Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.
Verständigung Oestreichs mit Preußen gegenüber Dänemark. die Mittelstaaten*). Darin hatte er für den Augenblick Recht, fürdie Dauer aber doch nur dann, wenn Oestreich bereit war, Preußen als gleichberechtigt in Deutschland thatsächlich zu behandeln und Preußens Beistand in den europäischen Interessen, die Oestreich in Italien und im Orient hatte, durch die Gestattung freier Be¬ wegung des preußischen Einflusses wenigstens in Norddeutschland zu vergelten. Der Anfang der dualistischen Politik gewährte ihr eine glänzende Bethätigung in den gemeinsamen Kämpfen an der Schlei, dem gemeinsamen Einrücken in Jütland und dem gemeinsamen Friedensschlusse mit Dänemark. Das preußisch-öst¬ reichische Bündniß bewährte sich selbst unter der Abschwächung, die in der Verstimmung der übrigen Bundesstaaten lag, doch als hinreichendes Schwergewicht, um die widerstrebende Verstim¬ mung der andern Großmächte, unter deren Deckung Dänemark dem gesammten Deutschthum den Handschuh hatte hinwerfen können, im Zaume zu halten. Unser weitres Zusammengehn mit Oestreich war gefährdet Damals indessen gelang es mir, den König zu bestimmen, *) Wir blieben infolge dieser Episode Jahre hindurch in persönlicher Ver¬ stimmung und gingen am Hofe schweigend einander her, bis bei einer der vielen Gelegenheiten, wo wir Tischnachbarn waren, mich der Feldmarschall verschämt lächelnd anredete: "Mein Sohn, kannst Du garnicht vergessen?" Ich antwortete: "Wie sollte ich es anfangen, zu vergessen, was ich erlebt habe?" Darauf er nach längerem Schweigen: "Kannst Du auch nicht vergeben?" Ich erwiderte: "Von ganzem Herzen." Wir schüttelten uns die Hände und waren wieder Freunde wie in frühern Zeiten. 1) Vgl. Beust a. a. O. I 336.
Verſtändigung Oeſtreichs mit Preußen gegenüber Dänemark. die Mittelſtaaten*). Darin hatte er für den Augenblick Recht, fürdie Dauer aber doch nur dann, wenn Oeſtreich bereit war, Preußen als gleichberechtigt in Deutſchland thatſächlich zu behandeln und Preußens Beiſtand in den europäiſchen Intereſſen, die Oeſtreich in Italien und im Orient hatte, durch die Geſtattung freier Be¬ wegung des preußiſchen Einfluſſes wenigſtens in Norddeutſchland zu vergelten. Der Anfang der dualiſtiſchen Politik gewährte ihr eine glänzende Bethätigung in den gemeinſamen Kämpfen an der Schlei, dem gemeinſamen Einrücken in Jütland und dem gemeinſamen Friedensſchluſſe mit Dänemark. Das preußiſch-öſt¬ reichiſche Bündniß bewährte ſich ſelbſt unter der Abſchwächung, die in der Verſtimmung der übrigen Bundesſtaaten lag, doch als hinreichendes Schwergewicht, um die widerſtrebende Verſtim¬ mung der andern Großmächte, unter deren Deckung Dänemark dem geſammten Deutſchthum den Handſchuh hatte hinwerfen können, im Zaume zu halten. Unſer weitres Zuſammengehn mit Oeſtreich war gefährdet Damals indeſſen gelang es mir, den König zu beſtimmen, *) Wir blieben infolge dieſer Epiſode Jahre hindurch in perſönlicher Ver¬ ſtimmung und gingen am Hofe ſchweigend einander her, bis bei einer der vielen Gelegenheiten, wo wir Tiſchnachbarn waren, mich der Feldmarſchall verſchämt lächelnd anredete: „Mein Sohn, kannſt Du garnicht vergeſſen?“ Ich antwortete: „Wie ſollte ich es anfangen, zu vergeſſen, was ich erlebt habe?“ Darauf er nach längerem Schweigen: „Kannſt Du auch nicht vergeben?“ Ich erwiderte: „Von ganzem Herzen.“ Wir ſchüttelten uns die Hände und waren wieder Freunde wie in frühern Zeiten. 1) Vgl. Beuſt a. a. O. I 336.
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0370" n="343"/><fw place="top" type="header">Verſtändigung Oeſtreichs mit Preußen gegenüber Dänemark.<lb/></fw>die Mittelſtaaten<note place="foot" n="*)"><lb/> Wir blieben infolge dieſer Epiſode Jahre hindurch in perſönlicher Ver¬<lb/> ſtimmung und gingen am Hofe ſchweigend einander her, bis bei einer<lb/> der vielen Gelegenheiten, wo wir Tiſchnachbarn waren, mich der Feldmarſchall<lb/> verſchämt lächelnd anredete: „Mein Sohn, kannſt Du garnicht vergeſſen?“<lb/> Ich antwortete: „Wie ſollte ich es anfangen, zu vergeſſen, was ich erlebt habe?“<lb/> Darauf er nach längerem Schweigen: „Kannſt Du auch nicht vergeben?“ Ich<lb/> erwiderte: „Von ganzem Herzen.“ Wir ſchüttelten uns die Hände und waren<lb/> wieder Freunde wie in frühern Zeiten.</note>. Darin hatte er für den Augenblick Recht, für<lb/> die Dauer aber doch nur dann, wenn Oeſtreich bereit war, Preußen<lb/> als gleichberechtigt in Deutſchland thatſächlich zu behandeln und<lb/> Preußens Beiſtand in den europäiſchen Intereſſen, die Oeſtreich<lb/> in Italien und im Orient hatte, durch die Geſtattung freier Be¬<lb/> wegung des preußiſchen Einfluſſes wenigſtens in Norddeutſchland<lb/> zu vergelten. Der Anfang der dualiſtiſchen Politik gewährte<lb/> ihr eine glänzende Bethätigung in den gemeinſamen Kämpfen<lb/> an der Schlei, dem gemeinſamen Einrücken in Jütland und dem<lb/> gemeinſamen Friedensſchluſſe mit Dänemark. Das preußiſch-öſt¬<lb/> reichiſche Bündniß bewährte ſich ſelbſt unter der Abſchwächung,<lb/> die in der Verſtimmung der übrigen Bundesſtaaten lag, doch<lb/> als hinreichendes Schwergewicht, um die widerſtrebende Verſtim¬<lb/> mung der andern Großmächte, unter deren Deckung Dänemark<lb/> dem geſammten Deutſchthum den Handſchuh hatte hinwerfen können,<lb/> im Zaume zu halten.</p><lb/> <p>Unſer weitres Zuſammengehn mit Oeſtreich war gefährdet<lb/> zuerſt bei dem heftigen Andrang militäriſcher Einflüſſe auf den<lb/> König, die ihn zum Ueberſchreiten der jütiſchen Grenze auch ohne<lb/> Oeſtreich bewegen wollten. Mein alter Freund, der Feldmarſchall<lb/> Wrangel, ſchickte unchiffrirt die gröbſten Injurien gegen mich tele¬<lb/> graphiſch an den König, in denen in Bezug auf mich von Diplo¬<lb/> maten, die an den Galgen gehörten, die Rede war<note place="foot" n="1)"><lb/> Vgl. Beuſt a. a. O. <hi rendition="#aq">I</hi> 336.</note>.</p><lb/> <p>Damals indeſſen gelang es mir, den König zu beſtimmen,<lb/> daß wir nicht um ein Haarbreit an Oeſtreich vorbei gingen und<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [343/0370]
Verſtändigung Oeſtreichs mit Preußen gegenüber Dänemark.
die Mittelſtaaten *). Darin hatte er für den Augenblick Recht, für
die Dauer aber doch nur dann, wenn Oeſtreich bereit war, Preußen
als gleichberechtigt in Deutſchland thatſächlich zu behandeln und
Preußens Beiſtand in den europäiſchen Intereſſen, die Oeſtreich
in Italien und im Orient hatte, durch die Geſtattung freier Be¬
wegung des preußiſchen Einfluſſes wenigſtens in Norddeutſchland
zu vergelten. Der Anfang der dualiſtiſchen Politik gewährte
ihr eine glänzende Bethätigung in den gemeinſamen Kämpfen
an der Schlei, dem gemeinſamen Einrücken in Jütland und dem
gemeinſamen Friedensſchluſſe mit Dänemark. Das preußiſch-öſt¬
reichiſche Bündniß bewährte ſich ſelbſt unter der Abſchwächung,
die in der Verſtimmung der übrigen Bundesſtaaten lag, doch
als hinreichendes Schwergewicht, um die widerſtrebende Verſtim¬
mung der andern Großmächte, unter deren Deckung Dänemark
dem geſammten Deutſchthum den Handſchuh hatte hinwerfen können,
im Zaume zu halten.
Unſer weitres Zuſammengehn mit Oeſtreich war gefährdet
zuerſt bei dem heftigen Andrang militäriſcher Einflüſſe auf den
König, die ihn zum Ueberſchreiten der jütiſchen Grenze auch ohne
Oeſtreich bewegen wollten. Mein alter Freund, der Feldmarſchall
Wrangel, ſchickte unchiffrirt die gröbſten Injurien gegen mich tele¬
graphiſch an den König, in denen in Bezug auf mich von Diplo¬
maten, die an den Galgen gehörten, die Rede war 1).
Damals indeſſen gelang es mir, den König zu beſtimmen,
daß wir nicht um ein Haarbreit an Oeſtreich vorbei gingen und
*)
Wir blieben infolge dieſer Epiſode Jahre hindurch in perſönlicher Ver¬
ſtimmung und gingen am Hofe ſchweigend einander her, bis bei einer
der vielen Gelegenheiten, wo wir Tiſchnachbarn waren, mich der Feldmarſchall
verſchämt lächelnd anredete: „Mein Sohn, kannſt Du garnicht vergeſſen?“
Ich antwortete: „Wie ſollte ich es anfangen, zu vergeſſen, was ich erlebt habe?“
Darauf er nach längerem Schweigen: „Kannſt Du auch nicht vergeben?“ Ich
erwiderte: „Von ganzem Herzen.“ Wir ſchüttelten uns die Hände und waren
wieder Freunde wie in frühern Zeiten.
1)
Vgl. Beuſt a. a. O. I 336.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
| URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898 |
| URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/370 |
| Zitationshilfe: | Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 343. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/370>, abgerufen am 25.11.2024. |
