Erstes Kapitel: Bis zum Ersten Vereinigten Landtage.
einseitig, sondern nur communi consensu ändern können, bei Oeffentlichkeit und öffentlicher Kritik aller staatlichen Vorgänge durch Presse und Landtag.
Die Ueberzeugung, daß der uncontrollirte Absolutismus, wie er durch Louis XIV. zuerst in Scene gesetzt wurde, die richtigste Regirungsform für deutsche Unterthanen sei, verliert auch der, welcher sie hat, durch Specialstudien in den Hofgeschichten und durch kritische Beobachtungen, wie ich sie am Hofe des von mir persönlich geliebten und verehrten Königs Friedrich Wilhelms IV. zur Zeit Manteuffel's anstellen konnte. Der König war gläubiger, gottberufener Absolutist, und die Minister nach Brandenburg in der Regel zufrieden, wenn sie durch Königliche Unterschrift gedeckt waren, auch wenn sie persönlich den Inhalt des Unterschriebenen nicht hätten verantworten mögen. Ich erlebte damals, daß ein hoher und absolutistisch gesinnter Hofbeamter in meiner und mehrer seiner Collegen Gegenwart auf die Nachricht von dem Neufchateler Aufstand der Royalisten in einer gewissen Verblüffung sagte: "Das ist ein Royalismus, den man heut zu Tage doch nur noch sehr fern vom Hofe erlebt." Sarkasmen lagen sonst nicht in der Ge¬ wohnheit dieses alten Herrn.
Wahrnehmungen, welche ich auf dem Lande über Bestechlich¬ keit und Chicane von Bezirksfeldwebeln und subalternen Beamten machte, und kleine Conflicte, in welche ich als Kreisdeputirter und Stellvertreter des Landraths mit der Regirung in Stettin gerieth, steigerten meine Abneigung gegen die Herrschaft der Bürokratie. Von diesen Conflicten mag der eine erwähnt sein. Während ich den beurlaubten Landrath vertrat, erhielt ich von der Regirung den Auftrag, den Patron von Külz, der ich selbst war, zur Ueber¬ nahme gewisser Lasten zu bewegen. Ich ließ den Auftrag liegen, um ihn dem Landrathe bei seiner Rückkehr zu übergeben, wurde wiederholt excitirt, und eine Ordnungsstrafe von einem Thaler wurde mir durch Postvorschuß auferlegt. Ich setzte nun ein Protokoll auf, in welchem ich erstens als stellvertretender Landrath, zweitens
Erſtes Kapitel: Bis zum Erſten Vereinigten Landtage.
einſeitig, ſondern nur communi consensu ändern können, bei Oeffentlichkeit und öffentlicher Kritik aller ſtaatlichen Vorgänge durch Preſſe und Landtag.
Die Ueberzeugung, daß der uncontrollirte Abſolutismus, wie er durch Louis XIV. zuerſt in Scene geſetzt wurde, die richtigſte Regirungsform für deutſche Unterthanen ſei, verliert auch der, welcher ſie hat, durch Specialſtudien in den Hofgeſchichten und durch kritiſche Beobachtungen, wie ich ſie am Hofe des von mir perſönlich geliebten und verehrten Königs Friedrich Wilhelms IV. zur Zeit Manteuffel's anſtellen konnte. Der König war gläubiger, gottberufener Abſolutiſt, und die Miniſter nach Brandenburg in der Regel zufrieden, wenn ſie durch Königliche Unterſchrift gedeckt waren, auch wenn ſie perſönlich den Inhalt des Unterſchriebenen nicht hätten verantworten mögen. Ich erlebte damals, daß ein hoher und abſolutiſtiſch geſinnter Hofbeamter in meiner und mehrer ſeiner Collegen Gegenwart auf die Nachricht von dem Neufchâteler Aufſtand der Royaliſten in einer gewiſſen Verblüffung ſagte: „Das iſt ein Royalismus, den man heut zu Tage doch nur noch ſehr fern vom Hofe erlebt.“ Sarkasmen lagen ſonſt nicht in der Ge¬ wohnheit dieſes alten Herrn.
Wahrnehmungen, welche ich auf dem Lande über Beſtechlich¬ keit und Chicane von Bezirksfeldwebeln und ſubalternen Beamten machte, und kleine Conflicte, in welche ich als Kreisdeputirter und Stellvertreter des Landraths mit der Regirung in Stettin gerieth, ſteigerten meine Abneigung gegen die Herrſchaft der Bürokratie. Von dieſen Conflicten mag der eine erwähnt ſein. Während ich den beurlaubten Landrath vertrat, erhielt ich von der Regirung den Auftrag, den Patron von Külz, der ich ſelbſt war, zur Ueber¬ nahme gewiſſer Laſten zu bewegen. Ich ließ den Auftrag liegen, um ihn dem Landrathe bei ſeiner Rückkehr zu übergeben, wurde wiederholt excitirt, und eine Ordnungsſtrafe von einem Thaler wurde mir durch Poſtvorſchuß auferlegt. Ich ſetzte nun ein Protokoll auf, in welchem ich erſtens als ſtellvertretender Landrath, zweitens
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Erſtes Kapitel: Bis zum Erſten Vereinigten Landtage.
einſeitig, ſondern nur communi consensu ändern können, bei
Oeffentlichkeit und öffentlicher Kritik aller ſtaatlichen Vorgänge
durch Preſſe und Landtag.
Die Ueberzeugung, daß der uncontrollirte Abſolutismus, wie
er durch Louis XIV. zuerſt in Scene geſetzt wurde, die richtigſte
Regirungsform für deutſche Unterthanen ſei, verliert auch der,
welcher ſie hat, durch Specialſtudien in den Hofgeſchichten und
durch kritiſche Beobachtungen, wie ich ſie am Hofe des von mir
perſönlich geliebten und verehrten Königs Friedrich Wilhelms IV.
zur Zeit Manteuffel's anſtellen konnte. Der König war gläubiger,
gottberufener Abſolutiſt, und die Miniſter nach Brandenburg in der
Regel zufrieden, wenn ſie durch Königliche Unterſchrift gedeckt
waren, auch wenn ſie perſönlich den Inhalt des Unterſchriebenen
nicht hätten verantworten mögen. Ich erlebte damals, daß ein hoher
und abſolutiſtiſch geſinnter Hofbeamter in meiner und mehrer
ſeiner Collegen Gegenwart auf die Nachricht von dem Neufchâteler
Aufſtand der Royaliſten in einer gewiſſen Verblüffung ſagte: „Das
iſt ein Royalismus, den man heut zu Tage doch nur noch ſehr
fern vom Hofe erlebt.“ Sarkasmen lagen ſonſt nicht in der Ge¬
wohnheit dieſes alten Herrn.
Wahrnehmungen, welche ich auf dem Lande über Beſtechlich¬
keit und Chicane von Bezirksfeldwebeln und ſubalternen Beamten
machte, und kleine Conflicte, in welche ich als Kreisdeputirter und
Stellvertreter des Landraths mit der Regirung in Stettin gerieth,
ſteigerten meine Abneigung gegen die Herrſchaft der Bürokratie.
Von dieſen Conflicten mag der eine erwähnt ſein. Während ich
den beurlaubten Landrath vertrat, erhielt ich von der Regirung
den Auftrag, den Patron von Külz, der ich ſelbſt war, zur Ueber¬
nahme gewiſſer Laſten zu bewegen. Ich ließ den Auftrag liegen,
um ihn dem Landrathe bei ſeiner Rückkehr zu übergeben, wurde
wiederholt excitirt, und eine Ordnungsſtrafe von einem Thaler
wurde mir durch Poſtvorſchuß auferlegt. Ich ſetzte nun ein Protokoll
auf, in welchem ich erſtens als ſtellvertretender Landrath, zweitens
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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/43>, abgerufen am 16.02.2025.
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