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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.

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Selbsttäuschung der Frankfurter. Ablehnung der Kaiserkrone.
verschwunden und nur noch die Gefahr vorhanden, daß der Rück¬
schlag über das vernünftige Maß hinausgehn werde. In den
übrigen norddeutschen Staaten kam es nicht einmal zu solchen Con¬
flicten, wie sie das Ministerium Brandenburg in einzelnen Pro¬
vinzialstädten zu bekämpfen hatte. Auch in Baiern und Würtem¬
berg erwies sich das Königthum trotz antiköniglicher Minister schlie߬
lich stärker als die Revolution.

Als der König am 3. April 1849 die Kaiserkrone ablehnte,
aber aus dem Beschlusse der Frankfurter Versammlung "ein An¬
recht" entnahm, dessen Werth er zu schätzen wisse, war er dazu
hauptsächlich bewogen durch den revolutionären oder doch parla¬
mentarischen Ursprung des Anerbietens und durch den Mangel
eines staatsrechtlichen Mandats des Frankfurter Parlaments bei
mangelnder Zustimmung der Dynastien. Aber auch wenn alle
diese Mängel nicht, oder doch in den Augen des Königs nicht,
vorhanden gewesen wären, so würde unter ihm eine Fortbildung
und Kräftigung der Reichs-Institutionen, wie sie unter Kaiser Wil¬
helm stattgefunden hat, kaum zu erwarten gewesen sein. Die Kriege,
welche der Letztere geführt hat, würden nicht ausgeblieben sein,
nur würden sie nach der Constituirung des Kaiserthums, als Folge
derselben, und nicht vorher, das Kaiserthum vorbereitend und her¬
stellend, zu führen gewesen sein. Ob Friedrich Wilhelm IV. zur
rechtzeitigen Führung derselben hätte bewogen werden können, weiß
ich nicht; es war das schon schwierig bei seinem Herrn Bruder, in
dem die militärische Ader und das preußische Offiziersgefühl vor¬
wiegend waren.

Wenn ich die damaligen preußischen Zustände, persönliche und
sachliche, als nicht reif zur Uebernahme der Führung in Deutsch¬
land in Krieg und Frieden bezeichne, so will ich damit nicht gesagt
haben, daß ich damals die Voraussicht davon mit derselben Klar¬
heit gehabt habe, wie heut im Rückblick auf eine 40jährige seitdem
verflossene Entwicklung. Meine damalige Befriedigung über die
Ablehnung der Kaiserkrone durch den König lag nicht in der vor¬

Selbſttäuſchung der Frankfurter. Ablehnung der Kaiſerkrone.
verſchwunden und nur noch die Gefahr vorhanden, daß der Rück¬
ſchlag über das vernünftige Maß hinausgehn werde. In den
übrigen norddeutſchen Staaten kam es nicht einmal zu ſolchen Con¬
flicten, wie ſie das Miniſterium Brandenburg in einzelnen Pro¬
vinzialſtädten zu bekämpfen hatte. Auch in Baiern und Würtem¬
berg erwies ſich das Königthum trotz antiköniglicher Miniſter ſchlie߬
lich ſtärker als die Revolution.

Als der König am 3. April 1849 die Kaiſerkrone ablehnte,
aber aus dem Beſchluſſe der Frankfurter Verſammlung „ein An¬
recht“ entnahm, deſſen Werth er zu ſchätzen wiſſe, war er dazu
hauptſächlich bewogen durch den revolutionären oder doch parla¬
mentariſchen Urſprung des Anerbietens und durch den Mangel
eines ſtaatsrechtlichen Mandats des Frankfurter Parlaments bei
mangelnder Zuſtimmung der Dynaſtien. Aber auch wenn alle
dieſe Mängel nicht, oder doch in den Augen des Königs nicht,
vorhanden geweſen wären, ſo würde unter ihm eine Fortbildung
und Kräftigung der Reichs-Inſtitutionen, wie ſie unter Kaiſer Wil¬
helm ſtattgefunden hat, kaum zu erwarten geweſen ſein. Die Kriege,
welche der Letztere geführt hat, würden nicht ausgeblieben ſein,
nur würden ſie nach der Conſtituirung des Kaiſerthums, als Folge
derſelben, und nicht vorher, das Kaiſerthum vorbereitend und her¬
ſtellend, zu führen geweſen ſein. Ob Friedrich Wilhelm IV. zur
rechtzeitigen Führung derſelben hätte bewogen werden können, weiß
ich nicht; es war das ſchon ſchwierig bei ſeinem Herrn Bruder, in
dem die militäriſche Ader und das preußiſche Offiziersgefühl vor¬
wiegend waren.

Wenn ich die damaligen preußiſchen Zuſtände, perſönliche und
ſachliche, als nicht reif zur Uebernahme der Führung in Deutſch¬
land in Krieg und Frieden bezeichne, ſo will ich damit nicht geſagt
haben, daß ich damals die Vorausſicht davon mit derſelben Klar¬
heit gehabt habe, wie heut im Rückblick auf eine 40jährige ſeitdem
verfloſſene Entwicklung. Meine damalige Befriedigung über die
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[57/0084] Selbſttäuſchung der Frankfurter. Ablehnung der Kaiſerkrone. verſchwunden und nur noch die Gefahr vorhanden, daß der Rück¬ ſchlag über das vernünftige Maß hinausgehn werde. In den übrigen norddeutſchen Staaten kam es nicht einmal zu ſolchen Con¬ flicten, wie ſie das Miniſterium Brandenburg in einzelnen Pro¬ vinzialſtädten zu bekämpfen hatte. Auch in Baiern und Würtem¬ berg erwies ſich das Königthum trotz antiköniglicher Miniſter ſchlie߬ lich ſtärker als die Revolution. Als der König am 3. April 1849 die Kaiſerkrone ablehnte, aber aus dem Beſchluſſe der Frankfurter Verſammlung „ein An¬ recht“ entnahm, deſſen Werth er zu ſchätzen wiſſe, war er dazu hauptſächlich bewogen durch den revolutionären oder doch parla¬ mentariſchen Urſprung des Anerbietens und durch den Mangel eines ſtaatsrechtlichen Mandats des Frankfurter Parlaments bei mangelnder Zuſtimmung der Dynaſtien. Aber auch wenn alle dieſe Mängel nicht, oder doch in den Augen des Königs nicht, vorhanden geweſen wären, ſo würde unter ihm eine Fortbildung und Kräftigung der Reichs-Inſtitutionen, wie ſie unter Kaiſer Wil¬ helm ſtattgefunden hat, kaum zu erwarten geweſen ſein. Die Kriege, welche der Letztere geführt hat, würden nicht ausgeblieben ſein, nur würden ſie nach der Conſtituirung des Kaiſerthums, als Folge derſelben, und nicht vorher, das Kaiſerthum vorbereitend und her¬ ſtellend, zu führen geweſen ſein. Ob Friedrich Wilhelm IV. zur rechtzeitigen Führung derſelben hätte bewogen werden können, weiß ich nicht; es war das ſchon ſchwierig bei ſeinem Herrn Bruder, in dem die militäriſche Ader und das preußiſche Offiziersgefühl vor¬ wiegend waren. Wenn ich die damaligen preußiſchen Zuſtände, perſönliche und ſachliche, als nicht reif zur Uebernahme der Führung in Deutſch¬ land in Krieg und Frieden bezeichne, ſo will ich damit nicht geſagt haben, daß ich damals die Vorausſicht davon mit derſelben Klar¬ heit gehabt habe, wie heut im Rückblick auf eine 40jährige ſeitdem verfloſſene Entwicklung. Meine damalige Befriedigung über die Ablehnung der Kaiſerkrone durch den König lag nicht in der vor¬

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/84>, abgerufen am 25.11.2024.