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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.

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Abneigung Oestreichs gegen friedlichen Dualismus. Einladung.
vor sich ging und von der ich weiter keinen Eindruck behielt, als
daß er mehr mich sondiren als mir Vorschläge auf dem Gebiete
der deutschen Frage machen wollte. Die wirthschaftlichen und
finanziellen Fragen, in denen er mir 1878 den vollen Beistand
seiner Sachkunde und Arbeitskraft geliehn hat, nahmen schon da¬
mals eine hervorragende Stelle in seiner Auffassung ein, allerdings
in Anlehnung an großdeutsche Politik mit entsprechender Zoll¬
einigung.

In Gastein saß ich am 2. August 1863 in den Schwarzen¬
bergischen Anlagen an der tiefen Schlucht der Ache unter den Tannen.
Ueber mir befand sich ein Meisennest, und ich beobachtete mit der
Uhr in der Hand, wie oft in der Minute der Vogel seinen Jungen
eine Raupe oder andres Ungeziefer zutrug. Während ich der nütz¬
lichen Thätigkeit dieser Thierchen zusah, bemerkte ich, daß auf der
andern Seite der Schlucht, auf dem Schillerplatze, König Wil¬
helm allein auf einer Bank saß. Als die Zeit herangekommen
war, mich zu dem Diner bei dem Könige anzuziehn, ging ich in
meine Wohnung und fand dort ein Briefchen Sr. Majestät vor,
des Inhalts, daß er mich auf dem Schillerplatze erwarten wolle,
um wegen der Begegnung mit dem Kaiser mit mir zu sprechen.
Ich beeilte mich nach Möglichkeit, aber ehe ich das Königliche
Quartier erreichte, hatte bereits eine Unterredung der beiden hohen
Herrn stattgefunden. Wenn ich mich weniger lange bei der Natur¬
betrachtung aufgehalten und den König früher gesehn hätte, so wäre
der erste Eindruck, den die Eröffnungen des Kaisers auf den König
gemacht haben, vielleicht ein andrer gewesen

Er fühlte zunächst nicht die Unterschätzung, welche in dieser
Ueberrumpelung lag, in dieser Einladung, man könnte sagen Ladung,
a courte echeance. Der östreichische Vorschlag gefiel ihm viel¬
leicht wegen des darin liegenden Elementes fürstlicher Solidarität
in dem Kampfe gegen den parlamentarischen Liberalismus, durch
den er selbst damals in Berlin bedrängt wurde. Auch die Königin
Elisabeth, die wir auf der Reise von Gastein nach Baden in Wild¬

Abneigung Oeſtreichs gegen friedlichen Dualismus. Einladung.
vor ſich ging und von der ich weiter keinen Eindruck behielt, als
daß er mehr mich ſondiren als mir Vorſchläge auf dem Gebiete
der deutſchen Frage machen wollte. Die wirthſchaftlichen und
finanziellen Fragen, in denen er mir 1878 den vollen Beiſtand
ſeiner Sachkunde und Arbeitskraft geliehn hat, nahmen ſchon da¬
mals eine hervorragende Stelle in ſeiner Auffaſſung ein, allerdings
in Anlehnung an großdeutſche Politik mit entſprechender Zoll¬
einigung.

In Gaſtein ſaß ich am 2. Auguſt 1863 in den Schwarzen¬
bergiſchen Anlagen an der tiefen Schlucht der Ache unter den Tannen.
Ueber mir befand ſich ein Meiſenneſt, und ich beobachtete mit der
Uhr in der Hand, wie oft in der Minute der Vogel ſeinen Jungen
eine Raupe oder andres Ungeziefer zutrug. Während ich der nütz¬
lichen Thätigkeit dieſer Thierchen zuſah, bemerkte ich, daß auf der
andern Seite der Schlucht, auf dem Schillerplatze, König Wil¬
helm allein auf einer Bank ſaß. Als die Zeit herangekommen
war, mich zu dem Diner bei dem Könige anzuziehn, ging ich in
meine Wohnung und fand dort ein Briefchen Sr. Majeſtät vor,
des Inhalts, daß er mich auf dem Schillerplatze erwarten wolle,
um wegen der Begegnung mit dem Kaiſer mit mir zu ſprechen.
Ich beeilte mich nach Möglichkeit, aber ehe ich das Königliche
Quartier erreichte, hatte bereits eine Unterredung der beiden hohen
Herrn ſtattgefunden. Wenn ich mich weniger lange bei der Natur¬
betrachtung aufgehalten und den König früher geſehn hätte, ſo wäre
der erſte Eindruck, den die Eröffnungen des Kaiſers auf den König
gemacht haben, vielleicht ein andrer geweſen

Er fühlte zunächſt nicht die Unterſchätzung, welche in dieſer
Ueberrumpelung lag, in dieſer Einladung, man könnte ſagen Ladung,
à courte échéance. Der öſtreichiſche Vorſchlag gefiel ihm viel¬
leicht wegen des darin liegenden Elementes fürſtlicher Solidarität
in dem Kampfe gegen den parlamentariſchen Liberalismus, durch
den er ſelbſt damals in Berlin bedrängt wurde. Auch die Königin
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[339/0366] Abneigung Oeſtreichs gegen friedlichen Dualismus. Einladung. vor ſich ging und von der ich weiter keinen Eindruck behielt, als daß er mehr mich ſondiren als mir Vorſchläge auf dem Gebiete der deutſchen Frage machen wollte. Die wirthſchaftlichen und finanziellen Fragen, in denen er mir 1878 den vollen Beiſtand ſeiner Sachkunde und Arbeitskraft geliehn hat, nahmen ſchon da¬ mals eine hervorragende Stelle in ſeiner Auffaſſung ein, allerdings in Anlehnung an großdeutſche Politik mit entſprechender Zoll¬ einigung. In Gaſtein ſaß ich am 2. Auguſt 1863 in den Schwarzen¬ bergiſchen Anlagen an der tiefen Schlucht der Ache unter den Tannen. Ueber mir befand ſich ein Meiſenneſt, und ich beobachtete mit der Uhr in der Hand, wie oft in der Minute der Vogel ſeinen Jungen eine Raupe oder andres Ungeziefer zutrug. Während ich der nütz¬ lichen Thätigkeit dieſer Thierchen zuſah, bemerkte ich, daß auf der andern Seite der Schlucht, auf dem Schillerplatze, König Wil¬ helm allein auf einer Bank ſaß. Als die Zeit herangekommen war, mich zu dem Diner bei dem Könige anzuziehn, ging ich in meine Wohnung und fand dort ein Briefchen Sr. Majeſtät vor, des Inhalts, daß er mich auf dem Schillerplatze erwarten wolle, um wegen der Begegnung mit dem Kaiſer mit mir zu ſprechen. Ich beeilte mich nach Möglichkeit, aber ehe ich das Königliche Quartier erreichte, hatte bereits eine Unterredung der beiden hohen Herrn ſtattgefunden. Wenn ich mich weniger lange bei der Natur¬ betrachtung aufgehalten und den König früher geſehn hätte, ſo wäre der erſte Eindruck, den die Eröffnungen des Kaiſers auf den König gemacht haben, vielleicht ein andrer geweſen Er fühlte zunächſt nicht die Unterſchätzung, welche in dieſer Ueberrumpelung lag, in dieſer Einladung, man könnte ſagen Ladung, à courte échéance. Der öſtreichiſche Vorſchlag gefiel ihm viel¬ leicht wegen des darin liegenden Elementes fürſtlicher Solidarität in dem Kampfe gegen den parlamentariſchen Liberalismus, durch den er ſelbſt damals in Berlin bedrängt wurde. Auch die Königin Eliſabeth, die wir auf der Reiſe von Gaſtein nach Baden in Wild¬

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 339. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/366>, abgerufen am 24.11.2024.