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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.

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Graf Rechbergs Stellung erschüttert durch die Zollverhandlung.
abdingen können, und weil die politische Seite der Frage im
Vordergrunde stand. Die Zolleinigung hielt ich für eine un¬
ausführbare Utopie wegen der Verschiedenheit der wirthschaftlichen
und administrativen Zustände beider Theile. Die Gegenstände,
die im Norden des Zollvereins die finanzielle Unterlage bildeten,
gelangen in dem größern Theile des östreichisch-ungarischen Gebietes
garnicht zum Verbrauch. Die Schwierigkeiten, welche die Verschieden¬
heiten der Lebensgewohnheiten und der Consumtion zwischen Nord-
und Süddeutschland schon innerhalb des Zollvereins bedingten, mußten
unüberwindlich werden, wenn beide Regionen mit den östlichen
Ländern Oestreich-Ungarns von derselben Zollgrenze umschlossen
werden sollten. Ein gerechter, der bestehenden Consumtion zoll¬
pflichtiger Waaren entsprechender Maßstab der Vertheilung würde
sich nicht vereinbaren lassen; jeder Maßstab würde entweder un¬
gerecht für den Zollverein oder unannehmbar für die öffentliche
Meinung in Oestreich-Ungarn sein. Der bedürfnißlose Slowake
und Galizier einerseits, der Rheinländer und der Niedersachse
andrerseits sind für die Besteuerung nicht commensurabel. Außer¬
dem fehlte mir der Glaube an die Zuverlässigkeit des Dienstes auf
einem großen Theile der östreichischen Grenzen.

Von der Unmöglichkeit der Zolleinigung überzeugt, hatte ich
kein Bedenken, dem Grafen Rechberg den gewünschten Dienst zu er¬
weisen, um ihn im Amte zu erhalten. Ich glaubte bei meiner Ab¬
reise nach Biarritz (5. October) sicher zu sein, daß der König an
meinem Votum festhalten werde; und mir sind noch heut die Motive
nicht klar, welche meine Collegen, den Finanzminister Karl von
Bodelschwingh und den Handelsminister Grafen Itzenplitz, und ihren
freihändlerischen spiritus rector Delbrück bestimmt haben, während
meiner Abwesenheit den König auf einem ihm ziemlich fremden
Gebiete mit so viel Entschiedenheit zu bearbeiten, daß durch unsre
Ablehnung die Stellung Rechbergs, wie er es vorhergesagt hatte,
erschüttert und er in dem auswärtigen Ministerium durch Mens¬
dorff ersetzt wurde, der zunächst der Candidat Schmerlings war,

Graf Rechbergs Stellung erſchüttert durch die Zollverhandlung.
abdingen können, und weil die politiſche Seite der Frage im
Vordergrunde ſtand. Die Zolleinigung hielt ich für eine un¬
ausführbare Utopie wegen der Verſchiedenheit der wirthſchaftlichen
und adminiſtrativen Zuſtände beider Theile. Die Gegenſtände,
die im Norden des Zollvereins die finanzielle Unterlage bildeten,
gelangen in dem größern Theile des öſtreichiſch-ungariſchen Gebietes
garnicht zum Verbrauch. Die Schwierigkeiten, welche die Verſchieden¬
heiten der Lebensgewohnheiten und der Conſumtion zwiſchen Nord-
und Süddeutſchland ſchon innerhalb des Zollvereins bedingten, mußten
unüberwindlich werden, wenn beide Regionen mit den öſtlichen
Ländern Oeſtreich-Ungarns von derſelben Zollgrenze umſchloſſen
werden ſollten. Ein gerechter, der beſtehenden Conſumtion zoll¬
pflichtiger Waaren entſprechender Maßſtab der Vertheilung würde
ſich nicht vereinbaren laſſen; jeder Maßſtab würde entweder un¬
gerecht für den Zollverein oder unannehmbar für die öffentliche
Meinung in Oeſtreich-Ungarn ſein. Der bedürfnißloſe Slowake
und Galizier einerſeits, der Rheinländer und der Niederſachſe
andrerſeits ſind für die Beſteuerung nicht commenſurabel. Außer¬
dem fehlte mir der Glaube an die Zuverläſſigkeit des Dienſtes auf
einem großen Theile der öſtreichiſchen Grenzen.

Von der Unmöglichkeit der Zolleinigung überzeugt, hatte ich
kein Bedenken, dem Grafen Rechberg den gewünſchten Dienſt zu er¬
weiſen, um ihn im Amte zu erhalten. Ich glaubte bei meiner Ab¬
reiſe nach Biarritz (5. October) ſicher zu ſein, daß der König an
meinem Votum feſthalten werde; und mir ſind noch heut die Motive
nicht klar, welche meine Collegen, den Finanzminiſter Karl von
Bodelſchwingh und den Handelsminiſter Grafen Itzenplitz, und ihren
freihändleriſchen spiritus rector Delbrück beſtimmt haben, während
meiner Abweſenheit den König auf einem ihm ziemlich fremden
Gebiete mit ſo viel Entſchiedenheit zu bearbeiten, daß durch unſre
Ablehnung die Stellung Rechbergs, wie er es vorhergeſagt hatte,
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[347/0374] Graf Rechbergs Stellung erſchüttert durch die Zollverhandlung. abdingen können, und weil die politiſche Seite der Frage im Vordergrunde ſtand. Die Zolleinigung hielt ich für eine un¬ ausführbare Utopie wegen der Verſchiedenheit der wirthſchaftlichen und adminiſtrativen Zuſtände beider Theile. Die Gegenſtände, die im Norden des Zollvereins die finanzielle Unterlage bildeten, gelangen in dem größern Theile des öſtreichiſch-ungariſchen Gebietes garnicht zum Verbrauch. Die Schwierigkeiten, welche die Verſchieden¬ heiten der Lebensgewohnheiten und der Conſumtion zwiſchen Nord- und Süddeutſchland ſchon innerhalb des Zollvereins bedingten, mußten unüberwindlich werden, wenn beide Regionen mit den öſtlichen Ländern Oeſtreich-Ungarns von derſelben Zollgrenze umſchloſſen werden ſollten. Ein gerechter, der beſtehenden Conſumtion zoll¬ pflichtiger Waaren entſprechender Maßſtab der Vertheilung würde ſich nicht vereinbaren laſſen; jeder Maßſtab würde entweder un¬ gerecht für den Zollverein oder unannehmbar für die öffentliche Meinung in Oeſtreich-Ungarn ſein. Der bedürfnißloſe Slowake und Galizier einerſeits, der Rheinländer und der Niederſachſe andrerſeits ſind für die Beſteuerung nicht commenſurabel. Außer¬ dem fehlte mir der Glaube an die Zuverläſſigkeit des Dienſtes auf einem großen Theile der öſtreichiſchen Grenzen. Von der Unmöglichkeit der Zolleinigung überzeugt, hatte ich kein Bedenken, dem Grafen Rechberg den gewünſchten Dienſt zu er¬ weiſen, um ihn im Amte zu erhalten. Ich glaubte bei meiner Ab¬ reiſe nach Biarritz (5. October) ſicher zu ſein, daß der König an meinem Votum feſthalten werde; und mir ſind noch heut die Motive nicht klar, welche meine Collegen, den Finanzminiſter Karl von Bodelſchwingh und den Handelsminiſter Grafen Itzenplitz, und ihren freihändleriſchen spiritus rector Delbrück beſtimmt haben, während meiner Abweſenheit den König auf einem ihm ziemlich fremden Gebiete mit ſo viel Entſchiedenheit zu bearbeiten, daß durch unſre Ablehnung die Stellung Rechbergs, wie er es vorhergeſagt hatte, erſchüttert und er in dem auswärtigen Miniſterium durch Mens¬ dorff erſetzt wurde, der zunächſt der Candidat Schmerlings war,

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 347. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/374>, abgerufen am 25.11.2024.