Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.Schreiben an eine Magdeburger Zeitung. habe ebenfalls in der vorigen Woche den mir benachbarten Ge¬meinden erklärt, daß ich den König in Berlin nicht für frei hielte, und dieselben zur Absendung einer Deputation an die geeignete Stelle aufgefordert, ohne daß ich mir deshalb die selbstsüchtigen Motive, welche Ihr Correspondent anführt, unterschieben lassen möchte. Es ist 1) sehr erklärlich, daß jemand, dem alle mit der Person des Königs nach dem Abzug der Truppen vorgegangenen Ereignisse bekannt waren, die Meinung fassen konnte, der König sei nicht Herr, zu thun und zu lassen, was er wollte; 2) halte ich jeden Bürger eines freien Staates für berechtigt, seine Mei¬ nung gegen seine Mitbürger selbst dann zu äußern, wenn sie der augenblicklichen öffentlichen Meinung widerspricht: ja nach den neusten Vorgängen möchte es schwer sein, jemand das Recht zu bestreiten, seine politischen Ansichten durch Volksaufregung zu unterstützen; 3) wenn alle Handlungen Sr. Majestät in den letzten 14 Tagen durchaus freiwillig gewesen sind, was weder Ihr Correspondent noch ich mit Sicherheit wissen können, was hätten dann die Berliner erkämpft? Dann wäre der Kampf am 18. und 19. mindestens ein überflüssiger und zweckloser gewesen und alles Blutvergießen ohne Veranlassung und ohne Erfolg; 4) glaube ich die Gesinnung der großen Mehrzahl der Ritterschaft dahin aussprechen zu können, daß in einer Zeit, wo es sich um das sociale und politische Fortbestehn Preußens handelt, wo Deutschland von Spaltungen in mehr als einer Richtung bedroht ist, wir weder Zeit noch Neigung haben, unsre Kräfte an reactionäre Versuche, oder an Vertheidigung der unbedeutenden uns bisher verbliebenen gutsherrlichen Rechte zu vergeuden, sondern gern bereit sind, diese auf Würdigere zu übertragen, indem wir dieses als untergeordnete Frage, die Herstellung rechtlicher Ordnung in Deutschland, die Er¬ haltung der Ehre und Unverletzlichkeit unsres Vaterlandes aber als die für jetzt alleinige Aufgabe eines jeden betrachten, dessen Blick auf unsre politische Lage nicht durch Parteiansichten ge¬ trübt ist. Otto Fürst von Bismarck, Gedanken und Erinnerungen. I. 3
Schreiben an eine Magdeburger Zeitung. habe ebenfalls in der vorigen Woche den mir benachbarten Ge¬meinden erklärt, daß ich den König in Berlin nicht für frei hielte, und dieſelben zur Abſendung einer Deputation an die geeignete Stelle aufgefordert, ohne daß ich mir deshalb die ſelbſtſüchtigen Motive, welche Ihr Correſpondent anführt, unterſchieben laſſen möchte. Es iſt 1) ſehr erklärlich, daß jemand, dem alle mit der Perſon des Königs nach dem Abzug der Truppen vorgegangenen Ereigniſſe bekannt waren, die Meinung faſſen konnte, der König ſei nicht Herr, zu thun und zu laſſen, was er wollte; 2) halte ich jeden Bürger eines freien Staates für berechtigt, ſeine Mei¬ nung gegen ſeine Mitbürger ſelbſt dann zu äußern, wenn ſie der augenblicklichen öffentlichen Meinung widerſpricht: ja nach den neuſten Vorgängen möchte es ſchwer ſein, jemand das Recht zu beſtreiten, ſeine politiſchen Anſichten durch Volksaufregung zu unterſtützen; 3) wenn alle Handlungen Sr. Majeſtät in den letzten 14 Tagen durchaus freiwillig geweſen ſind, was weder Ihr Correſpondent noch ich mit Sicherheit wiſſen können, was hätten dann die Berliner erkämpft? Dann wäre der Kampf am 18. und 19. mindeſtens ein überflüſſiger und zweckloſer geweſen und alles Blutvergießen ohne Veranlaſſung und ohne Erfolg; 4) glaube ich die Geſinnung der großen Mehrzahl der Ritterſchaft dahin ausſprechen zu können, daß in einer Zeit, wo es ſich um das ſociale und politiſche Fortbeſtehn Preußens handelt, wo Deutſchland von Spaltungen in mehr als einer Richtung bedroht iſt, wir weder Zeit noch Neigung haben, unſre Kräfte an reactionäre Verſuche, oder an Vertheidigung der unbedeutenden uns bisher verbliebenen gutsherrlichen Rechte zu vergeuden, ſondern gern bereit ſind, dieſe auf Würdigere zu übertragen, indem wir dieſes als untergeordnete Frage, die Herſtellung rechtlicher Ordnung in Deutſchland, die Er¬ haltung der Ehre und Unverletzlichkeit unſres Vaterlandes aber als die für jetzt alleinige Aufgabe eines jeden betrachten, deſſen Blick auf unſre politiſche Lage nicht durch Parteianſichten ge¬ trübt iſt. Otto Fürſt von Bismarck, Gedanken und Erinnerungen. I. 3
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0060" n="33"/><fw place="top" type="header">Schreiben an eine Magdeburger Zeitung.<lb/></fw> habe ebenfalls in der vorigen Woche den mir benachbarten Ge¬<lb/> meinden erklärt, daß ich den König in Berlin nicht für frei hielte,<lb/> und dieſelben zur Abſendung einer Deputation an die geeignete<lb/> Stelle aufgefordert, ohne daß ich mir deshalb die ſelbſtſüchtigen<lb/> Motive, welche Ihr Correſpondent anführt, unterſchieben laſſen<lb/> möchte. Es iſt 1) ſehr erklärlich, daß jemand, dem alle mit der<lb/> Perſon des Königs nach dem Abzug der Truppen vorgegangenen<lb/> Ereigniſſe bekannt waren, die Meinung faſſen konnte, der König<lb/> ſei nicht Herr, zu thun und zu laſſen, was er wollte; 2) halte<lb/> ich jeden Bürger eines freien Staates für berechtigt, ſeine Mei¬<lb/> nung gegen ſeine Mitbürger ſelbſt dann zu äußern, wenn ſie der<lb/> augenblicklichen öffentlichen Meinung widerſpricht: ja nach den<lb/> neuſten Vorgängen möchte es ſchwer ſein, jemand das Recht<lb/> zu beſtreiten, ſeine politiſchen Anſichten durch Volksaufregung zu<lb/> unterſtützen; 3) wenn alle Handlungen Sr. Majeſtät in den<lb/> letzten 14 Tagen durchaus freiwillig geweſen ſind, was weder Ihr<lb/> Correſpondent noch ich mit Sicherheit wiſſen können, was hätten<lb/> dann die Berliner erkämpft? Dann wäre der Kampf am 18. und<lb/> 19. mindeſtens ein überflüſſiger und zweckloſer geweſen und alles<lb/> Blutvergießen ohne Veranlaſſung und ohne Erfolg; 4) glaube<lb/> ich die Geſinnung der großen Mehrzahl der Ritterſchaft dahin<lb/> ausſprechen zu können, daß in einer Zeit, wo es ſich um das<lb/> ſociale und politiſche Fortbeſtehn Preußens handelt, wo Deutſchland<lb/> von Spaltungen in mehr als einer Richtung bedroht iſt, wir weder<lb/> Zeit noch Neigung haben, unſre Kräfte an reactionäre Verſuche,<lb/> oder an Vertheidigung der unbedeutenden uns bisher verbliebenen<lb/> gutsherrlichen Rechte zu vergeuden, ſondern gern bereit ſind, dieſe<lb/> auf Würdigere zu übertragen, indem wir dieſes als untergeordnete<lb/> Frage, die Herſtellung rechtlicher Ordnung in Deutſchland, die Er¬<lb/> haltung der Ehre und Unverletzlichkeit unſres Vaterlandes aber<lb/> als die für jetzt alleinige Aufgabe eines jeden betrachten, deſſen<lb/> Blick auf unſre politiſche Lage nicht durch Parteianſichten ge¬<lb/> trübt iſt.</p><lb/> <fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Otto Fürſt von Bismarck</hi>, Gedanken und Erinnerungen. <hi rendition="#aq">I</hi>. 3<lb/></fw> </div> </div> </body> </text> </TEI> [33/0060]
Schreiben an eine Magdeburger Zeitung.
habe ebenfalls in der vorigen Woche den mir benachbarten Ge¬
meinden erklärt, daß ich den König in Berlin nicht für frei hielte,
und dieſelben zur Abſendung einer Deputation an die geeignete
Stelle aufgefordert, ohne daß ich mir deshalb die ſelbſtſüchtigen
Motive, welche Ihr Correſpondent anführt, unterſchieben laſſen
möchte. Es iſt 1) ſehr erklärlich, daß jemand, dem alle mit der
Perſon des Königs nach dem Abzug der Truppen vorgegangenen
Ereigniſſe bekannt waren, die Meinung faſſen konnte, der König
ſei nicht Herr, zu thun und zu laſſen, was er wollte; 2) halte
ich jeden Bürger eines freien Staates für berechtigt, ſeine Mei¬
nung gegen ſeine Mitbürger ſelbſt dann zu äußern, wenn ſie der
augenblicklichen öffentlichen Meinung widerſpricht: ja nach den
neuſten Vorgängen möchte es ſchwer ſein, jemand das Recht
zu beſtreiten, ſeine politiſchen Anſichten durch Volksaufregung zu
unterſtützen; 3) wenn alle Handlungen Sr. Majeſtät in den
letzten 14 Tagen durchaus freiwillig geweſen ſind, was weder Ihr
Correſpondent noch ich mit Sicherheit wiſſen können, was hätten
dann die Berliner erkämpft? Dann wäre der Kampf am 18. und
19. mindeſtens ein überflüſſiger und zweckloſer geweſen und alles
Blutvergießen ohne Veranlaſſung und ohne Erfolg; 4) glaube
ich die Geſinnung der großen Mehrzahl der Ritterſchaft dahin
ausſprechen zu können, daß in einer Zeit, wo es ſich um das
ſociale und politiſche Fortbeſtehn Preußens handelt, wo Deutſchland
von Spaltungen in mehr als einer Richtung bedroht iſt, wir weder
Zeit noch Neigung haben, unſre Kräfte an reactionäre Verſuche,
oder an Vertheidigung der unbedeutenden uns bisher verbliebenen
gutsherrlichen Rechte zu vergeuden, ſondern gern bereit ſind, dieſe
auf Würdigere zu übertragen, indem wir dieſes als untergeordnete
Frage, die Herſtellung rechtlicher Ordnung in Deutſchland, die Er¬
haltung der Ehre und Unverletzlichkeit unſres Vaterlandes aber
als die für jetzt alleinige Aufgabe eines jeden betrachten, deſſen
Blick auf unſre politiſche Lage nicht durch Parteianſichten ge¬
trübt iſt.
Otto Fürſt von Bismarck, Gedanken und Erinnerungen. I. 3
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |