Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.

Bild:
<< vorherige Seite

Zweites Kapitel: Das Jahr 1848.
erinnerlich ist: "Die Stimmung war sehr gut, aber seit die Revo¬
lution uns von den königlichen Behörden unter königlichem Stempel
eingeimpft worden, ist sie schlecht geworden. Das Vertrauen zu
dem Beistande des Königs fehlt." In dem Augenblicke trat die
Königin hinter einem Gebüsche hervor und sagte: "Wie können
Sie so zu dem Könige sprechen?" -- "Laß mich nur, Elise," ver¬
setzte der König, "ich werde schon mit ihm fertig werden;" und
dann zu mir gewandt: "Was werfen Sie mir denn eigentlich
vor?" -- "Die Räumung Berlins." -- "Die habe ich nicht ge¬
wollt," erwiderte der König. Und die Königin, die noch in Gehörs¬
weite geblieben war, setzte hinzu: "Daran ist der König ganz un¬
schuldig, er hatte seit drei Tagen nicht geschlafen." -- "Ein König
muß schlafen können," versetzte ich. Unbeirrt durch diese schroffe
Aeußerung sagte der König: "Man ist immer klüger, wenn man
von dem Rathhause kommt; was wäre denn damit gewonnen, daß
ich zugäbe, ,wie ein Esel' gehandelt zu haben? Vorwürfe sind nicht
das Mittel, einen umgestürzten Thron wieder aufzurichten, dazu
bedarf ich des Beistandes und thätiger Hingebung, nicht der Kritik."
Die Güte, mit der er dies und Aehnliches sagte, überwältigte mich.
Ich war gekommen in der Stimmung eines Frondeurs, dem es
ganz recht sein würde, ungnädig weggeschickt zu werden, und ging,
vollständig entwaffnet und gewonnen.

Auf meine Vorstellungen, daß er Herr im Lande sei und die
Macht besitze, die bedrohte Ordnung überall herzustellen, sagte er,
er müsse sich hüten, den Weg des formellen Rechtes zu verlassen;
wenn er mit der Berliner Versammlung, dem Tagelöhnerparlamente,
wie man sie damals in gewissen Kreisen nannte, brechen wolle, so
müsse er dazu das formelle Recht auf seiner Seite haben, sonst
stehe seine Sache auf schwachen Füßen, und die ganze Monarchie
laufe Gefahr, nicht blos von innern Bewegungen, sondern auch
von außen her. Vielleicht hat er dabei an einen französischen Krieg
unter Betheiligung deutscher Aufstände gedacht. Wahrscheinlicher
aber ist mir, daß er grade mir die Besorgniß, seine deutschen

Zweites Kapitel: Das Jahr 1848.
erinnerlich iſt: „Die Stimmung war ſehr gut, aber ſeit die Revo¬
lution uns von den königlichen Behörden unter königlichem Stempel
eingeimpft worden, iſt ſie ſchlecht geworden. Das Vertrauen zu
dem Beiſtande des Königs fehlt.“ In dem Augenblicke trat die
Königin hinter einem Gebüſche hervor und ſagte: „Wie können
Sie ſo zu dem Könige ſprechen?“ — „Laß mich nur, Eliſe,“ ver¬
ſetzte der König, „ich werde ſchon mit ihm fertig werden;“ und
dann zu mir gewandt: „Was werfen Sie mir denn eigentlich
vor?“ — „Die Räumung Berlins.“ — „Die habe ich nicht ge¬
wollt,“ erwiderte der König. Und die Königin, die noch in Gehörs¬
weite geblieben war, ſetzte hinzu: „Daran iſt der König ganz un¬
ſchuldig, er hatte ſeit drei Tagen nicht geſchlafen.“ — „Ein König
muß ſchlafen können,“ verſetzte ich. Unbeirrt durch dieſe ſchroffe
Aeußerung ſagte der König: „Man iſt immer klüger, wenn man
von dem Rathhauſe kommt; was wäre denn damit gewonnen, daß
ich zugäbe, ,wie ein Eſel‘ gehandelt zu haben? Vorwürfe ſind nicht
das Mittel, einen umgeſtürzten Thron wieder aufzurichten, dazu
bedarf ich des Beiſtandes und thätiger Hingebung, nicht der Kritik.“
Die Güte, mit der er dies und Aehnliches ſagte, überwältigte mich.
Ich war gekommen in der Stimmung eines Frondeurs, dem es
ganz recht ſein würde, ungnädig weggeſchickt zu werden, und ging,
vollſtändig entwaffnet und gewonnen.

Auf meine Vorſtellungen, daß er Herr im Lande ſei und die
Macht beſitze, die bedrohte Ordnung überall herzuſtellen, ſagte er,
er müſſe ſich hüten, den Weg des formellen Rechtes zu verlaſſen;
wenn er mit der Berliner Verſammlung, dem Tagelöhnerparlamente,
wie man ſie damals in gewiſſen Kreiſen nannte, brechen wolle, ſo
müſſe er dazu das formelle Recht auf ſeiner Seite haben, ſonſt
ſtehe ſeine Sache auf ſchwachen Füßen, und die ganze Monarchie
laufe Gefahr, nicht blos von innern Bewegungen, ſondern auch
von außen her. Vielleicht hat er dabei an einen franzöſiſchen Krieg
unter Betheiligung deutſcher Aufſtände gedacht. Wahrſcheinlicher
aber iſt mir, daß er grade mir die Beſorgniß, ſeine deutſchen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0071" n="44"/><fw place="top" type="header">Zweites Kapitel: Das Jahr 1848.<lb/></fw> erinnerlich i&#x017F;t: &#x201E;Die Stimmung war &#x017F;ehr gut, aber &#x017F;eit die Revo¬<lb/>
lution uns von den königlichen Behörden unter königlichem Stempel<lb/>
eingeimpft worden, i&#x017F;t &#x017F;ie &#x017F;chlecht geworden. Das Vertrauen zu<lb/>
dem Bei&#x017F;tande des Königs fehlt.&#x201C; In dem Augenblicke trat die<lb/>
Königin hinter einem Gebü&#x017F;che hervor und &#x017F;agte: &#x201E;Wie können<lb/>
Sie &#x017F;o zu dem Könige &#x017F;prechen?&#x201C; &#x2014; &#x201E;Laß mich nur, Eli&#x017F;e,&#x201C; ver¬<lb/>
&#x017F;etzte der König, &#x201E;ich werde &#x017F;chon mit ihm fertig werden;&#x201C; und<lb/>
dann zu mir gewandt: &#x201E;Was werfen Sie mir denn eigentlich<lb/>
vor?&#x201C; &#x2014; &#x201E;Die Räumung Berlins.&#x201C; &#x2014; &#x201E;Die habe ich nicht ge¬<lb/>
wollt,&#x201C; erwiderte der König. Und die Königin, die noch in Gehörs¬<lb/>
weite geblieben war, &#x017F;etzte hinzu: &#x201E;Daran i&#x017F;t der König ganz un¬<lb/>
&#x017F;chuldig, er hatte &#x017F;eit drei Tagen nicht ge&#x017F;chlafen.&#x201C; &#x2014; &#x201E;Ein König<lb/>
muß &#x017F;chlafen können,&#x201C; ver&#x017F;etzte ich. Unbeirrt durch die&#x017F;e &#x017F;chroffe<lb/>
Aeußerung &#x017F;agte der König: &#x201E;Man i&#x017F;t immer klüger, wenn man<lb/>
von dem Rathhau&#x017F;e kommt; was wäre denn damit gewonnen, daß<lb/>
ich zugäbe, ,wie ein E&#x017F;el&#x2018; gehandelt zu haben? Vorwürfe &#x017F;ind nicht<lb/>
das Mittel, einen umge&#x017F;türzten Thron wieder aufzurichten, dazu<lb/>
bedarf ich des Bei&#x017F;tandes und thätiger Hingebung, nicht der Kritik.&#x201C;<lb/>
Die Güte, mit der er dies und Aehnliches &#x017F;agte, überwältigte mich.<lb/>
Ich war gekommen in der Stimmung eines Frondeurs, dem es<lb/>
ganz recht &#x017F;ein würde, ungnädig wegge&#x017F;chickt zu werden, und ging,<lb/>
voll&#x017F;tändig entwaffnet und gewonnen.</p><lb/>
          <p>Auf meine Vor&#x017F;tellungen, daß er Herr im Lande &#x017F;ei und die<lb/>
Macht be&#x017F;itze, die bedrohte Ordnung überall herzu&#x017F;tellen, &#x017F;agte er,<lb/>
er mü&#x017F;&#x017F;e &#x017F;ich hüten, den Weg des formellen Rechtes zu verla&#x017F;&#x017F;en;<lb/>
wenn er mit der Berliner Ver&#x017F;ammlung, dem Tagelöhnerparlamente,<lb/>
wie man &#x017F;ie damals in gewi&#x017F;&#x017F;en Krei&#x017F;en nannte, brechen wolle, &#x017F;o<lb/>&#x017F;&#x017F;e er dazu das formelle Recht auf &#x017F;einer Seite haben, &#x017F;on&#x017F;t<lb/>
&#x017F;tehe &#x017F;eine Sache auf &#x017F;chwachen Füßen, und die ganze Monarchie<lb/>
laufe Gefahr, nicht blos von innern Bewegungen, &#x017F;ondern auch<lb/>
von außen her. Vielleicht hat er dabei an einen franzö&#x017F;i&#x017F;chen Krieg<lb/>
unter Betheiligung deut&#x017F;cher Auf&#x017F;tände gedacht. Wahr&#x017F;cheinlicher<lb/>
aber i&#x017F;t mir, daß er grade mir die Be&#x017F;orgniß, &#x017F;eine deut&#x017F;chen<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[44/0071] Zweites Kapitel: Das Jahr 1848. erinnerlich iſt: „Die Stimmung war ſehr gut, aber ſeit die Revo¬ lution uns von den königlichen Behörden unter königlichem Stempel eingeimpft worden, iſt ſie ſchlecht geworden. Das Vertrauen zu dem Beiſtande des Königs fehlt.“ In dem Augenblicke trat die Königin hinter einem Gebüſche hervor und ſagte: „Wie können Sie ſo zu dem Könige ſprechen?“ — „Laß mich nur, Eliſe,“ ver¬ ſetzte der König, „ich werde ſchon mit ihm fertig werden;“ und dann zu mir gewandt: „Was werfen Sie mir denn eigentlich vor?“ — „Die Räumung Berlins.“ — „Die habe ich nicht ge¬ wollt,“ erwiderte der König. Und die Königin, die noch in Gehörs¬ weite geblieben war, ſetzte hinzu: „Daran iſt der König ganz un¬ ſchuldig, er hatte ſeit drei Tagen nicht geſchlafen.“ — „Ein König muß ſchlafen können,“ verſetzte ich. Unbeirrt durch dieſe ſchroffe Aeußerung ſagte der König: „Man iſt immer klüger, wenn man von dem Rathhauſe kommt; was wäre denn damit gewonnen, daß ich zugäbe, ,wie ein Eſel‘ gehandelt zu haben? Vorwürfe ſind nicht das Mittel, einen umgeſtürzten Thron wieder aufzurichten, dazu bedarf ich des Beiſtandes und thätiger Hingebung, nicht der Kritik.“ Die Güte, mit der er dies und Aehnliches ſagte, überwältigte mich. Ich war gekommen in der Stimmung eines Frondeurs, dem es ganz recht ſein würde, ungnädig weggeſchickt zu werden, und ging, vollſtändig entwaffnet und gewonnen. Auf meine Vorſtellungen, daß er Herr im Lande ſei und die Macht beſitze, die bedrohte Ordnung überall herzuſtellen, ſagte er, er müſſe ſich hüten, den Weg des formellen Rechtes zu verlaſſen; wenn er mit der Berliner Verſammlung, dem Tagelöhnerparlamente, wie man ſie damals in gewiſſen Kreiſen nannte, brechen wolle, ſo müſſe er dazu das formelle Recht auf ſeiner Seite haben, ſonſt ſtehe ſeine Sache auf ſchwachen Füßen, und die ganze Monarchie laufe Gefahr, nicht blos von innern Bewegungen, ſondern auch von außen her. Vielleicht hat er dabei an einen franzöſiſchen Krieg unter Betheiligung deutſcher Aufſtände gedacht. Wahrſcheinlicher aber iſt mir, daß er grade mir die Beſorgniß, ſeine deutſchen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/71
Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/71>, abgerufen am 26.11.2024.