Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.Geringschätzung Preußens in Wien. Oestreichs Selbstüberschätzung. in den fortschrittlichen Blättern *)bis zu den offnen Kundgebungengroßer communaler Körperschaften und dem Ausfall der Wahlen, bezeugen. Aber in unsre Regimenter und deren Feuergefecht auf den Schlachtfeldern reichten diese Strömungen nicht hinein, und auf den Schlachtfeldern lag schließlich die Entscheidung. Auch die symptomatische Thatsache, daß in Berlin durch Vermittlung des frühern auswärtigen und damaligen Hausministers von Schleinitz noch während der ersten Gefechte in Böhmen diplomatische Zette¬ lungen mit höfischer Beziehung stattfanden, blieb auf die militärische Seite der Kriegführung ohne jeden Einfluß. Wenn das östreichische Cabinet die vertrauliche Eröffnung, *) In den Berliner Bilderläden hing eine Lithographie aus, in der das Attentat so dargestellt war, daß der Teufel die für mich bestimmten Kugeln auffing mit den Worten: Der gehört mir! (Vgl. Politische Reden X 123, Rede vom 9. Mai 1884). Otto Fürst von Bismarck, Gedanken und Erinnerungen. I. 22
Geringſchätzung Preußens in Wien. Oeſtreichs Selbſtüberſchätzung. in den fortſchrittlichen Blättern *)bis zu den offnen Kundgebungengroßer communaler Körperſchaften und dem Ausfall der Wahlen, bezeugen. Aber in unſre Regimenter und deren Feuergefecht auf den Schlachtfeldern reichten dieſe Strömungen nicht hinein, und auf den Schlachtfeldern lag ſchließlich die Entſcheidung. Auch die ſymptomatiſche Thatſache, daß in Berlin durch Vermittlung des frühern auswärtigen und damaligen Hausminiſters von Schleinitz noch während der erſten Gefechte in Böhmen diplomatiſche Zette¬ lungen mit höfiſcher Beziehung ſtattfanden, blieb auf die militäriſche Seite der Kriegführung ohne jeden Einfluß. Wenn das öſtreichiſche Cabinet die vertrauliche Eröffnung, *) In den Berliner Bilderläden hing eine Lithographie aus, in der das Attentat ſo dargeſtellt war, daß der Teufel die für mich beſtimmten Kugeln auffing mit den Worten: Der gehört mir! (Vgl. Politiſche Reden X 123, Rede vom 9. Mai 1884). Otto Fürſt von Bismarck, Gedanken und Erinnerungen. I. 22
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Geringſchätzung Preußens in Wien. Oeſtreichs Selbſtüberſchätzung.
in den fortſchrittlichen Blättern *)bis zu den offnen Kundgebungen
großer communaler Körperſchaften und dem Ausfall der Wahlen,
bezeugen. Aber in unſre Regimenter und deren Feuergefecht auf
den Schlachtfeldern reichten dieſe Strömungen nicht hinein, und
auf den Schlachtfeldern lag ſchließlich die Entſcheidung. Auch die
ſymptomatiſche Thatſache, daß in Berlin durch Vermittlung des
frühern auswärtigen und damaligen Hausminiſters von Schleinitz
noch während der erſten Gefechte in Böhmen diplomatiſche Zette¬
lungen mit höfiſcher Beziehung ſtattfanden, blieb auf die militäriſche
Seite der Kriegführung ohne jeden Einfluß.
Wenn das öſtreichiſche Cabinet die vertrauliche Eröffnung,
die ich dem Grafen Karolyi 1862 gemacht hatte, ohne irrthüm¬
liche Schätzung der Realitäten richtig gewürdigt und ſeine Politik
dahin modificirt hätte, die Verſtändigung mit Preußen anſtatt deſſen
Vergewaltigung durch Majoritäten und andre Einflüſſe zu ſuchen,
ſo hätten wir wahrſcheinlich eine Periode dualiſtiſcher Politik in
Deutſchland erlebt oder doch verſucht. Es iſt freilich zweifelhaft,
ob eine ſolche ohne die klärende Wirkung der Erfahrungen von
1866 und 1870 ſich in einem für das deutſche Nationalgefühl an¬
nehmbaren Sinne friedlich, unter dauernder Verhütung des innern
Zwieſpalts, hätte entwickeln können. Der Glaube an die militäriſche
Ueberlegenheit Oeſtreichs war in Wien und an den mittelſtaat¬
lichen Höfen zu ſtark für einen modus vivendi auf dem Fuße der
Gleichheit mit Preußen. Der Beweis für Wien lag in den Pro¬
clamationen, die in den Torniſtern der öſtreichiſchen Soldaten
neben den neuen, zum Einzuge in Berlin beſtimmten Uniformen
gefunden wurden und deren Inhalt die Sicherheit verrieth, mit der
man auf ſiegreiche Occupation der preußiſchen Provinzen gerechnet
hatte. Auch die Ablehnung der letzten durch den Bruder des
*)
In den Berliner Bilderläden hing eine Lithographie aus, in der das
Attentat ſo dargeſtellt war, daß der Teufel die für mich beſtimmten Kugeln
auffing mit den Worten: Der gehört mir! (Vgl. Politiſche Reden X 123, Rede
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