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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.

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Zweites Kapitel: Das Jahr 1848.
politische Autorität der Provinz, hatte eine Proclamation erlassen
des Inhalts: "In Berlin ist eine Revolution ausgebrochen; ich
werde eine Stellung über den Parteien nehmen." Diese "Stütze
des Thrones" war später Minister und Inhaber hoher und einflu߬
reicher Aemter. General Hedemann gehörte dem Humboldtschen
Kreise an.

Nach Schönhausen zurückgekehrt, suchte ich den Bauern begreif¬
lich zu machen, daß der bewaffnete Zug nach Berlin nicht thunlich
sei, gerieth aber dadurch in den Verdacht, in Berlin von dem
revolutionären Schwindel angesteckt zu sein. Ich machte ihnen
daher den Vorschlag, der angenommen wurde, daß Deputirte aus
Schönhausen und andern Dörfern mit mir nach Potsdam reisen
sollten, um selbst zu sehn, und den General von Prittwitz, viel¬
leicht den Prinzen von Preußen zu sprechen. Als wir am 25. den
Bahnhof von Potsdam erreichten, war der König eben dort ein¬
getroffen und von einer großen Menschenmenge in wohlwollender
Stimmung empfangen worden. Ich sagte meinen bäuerlichen Be¬
gleitern: "Da ist der König, ich werde Euch ihm vorstellen, sprecht
mit ihm." Das lehnten sie aber ängstlich ab und verzogen sich
schnell in die hintersten Reihen. Ich begrüßte den König ehr¬
furchtsvoll, er dankte, ohne mich zu erkennen, und fuhr nach dem
Schlosse. Ich folgte ihm und hörte dort die Anrede, welche er im
Marmorsaale an die Offiziere des Gardecorps richtete*). Bei den
Worten: "Ich bin niemals freier und sichrer gewesen als unter
dem Schutze meiner Bürger" erhob sich ein Murren und Aufstoßen
von Säbelscheiden, wie es ein König von Preußen in Mitten
seiner Offiziere nie gehört haben wird und hoffentlich nie wieder
hören wird1).

*) Die meiner Erinnerung und sich unter einander widersprechenden
Berichte der Allgemeinen Preußischen, der Vossischen und der Schlesischen Zeitung
liegen mir vor. (Wolff, Berliner Revolutions-Chronik Band I 424.)
1) Sie findet sich nach den Aufzeichnungen eines Offiziers in Gerlach's
Denkwürdigkeiten I 148 f.

Zweites Kapitel: Das Jahr 1848.
politiſche Autorität der Provinz, hatte eine Proclamation erlaſſen
des Inhalts: „In Berlin iſt eine Revolution ausgebrochen; ich
werde eine Stellung über den Parteien nehmen.“ Dieſe „Stütze
des Thrones“ war ſpäter Miniſter und Inhaber hoher und einflu߬
reicher Aemter. General Hedemann gehörte dem Humboldtſchen
Kreiſe an.

Nach Schönhauſen zurückgekehrt, ſuchte ich den Bauern begreif¬
lich zu machen, daß der bewaffnete Zug nach Berlin nicht thunlich
ſei, gerieth aber dadurch in den Verdacht, in Berlin von dem
revolutionären Schwindel angeſteckt zu ſein. Ich machte ihnen
daher den Vorſchlag, der angenommen wurde, daß Deputirte aus
Schönhauſen und andern Dörfern mit mir nach Potsdam reiſen
ſollten, um ſelbſt zu ſehn, und den General von Prittwitz, viel¬
leicht den Prinzen von Preußen zu ſprechen. Als wir am 25. den
Bahnhof von Potsdam erreichten, war der König eben dort ein¬
getroffen und von einer großen Menſchenmenge in wohlwollender
Stimmung empfangen worden. Ich ſagte meinen bäuerlichen Be¬
gleitern: „Da iſt der König, ich werde Euch ihm vorſtellen, ſprecht
mit ihm.“ Das lehnten ſie aber ängſtlich ab und verzogen ſich
ſchnell in die hinterſten Reihen. Ich begrüßte den König ehr¬
furchtsvoll, er dankte, ohne mich zu erkennen, und fuhr nach dem
Schloſſe. Ich folgte ihm und hörte dort die Anrede, welche er im
Marmorſaale an die Offiziere des Gardecorps richtete*). Bei den
Worten: „Ich bin niemals freier und ſichrer geweſen als unter
dem Schutze meiner Bürger“ erhob ſich ein Murren und Aufſtoßen
von Säbelſcheiden, wie es ein König von Preußen in Mitten
ſeiner Offiziere nie gehört haben wird und hoffentlich nie wieder
hören wird1).

*) Die meiner Erinnerung und ſich unter einander widerſprechenden
Berichte der Allgemeinen Preußiſchen, der Voſſiſchen und der Schleſiſchen Zeitung
liegen mir vor. (Wolff, Berliner Revolutions-Chronik Band I 424.)
1) Sie findet ſich nach den Aufzeichnungen eines Offiziers in Gerlach's
Denkwürdigkeiten I 148 f.
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[26/0053] Zweites Kapitel: Das Jahr 1848. politiſche Autorität der Provinz, hatte eine Proclamation erlaſſen des Inhalts: „In Berlin iſt eine Revolution ausgebrochen; ich werde eine Stellung über den Parteien nehmen.“ Dieſe „Stütze des Thrones“ war ſpäter Miniſter und Inhaber hoher und einflu߬ reicher Aemter. General Hedemann gehörte dem Humboldtſchen Kreiſe an. Nach Schönhauſen zurückgekehrt, ſuchte ich den Bauern begreif¬ lich zu machen, daß der bewaffnete Zug nach Berlin nicht thunlich ſei, gerieth aber dadurch in den Verdacht, in Berlin von dem revolutionären Schwindel angeſteckt zu ſein. Ich machte ihnen daher den Vorſchlag, der angenommen wurde, daß Deputirte aus Schönhauſen und andern Dörfern mit mir nach Potsdam reiſen ſollten, um ſelbſt zu ſehn, und den General von Prittwitz, viel¬ leicht den Prinzen von Preußen zu ſprechen. Als wir am 25. den Bahnhof von Potsdam erreichten, war der König eben dort ein¬ getroffen und von einer großen Menſchenmenge in wohlwollender Stimmung empfangen worden. Ich ſagte meinen bäuerlichen Be¬ gleitern: „Da iſt der König, ich werde Euch ihm vorſtellen, ſprecht mit ihm.“ Das lehnten ſie aber ängſtlich ab und verzogen ſich ſchnell in die hinterſten Reihen. Ich begrüßte den König ehr¬ furchtsvoll, er dankte, ohne mich zu erkennen, und fuhr nach dem Schloſſe. Ich folgte ihm und hörte dort die Anrede, welche er im Marmorſaale an die Offiziere des Gardecorps richtete *). Bei den Worten: „Ich bin niemals freier und ſichrer geweſen als unter dem Schutze meiner Bürger“ erhob ſich ein Murren und Aufſtoßen von Säbelſcheiden, wie es ein König von Preußen in Mitten ſeiner Offiziere nie gehört haben wird und hoffentlich nie wieder hören wird 1). *) Die meiner Erinnerung und ſich unter einander widerſprechenden Berichte der Allgemeinen Preußiſchen, der Voſſiſchen und der Schleſiſchen Zeitung liegen mir vor. (Wolff, Berliner Revolutions-Chronik Band I 424.) 1) Sie findet ſich nach den Aufzeichnungen eines Offiziers in Gerlach's Denkwürdigkeiten I 148 f.

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/53>, abgerufen am 26.11.2024.