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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.

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Zweites Kapitel: Das Jahr 1848.
zu leiten. Man sucht daher die bisherige Ritterschaft als solche
Leute zu bezeichnen, die den alten Zustand erhalten und zurück¬
führen wollen, während die Rittergutsbesitzer wie jeder andre
vernünftige Mensch sich selbst sagen, daß es unsinnig und unmög¬
lich wäre, den Strom der Zeit aufhalten oder zurückdämmen zu
wollen. -- Man sucht ferner auf den Dörfern die Vorstellung zu
wecken und zu bestärken, daß jetzt die Zeit gekommen sei, sich von
allen den Zahlungen, die nach den Separationsrecessen an Ritter¬
güter zu leisten sind, ohne Entschädigung loszumachen; aber man
verschweigt dabei, daß eine Regirung, die Recht und Ordnung will,
nicht damit anfangen kann, eine Klasse von Staatsbürgern zu
plündern, um eine andre zu beschenken, daß alle Rechte, die auf
Gesetz, Erkenntniß oder Vertrag beruhn, alle Forderungen, die
Einer an den Andern haben mag, alle Ansprüche auf hypotheka¬
rische Zinsen und Capitalien denen, die sie haben, mit demselben
Rechtstitel genommen werden können, mit welchem man den Ritter¬
gütern ihre Renten ohne volle Entschädigung nehmen möchte. Man
täuscht den Landmann darüber, daß er mit dem Rittergutsbesitzer
das gleiche Interesse des Landwirthes und den gleichen Gegner in
dem ausschließlichen Industriesysteme hat, welches seine Hand nach
der Herrschaft in dem preußischen Staate ausstreckt; gelingt diese
Täuschung, so wollen wir hoffen, daß sie nicht lange dauert,
daß man ihr durch eine schnelle, gesetzliche Abschaffung der bis¬
herigen politischen Rechte der Rittergüter ein Ende mache, und
daß der ländlichen Bevölkerung nicht erst dann, wenn es an's Be¬
zahlen geht, dann aber zu spät, die Augen darüber aufgehn, wie
fein sie von den klugen Städtern überlistet ist."

Während der Zweite Vereinigte Landtag zusammentrat, nahm
Georg von Vincke im Namen seiner Parteigenossen und angeblich
in höherem Auftrage meine Mitwirkung für den Plan in An¬
spruch, den König durch den Landtag zur Abdankung zu bewegen
und mit Uebergehung, aber im angeblichen Einverständniß des

Zweites Kapitel: Das Jahr 1848.
zu leiten. Man ſucht daher die bisherige Ritterſchaft als ſolche
Leute zu bezeichnen, die den alten Zuſtand erhalten und zurück¬
führen wollen, während die Rittergutsbeſitzer wie jeder andre
vernünftige Menſch ſich ſelbſt ſagen, daß es unſinnig und unmög¬
lich wäre, den Strom der Zeit aufhalten oder zurückdämmen zu
wollen. — Man ſucht ferner auf den Dörfern die Vorſtellung zu
wecken und zu beſtärken, daß jetzt die Zeit gekommen ſei, ſich von
allen den Zahlungen, die nach den Separationsreceſſen an Ritter¬
güter zu leiſten ſind, ohne Entſchädigung loszumachen; aber man
verſchweigt dabei, daß eine Regirung, die Recht und Ordnung will,
nicht damit anfangen kann, eine Klaſſe von Staatsbürgern zu
plündern, um eine andre zu beſchenken, daß alle Rechte, die auf
Geſetz, Erkenntniß oder Vertrag beruhn, alle Forderungen, die
Einer an den Andern haben mag, alle Anſprüche auf hypotheka¬
riſche Zinſen und Capitalien denen, die ſie haben, mit demſelben
Rechtstitel genommen werden können, mit welchem man den Ritter¬
gütern ihre Renten ohne volle Entſchädigung nehmen möchte. Man
täuſcht den Landmann darüber, daß er mit dem Rittergutsbeſitzer
das gleiche Intereſſe des Landwirthes und den gleichen Gegner in
dem ausſchließlichen Induſtrieſyſteme hat, welches ſeine Hand nach
der Herrſchaft in dem preußiſchen Staate ausſtreckt; gelingt dieſe
Täuſchung, ſo wollen wir hoffen, daß ſie nicht lange dauert,
daß man ihr durch eine ſchnelle, geſetzliche Abſchaffung der bis¬
herigen politiſchen Rechte der Rittergüter ein Ende mache, und
daß der ländlichen Bevölkerung nicht erſt dann, wenn es an's Be¬
zahlen geht, dann aber zu ſpät, die Augen darüber aufgehn, wie
fein ſie von den klugen Städtern überliſtet iſt.“

Während der Zweite Vereinigte Landtag zuſammentrat, nahm
Georg von Vincke im Namen ſeiner Parteigenoſſen und angeblich
in höherem Auftrage meine Mitwirkung für den Plan in An¬
ſpruch, den König durch den Landtag zur Abdankung zu bewegen
und mit Uebergehung, aber im angeblichen Einverſtändniß des

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[36/0063] Zweites Kapitel: Das Jahr 1848. zu leiten. Man ſucht daher die bisherige Ritterſchaft als ſolche Leute zu bezeichnen, die den alten Zuſtand erhalten und zurück¬ führen wollen, während die Rittergutsbeſitzer wie jeder andre vernünftige Menſch ſich ſelbſt ſagen, daß es unſinnig und unmög¬ lich wäre, den Strom der Zeit aufhalten oder zurückdämmen zu wollen. — Man ſucht ferner auf den Dörfern die Vorſtellung zu wecken und zu beſtärken, daß jetzt die Zeit gekommen ſei, ſich von allen den Zahlungen, die nach den Separationsreceſſen an Ritter¬ güter zu leiſten ſind, ohne Entſchädigung loszumachen; aber man verſchweigt dabei, daß eine Regirung, die Recht und Ordnung will, nicht damit anfangen kann, eine Klaſſe von Staatsbürgern zu plündern, um eine andre zu beſchenken, daß alle Rechte, die auf Geſetz, Erkenntniß oder Vertrag beruhn, alle Forderungen, die Einer an den Andern haben mag, alle Anſprüche auf hypotheka¬ riſche Zinſen und Capitalien denen, die ſie haben, mit demſelben Rechtstitel genommen werden können, mit welchem man den Ritter¬ gütern ihre Renten ohne volle Entſchädigung nehmen möchte. Man täuſcht den Landmann darüber, daß er mit dem Rittergutsbeſitzer das gleiche Intereſſe des Landwirthes und den gleichen Gegner in dem ausſchließlichen Induſtrieſyſteme hat, welches ſeine Hand nach der Herrſchaft in dem preußiſchen Staate ausſtreckt; gelingt dieſe Täuſchung, ſo wollen wir hoffen, daß ſie nicht lange dauert, daß man ihr durch eine ſchnelle, geſetzliche Abſchaffung der bis¬ herigen politiſchen Rechte der Rittergüter ein Ende mache, und daß der ländlichen Bevölkerung nicht erſt dann, wenn es an's Be¬ zahlen geht, dann aber zu ſpät, die Augen darüber aufgehn, wie fein ſie von den klugen Städtern überliſtet iſt.“ Während der Zweite Vereinigte Landtag zuſammentrat, nahm Georg von Vincke im Namen ſeiner Parteigenoſſen und angeblich in höherem Auftrage meine Mitwirkung für den Plan in An¬ ſpruch, den König durch den Landtag zur Abdankung zu bewegen und mit Uebergehung, aber im angeblichen Einverſtändniß des

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/63>, abgerufen am 27.11.2024.