Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.Zweites Kapitel: Das Jahr 1848. die Frage des Gehorsams gegen militärische Befehle nicht berührthaben würde. Auch das Einrücken größerer Truppenmassen in Berlin nach dem Zeughaussturme und ähnlichen Vorgängen würde nicht blos von den Soldaten, sondern auch von der Mehrheit der Bevölkerung als dankenswerthe Ausübung eines zweifellosen könig¬ lichen Rechts aufgefaßt worden sein, wenn auch nicht von der Minderheit, welche die Leitung übte; und auch wenn die Bürger¬ wehr sich hätte widersetzen wollen, so würde sie bei den Truppen nur den berechtigten Kampfeszorn gesteigert haben. Ich kann mir kaum denken, daß der König im Sommer an seiner materiellen Macht, der Revolution in Berlin ein Ende zu machen, Zweifel gehabt haben sollte, vermuthe vielmehr, daß Hintergedanken rege waren, ob nicht die Berliner Versammlung und der Friede mit ihr und ihrem Rechtsboden unter irgend welchen Constellationen direct oder indirect nützlich werden könne, sei es in Combinationen mit dem Frankfurter Parlamente oder gegen dasselbe, sei es, um nach andern Seiten hin in der deutschen Frage einen Druck auszu¬ üben, und ob der formale Bruch mit der preußischen Volksvertretung die deutschen Aussichten compromittiren könne. Den Umzug in den deutschen Farben setze ich allerdings nicht auf Rechnung solcher Neigungen des Königs; er war damals körperlich und geistig so angegriffen, daß er Zumuthungen, die ihm mit Entschiedenheit ge¬ macht wurden, wenig Widerstand entgegensetzte. Bei meinem Verkehr in Sanssouci lernte ich die Personen Rauch war praktischer, Gerlach in der Entschließung über Zweites Kapitel: Das Jahr 1848. die Frage des Gehorſams gegen militäriſche Befehle nicht berührthaben würde. Auch das Einrücken größerer Truppenmaſſen in Berlin nach dem Zeughausſturme und ähnlichen Vorgängen würde nicht blos von den Soldaten, ſondern auch von der Mehrheit der Bevölkerung als dankenswerthe Ausübung eines zweifelloſen könig¬ lichen Rechts aufgefaßt worden ſein, wenn auch nicht von der Minderheit, welche die Leitung übte; und auch wenn die Bürger¬ wehr ſich hätte widerſetzen wollen, ſo würde ſie bei den Truppen nur den berechtigten Kampfeszorn geſteigert haben. Ich kann mir kaum denken, daß der König im Sommer an ſeiner materiellen Macht, der Revolution in Berlin ein Ende zu machen, Zweifel gehabt haben ſollte, vermuthe vielmehr, daß Hintergedanken rege waren, ob nicht die Berliner Verſammlung und der Friede mit ihr und ihrem Rechtsboden unter irgend welchen Conſtellationen direct oder indirect nützlich werden könne, ſei es in Combinationen mit dem Frankfurter Parlamente oder gegen daſſelbe, ſei es, um nach andern Seiten hin in der deutſchen Frage einen Druck auszu¬ üben, und ob der formale Bruch mit der preußiſchen Volksvertretung die deutſchen Ausſichten compromittiren könne. Den Umzug in den deutſchen Farben ſetze ich allerdings nicht auf Rechnung ſolcher Neigungen des Königs; er war damals körperlich und geiſtig ſo angegriffen, daß er Zumuthungen, die ihm mit Entſchiedenheit ge¬ macht wurden, wenig Widerſtand entgegenſetzte. Bei meinem Verkehr in Sansſouci lernte ich die Perſonen Rauch war praktiſcher, Gerlach in der Entſchließung über <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0073" n="46"/><fw place="top" type="header">Zweites Kapitel: Das Jahr 1848.<lb/></fw> die Frage des Gehorſams gegen militäriſche Befehle nicht berührt<lb/> haben würde. Auch das Einrücken größerer Truppenmaſſen in<lb/> Berlin nach dem Zeughausſturme und ähnlichen Vorgängen würde<lb/> nicht blos von den Soldaten, ſondern auch von der Mehrheit der<lb/> Bevölkerung als dankenswerthe Ausübung eines zweifelloſen könig¬<lb/> lichen Rechts aufgefaßt worden ſein, wenn auch nicht von der<lb/> Minderheit, welche die Leitung übte; und auch wenn die Bürger¬<lb/> wehr ſich hätte widerſetzen wollen, ſo würde ſie bei den Truppen<lb/> nur den berechtigten Kampfeszorn geſteigert haben. 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Zweites Kapitel: Das Jahr 1848.
die Frage des Gehorſams gegen militäriſche Befehle nicht berührt
haben würde. Auch das Einrücken größerer Truppenmaſſen in
Berlin nach dem Zeughausſturme und ähnlichen Vorgängen würde
nicht blos von den Soldaten, ſondern auch von der Mehrheit der
Bevölkerung als dankenswerthe Ausübung eines zweifelloſen könig¬
lichen Rechts aufgefaßt worden ſein, wenn auch nicht von der
Minderheit, welche die Leitung übte; und auch wenn die Bürger¬
wehr ſich hätte widerſetzen wollen, ſo würde ſie bei den Truppen
nur den berechtigten Kampfeszorn geſteigert haben. Ich kann mir
kaum denken, daß der König im Sommer an ſeiner materiellen
Macht, der Revolution in Berlin ein Ende zu machen, Zweifel
gehabt haben ſollte, vermuthe vielmehr, daß Hintergedanken rege
waren, ob nicht die Berliner Verſammlung und der Friede mit
ihr und ihrem Rechtsboden unter irgend welchen Conſtellationen
direct oder indirect nützlich werden könne, ſei es in Combinationen
mit dem Frankfurter Parlamente oder gegen daſſelbe, ſei es, um
nach andern Seiten hin in der deutſchen Frage einen Druck auszu¬
üben, und ob der formale Bruch mit der preußiſchen Volksvertretung
die deutſchen Ausſichten compromittiren könne. Den Umzug in
den deutſchen Farben ſetze ich allerdings nicht auf Rechnung ſolcher
Neigungen des Königs; er war damals körperlich und geiſtig ſo
angegriffen, daß er Zumuthungen, die ihm mit Entſchiedenheit ge¬
macht wurden, wenig Widerſtand entgegenſetzte.
Bei meinem Verkehr in Sansſouci lernte ich die Perſonen
kennen, die das Vertrauen des Königs auch in politiſchen Dingen
beſaßen, und traf zuweilen in dem Cabinet mit ihnen zuſammen.
Es waren das beſonders die Generale Leopold von Gerlach und
von Rauch, ſpäter Riebuhr, der Cabinetsrath.
Rauch war praktiſcher, Gerlach in der Entſchließung über
actuelle Vorkommniſſe mehr durch geiſtreiche Geſammtauffaſſung
angekränkelt, eine edle Natur von hohem Schwung, doch frei von
dem Fanatismus ſeines Bruders, des Präſidenten Ludwig von
Gerlach, im gewöhnlichen Leben beſcheiden und hülflos wie ein
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