Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.Siebzehntes Kapitel: Der Frankfurter Fürstentag. daß, wenn der sechsundsechziger Krieg schon 1850 geführt wordenwäre, unsre Aussichten bedenklich gewesen sein würden. Mit unsrer Schüchternheit noch in den sechziger Jahren zu rechnen, war ein Irrthum, bei welchem der Thronwechsel außer Ansatz geblieben war. Friedrich Wilhelm IV. hätte sich zu Mobilmachungen wohl Zudem überschätzte man in Wien die abschwächende Wirkung, Siebzehntes Kapitel: Der Frankfurter Fürſtentag. daß, wenn der ſechsundſechziger Krieg ſchon 1850 geführt wordenwäre, unſre Ausſichten bedenklich geweſen ſein würden. Mit unſrer Schüchternheit noch in den ſechziger Jahren zu rechnen, war ein Irrthum, bei welchem der Thronwechſel außer Anſatz geblieben war. Friedrich Wilhelm IV. hätte ſich zu Mobilmachungen wohl Zudem überſchätzte man in Wien die abſchwächende Wirkung, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0363" n="336"/><fw place="top" type="header">Siebzehntes Kapitel: Der Frankfurter Fürſtentag.<lb/></fw> daß, wenn der ſechsundſechziger Krieg ſchon 1850 geführt worden<lb/> wäre, unſre Ausſichten bedenklich geweſen ſein würden. Mit<lb/> unſrer Schüchternheit noch in den ſechziger Jahren zu rechnen,<lb/> war ein Irrthum, bei welchem der Thronwechſel außer Anſatz<lb/> geblieben war.</p><lb/> <p>Friedrich Wilhelm <hi rendition="#aq">IV</hi>. hätte ſich zu Mobilmachungen wohl<lb/> ebenſo leicht entſchloſſen wie 1850 und wie ſein Nachfolger 1859,<lb/> aber ſchwer zur Kriegführung. Unter ihm lag die Gefahr vor,<lb/> daß ähnliche Tergiverſationen wie unter Haugwitz 1805 uns in<lb/> falſche Lagen gebracht haben würden; auch nach wirklichem Bruch<lb/> würde man in Oeſtreich über unſre Unklarheiten und Vermittlungs¬<lb/> verſuche mit Entſchloſſenheit zur Tagesordnung übergegangen ſein.<lb/> Bei dem König Wilhelm war die Abneigung, mit den väterlichen<lb/> Traditionen und den herkömmlichen Familienbeziehungen zu brechen,<lb/> ebenſo ſtark wie bei ſeinem Bruder, aber wenn er einmal unter<lb/> der Leitung ſeines Ehrgefühls, deſſen Empfindlichkeit ebenſo in dem<lb/> preußiſchen <hi rendition="#aq">Porte-épée</hi> als im monarchiſchen Bewußtſein lag, zu<lb/> Entſchlüſſen, die ſeinem Herzen ſchwer wurden, ſich gezwungen gefühlt<lb/> hatte, ſo war man ſicher, wenn man ihm folgte, in keiner Gefahr<lb/> von ihm im Stiche gelaſſen zu werden. Mit dieſem Wechſel in<lb/> dem Charakter der oberſten Leitung wurde in Wien zu wenig ge¬<lb/> rechnet und zu viel mit dem Einfluß, den man durch die an¬<lb/> gebliche öffentliche Meinung, wie ſie durch Preß-Agenten und Sub¬<lb/> ſidien erzeugt wurde, auf Berliner Entſchließungen früher hatte<lb/> ausüben können, und durch Vermittlung fürſtlicher Verwandten<lb/> und Correſpondenzen des königlichen Hauſes auch ferner auszuüben<lb/> bereit und im Stande war.</p><lb/> <p>Zudem überſchätzte man in Wien die abſchwächende Wirkung,<lb/> welche unſer innerer Conflict auf unſre auswärtige Politik und<lb/> militäriſche Leiſtungsfähigkeit haben konnte. Die Abneigung gegen<lb/> die Löſung des gordiſchen Knotens der deutſchen Politik durch das<lb/> Schwert war in weiten Kreiſen eine ſtarke, wie 1866 mannigfache<lb/> Symptome, von dem Blind'ſchen Attentat und deſſen Beurtheilung<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [336/0363]
Siebzehntes Kapitel: Der Frankfurter Fürſtentag.
daß, wenn der ſechsundſechziger Krieg ſchon 1850 geführt worden
wäre, unſre Ausſichten bedenklich geweſen ſein würden. Mit
unſrer Schüchternheit noch in den ſechziger Jahren zu rechnen,
war ein Irrthum, bei welchem der Thronwechſel außer Anſatz
geblieben war.
Friedrich Wilhelm IV. hätte ſich zu Mobilmachungen wohl
ebenſo leicht entſchloſſen wie 1850 und wie ſein Nachfolger 1859,
aber ſchwer zur Kriegführung. Unter ihm lag die Gefahr vor,
daß ähnliche Tergiverſationen wie unter Haugwitz 1805 uns in
falſche Lagen gebracht haben würden; auch nach wirklichem Bruch
würde man in Oeſtreich über unſre Unklarheiten und Vermittlungs¬
verſuche mit Entſchloſſenheit zur Tagesordnung übergegangen ſein.
Bei dem König Wilhelm war die Abneigung, mit den väterlichen
Traditionen und den herkömmlichen Familienbeziehungen zu brechen,
ebenſo ſtark wie bei ſeinem Bruder, aber wenn er einmal unter
der Leitung ſeines Ehrgefühls, deſſen Empfindlichkeit ebenſo in dem
preußiſchen Porte-épée als im monarchiſchen Bewußtſein lag, zu
Entſchlüſſen, die ſeinem Herzen ſchwer wurden, ſich gezwungen gefühlt
hatte, ſo war man ſicher, wenn man ihm folgte, in keiner Gefahr
von ihm im Stiche gelaſſen zu werden. Mit dieſem Wechſel in
dem Charakter der oberſten Leitung wurde in Wien zu wenig ge¬
rechnet und zu viel mit dem Einfluß, den man durch die an¬
gebliche öffentliche Meinung, wie ſie durch Preß-Agenten und Sub¬
ſidien erzeugt wurde, auf Berliner Entſchließungen früher hatte
ausüben können, und durch Vermittlung fürſtlicher Verwandten
und Correſpondenzen des königlichen Hauſes auch ferner auszuüben
bereit und im Stande war.
Zudem überſchätzte man in Wien die abſchwächende Wirkung,
welche unſer innerer Conflict auf unſre auswärtige Politik und
militäriſche Leiſtungsfähigkeit haben konnte. Die Abneigung gegen
die Löſung des gordiſchen Knotens der deutſchen Politik durch das
Schwert war in weiten Kreiſen eine ſtarke, wie 1866 mannigfache
Symptome, von dem Blind'ſchen Attentat und deſſen Beurtheilung
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