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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.

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Beziehungen zu Rechberg. Dualistische Bestrebungen.

Die Versuche zur Zeit des Ministeriums Rechberg würden,
wenn erfolgreich, damals zu einer gesammtdeutschen Union auf der
Basis des Dualismus haben führen können, zu dem Siebzig¬
millionenreich in Centraleuropa mit zweiköpfiger Spitze, während
die Schwarzenbergische Politik auf etwas Aehnliches ausgegangen
war, aber mit einheitlicher Spitze Oestreichs und Hinabdrückung
Preußens nach Möglichkeit auf den mittelstaatlichen Stand. Der
letzte Anlauf dazu war der Fürstencongreß von 1863. Wenn die
Schwarzenbergische Politik in der posthumen Gestalt des Fürsten¬
congresses schließlich Erfolg gehabt hätte, so würde zunächst die
Verwendung des Bundestages zur Repression auf dem Gebiete der
innern Politik Deutschlands voraussichtlich in den Vordergrund
getreten sein, nach Maßgabe der Verfassungsrevisionen, die der
Bund schon in Hanover, Hessen, Luxemburg, Lippe, Hamburg u. a.
in Angriff genommen hatte. Auch die Preußische Verfassung konnte
analog herangezogen werden, wenn der König nicht zu vornehm
dazu gedacht hätte.

Unter einer dualistischen Spitze mit Gleichberechtigung Preußens
und Oestreichs, wie sie als Consequenz meiner Annäherung an
Rechberg erstrebt werden konnte, würde unsre innere verfassungs¬
mäßige Entwicklung von der Versumpfung in bundestägiger Reaction
und von der einseitigen Förderung absolutistischer Zwecke in den
einzelnen Staaten nicht nothwendig bedroht worden sein; die Eifer¬
sucht der beiden Großstaaten wäre der Schutz der Verfassungen ge¬
wesen. Preußen, Oestreich und die Mittelstaaten würden bei dua¬
listischer Spitze auf Wettbewerb um die öffentliche Meinung in der
Gesammtnation wie in den einzelnen Staaten angewiesen geblieben
sein, und die daraus entspringenden Frictionen würden unser öffent¬
liches Leben vor ähnlichen Erstarrungen bewahrt haben, wie sie auf
die Zeiten der Mainzer Untersuchungscommission folgten. Die Zeit
der liberalen östreichischen Preßthätigkeit im Wetteifer mit Preußen,
wenn auch nur auf dem Gebiet der Phrase, ließ schon zu Anfang
der fünfziger Jahre erkennen, daß der unentschiedene Kampf um

Beziehungen zu Rechberg. Dualiſtiſche Beſtrebungen.

Die Verſuche zur Zeit des Miniſteriums Rechberg würden,
wenn erfolgreich, damals zu einer geſammtdeutſchen Union auf der
Baſis des Dualismus haben führen können, zu dem Siebzig¬
millionenreich in Centraleuropa mit zweiköpfiger Spitze, während
die Schwarzenbergiſche Politik auf etwas Aehnliches ausgegangen
war, aber mit einheitlicher Spitze Oeſtreichs und Hinabdrückung
Preußens nach Möglichkeit auf den mittelſtaatlichen Stand. Der
letzte Anlauf dazu war der Fürſtencongreß von 1863. Wenn die
Schwarzenbergiſche Politik in der poſthumen Geſtalt des Fürſten¬
congreſſes ſchließlich Erfolg gehabt hätte, ſo würde zunächſt die
Verwendung des Bundestages zur Repreſſion auf dem Gebiete der
innern Politik Deutſchlands vorausſichtlich in den Vordergrund
getreten ſein, nach Maßgabe der Verfaſſungsreviſionen, die der
Bund ſchon in Hanover, Heſſen, Luxemburg, Lippe, Hamburg u. a.
in Angriff genommen hatte. Auch die Preußiſche Verfaſſung konnte
analog herangezogen werden, wenn der König nicht zu vornehm
dazu gedacht hätte.

Unter einer dualiſtiſchen Spitze mit Gleichberechtigung Preußens
und Oeſtreichs, wie ſie als Conſequenz meiner Annäherung an
Rechberg erſtrebt werden konnte, würde unſre innere verfaſſungs¬
mäßige Entwicklung von der Verſumpfung in bundestägiger Reaction
und von der einſeitigen Förderung abſolutiſtiſcher Zwecke in den
einzelnen Staaten nicht nothwendig bedroht worden ſein; die Eifer¬
ſucht der beiden Großſtaaten wäre der Schutz der Verfaſſungen ge¬
weſen. Preußen, Oeſtreich und die Mittelſtaaten würden bei dua¬
liſtiſcher Spitze auf Wettbewerb um die öffentliche Meinung in der
Geſammtnation wie in den einzelnen Staaten angewieſen geblieben
ſein, und die daraus entſpringenden Frictionen würden unſer öffent¬
liches Leben vor ähnlichen Erſtarrungen bewahrt haben, wie ſie auf
die Zeiten der Mainzer Unterſuchungscommiſſion folgten. Die Zeit
der liberalen öſtreichiſchen Preßthätigkeit im Wetteifer mit Preußen,
wenn auch nur auf dem Gebiet der Phraſe, ließ ſchon zu Anfang
der fünfziger Jahre erkennen, daß der unentſchiedene Kampf um

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[333/0360] Beziehungen zu Rechberg. Dualiſtiſche Beſtrebungen. Die Verſuche zur Zeit des Miniſteriums Rechberg würden, wenn erfolgreich, damals zu einer geſammtdeutſchen Union auf der Baſis des Dualismus haben führen können, zu dem Siebzig¬ millionenreich in Centraleuropa mit zweiköpfiger Spitze, während die Schwarzenbergiſche Politik auf etwas Aehnliches ausgegangen war, aber mit einheitlicher Spitze Oeſtreichs und Hinabdrückung Preußens nach Möglichkeit auf den mittelſtaatlichen Stand. Der letzte Anlauf dazu war der Fürſtencongreß von 1863. Wenn die Schwarzenbergiſche Politik in der poſthumen Geſtalt des Fürſten¬ congreſſes ſchließlich Erfolg gehabt hätte, ſo würde zunächſt die Verwendung des Bundestages zur Repreſſion auf dem Gebiete der innern Politik Deutſchlands vorausſichtlich in den Vordergrund getreten ſein, nach Maßgabe der Verfaſſungsreviſionen, die der Bund ſchon in Hanover, Heſſen, Luxemburg, Lippe, Hamburg u. a. in Angriff genommen hatte. Auch die Preußiſche Verfaſſung konnte analog herangezogen werden, wenn der König nicht zu vornehm dazu gedacht hätte. Unter einer dualiſtiſchen Spitze mit Gleichberechtigung Preußens und Oeſtreichs, wie ſie als Conſequenz meiner Annäherung an Rechberg erſtrebt werden konnte, würde unſre innere verfaſſungs¬ mäßige Entwicklung von der Verſumpfung in bundestägiger Reaction und von der einſeitigen Förderung abſolutiſtiſcher Zwecke in den einzelnen Staaten nicht nothwendig bedroht worden ſein; die Eifer¬ ſucht der beiden Großſtaaten wäre der Schutz der Verfaſſungen ge¬ weſen. Preußen, Oeſtreich und die Mittelſtaaten würden bei dua¬ liſtiſcher Spitze auf Wettbewerb um die öffentliche Meinung in der Geſammtnation wie in den einzelnen Staaten angewieſen geblieben ſein, und die daraus entſpringenden Frictionen würden unſer öffent¬ liches Leben vor ähnlichen Erſtarrungen bewahrt haben, wie ſie auf die Zeiten der Mainzer Unterſuchungscommiſſion folgten. Die Zeit der liberalen öſtreichiſchen Preßthätigkeit im Wetteifer mit Preußen, wenn auch nur auf dem Gebiet der Phraſe, ließ ſchon zu Anfang der fünfziger Jahre erkennen, daß der unentſchiedene Kampf um

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 333. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/360>, abgerufen am 24.11.2024.