationaler Wünſche ausbrachen,
von der Königlichen Gewalt mit Leichtigkeit unterdrückt wurden.
Die günſtige Situation, welche für Preußen in der kurzen
Zeit von der Niederlage des Fürſten Metternich in Wien bis zum
Rückzuge der Truppen aus Berlin beſtanden hatte, erneuerte ſich,
wenn auch in ſchwächern Umriſſen, dank der Wahrnehmung, daß
der König und ſein Heer nach allen Mißgriffen noch ſtark genug
waren, den Aufſtand in Dresden niederzuwerfen und das Drei-
Königsbündniß zu Stande zu bringen. Eine ſchnelle Ausnutzung
der Lage im nationalen Sinne war vielleicht möglich, ſetzte aber
klare und praktiſche Ziele und entſchloſſenes Handeln voraus. Beides
fehlte. Die günſtige Zeit ging verloren mit Erwägungen von
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