Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.

Bild:
<< vorherige Seite
nächste Seite >>
Sechzehntes Kapitel.
Danziger Episode.
I.

Kaiser Friedrich, der Sohn des Monarchen, den ich in specie
als meinen Herrn bezeichne, hat es mir durch seine Liebens¬
würdigkeit und sein Vertrauen leicht gemacht, die Gefühle, die ich
für seinen Herrn Vater hegte, auf ihn zu übertragen. Er war
der verfassungsmäßigen Auffassung, daß ich als Minister die Ver¬
antwortlichkeit für seine Entschließungen trug, in der Regel zugäng¬
licher, als sein Vater es gewesen. Auch war es ihm weniger durch
Familientraditionen erschwert, politischen Bedürfnissen im Innern
und im Auslande gerecht zu werden. Alle Behauptungen, daß
zwischen dem Kaiser Friedrich und mir dauernde Verstimmungen
existirt hätten, sind ungegründet. Eine vorübergehende entstand
durch den Vorgang in Danzig, in dessen Besprechung ich mir,
seitdem die hinterlassenen Papiere Max Dunckers *)veröffentlicht
worden sind, weniger Zurückhaltung auflege, als sonst geschehn
wäre. Am 31. Mai 1863 reiste der Kronprinz zu einer militäri¬
schen Inspection nach der Provinz Preußen ab, nachdem er den
König schriftlich gebeten hatte, jede Octroyirung zu vermeiden.
Auf dem Zuge, mit dem er fuhr, befand sich der Ober-Bürger¬
meister von Danzig, Herr von Winter, den der Prinz unterwegs
in sein Coupe einlud und einige Tage später auf seinem Gute bei

*) R. Haym, Das Leben Max Dunckers (Berlin 1891) S. 292 ff.
Sechzehntes Kapitel.
Danziger Epiſode.
I.

Kaiſer Friedrich, der Sohn des Monarchen, den ich in specie
als meinen Herrn bezeichne, hat es mir durch ſeine Liebens¬
würdigkeit und ſein Vertrauen leicht gemacht, die Gefühle, die ich
für ſeinen Herrn Vater hegte, auf ihn zu übertragen. Er war
der verfaſſungsmäßigen Auffaſſung, daß ich als Miniſter die Ver¬
antwortlichkeit für ſeine Entſchließungen trug, in der Regel zugäng¬
licher, als ſein Vater es geweſen. Auch war es ihm weniger durch
Familientraditionen erſchwert, politiſchen Bedürfniſſen im Innern
und im Auslande gerecht zu werden. Alle Behauptungen, daß
zwiſchen dem Kaiſer Friedrich und mir dauernde Verſtimmungen
exiſtirt hätten, ſind ungegründet. Eine vorübergehende entſtand
durch den Vorgang in Danzig, in deſſen Beſprechung ich mir,
ſeitdem die hinterlaſſenen Papiere Max Dunckers *)veröffentlicht
worden ſind, weniger Zurückhaltung auflege, als ſonſt geſchehn
wäre. Am 31. Mai 1863 reiſte der Kronprinz zu einer militäri¬
ſchen Inſpection nach der Provinz Preußen ab, nachdem er den
König ſchriftlich gebeten hatte, jede Octroyirung zu vermeiden.
Auf dem Zuge, mit dem er fuhr, befand ſich der Ober-Bürger¬
meiſter von Danzig, Herr von Winter, den der Prinz unterwegs
in ſein Coupé einlud und einige Tage ſpäter auf ſeinem Gute bei

*) R. Haym, Das Leben Max Dunckers (Berlin 1891) S. 292 ff.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0343" n="[316]"/>
      <div n="1">
        <head>Sechzehntes Kapitel.<lb/><hi rendition="#b #g">Danziger Epi&#x017F;ode.</hi><lb/></head>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#aq">I.</hi><lb/>
          </head>
          <p><hi rendition="#in">K</hi>ai&#x017F;er Friedrich, der Sohn des Monarchen, den ich in <hi rendition="#aq">specie</hi><lb/>
als meinen Herrn bezeichne, hat es mir durch &#x017F;eine Liebens¬<lb/>
würdigkeit und &#x017F;ein Vertrauen leicht gemacht, die Gefühle, die ich<lb/>
für &#x017F;einen Herrn Vater hegte, auf ihn zu übertragen. Er war<lb/>
der verfa&#x017F;&#x017F;ungsmäßigen Auffa&#x017F;&#x017F;ung, daß ich als Mini&#x017F;ter die Ver¬<lb/>
antwortlichkeit für &#x017F;eine Ent&#x017F;chließungen trug, in der Regel zugäng¬<lb/>
licher, als &#x017F;ein Vater es gewe&#x017F;en. Auch war es ihm weniger durch<lb/>
Familientraditionen er&#x017F;chwert, politi&#x017F;chen Bedürfni&#x017F;&#x017F;en im Innern<lb/>
und im Auslande gerecht zu werden. Alle Behauptungen, daß<lb/>
zwi&#x017F;chen dem Kai&#x017F;er Friedrich und mir dauernde Ver&#x017F;timmungen<lb/>
exi&#x017F;tirt hätten, &#x017F;ind ungegründet. Eine vorübergehende ent&#x017F;tand<lb/>
durch den Vorgang in Danzig, in de&#x017F;&#x017F;en Be&#x017F;prechung ich mir,<lb/>
&#x017F;eitdem die hinterla&#x017F;&#x017F;enen Papiere Max Dunckers <note place="foot" n="*)"><lb/>
R. Haym, Das Leben Max Dunckers (Berlin 1891) S. 292 ff.</note>veröffentlicht<lb/>
worden &#x017F;ind, weniger Zurückhaltung auflege, als &#x017F;on&#x017F;t ge&#x017F;chehn<lb/>
wäre. Am 31. Mai 1863 rei&#x017F;te der Kronprinz zu einer militäri¬<lb/>
&#x017F;chen In&#x017F;pection nach der Provinz Preußen ab, nachdem er den<lb/>
König &#x017F;chriftlich gebeten hatte, jede Octroyirung zu vermeiden.<lb/>
Auf dem Zuge, mit dem er fuhr, befand &#x017F;ich der Ober-Bürger¬<lb/>
mei&#x017F;ter von Danzig, Herr von Winter, den der Prinz unterwegs<lb/>
in &#x017F;ein Coup<hi rendition="#aq">é</hi> einlud und einige Tage &#x017F;päter auf &#x017F;einem Gute bei<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[316]/0343] Sechzehntes Kapitel. Danziger Epiſode. I. Kaiſer Friedrich, der Sohn des Monarchen, den ich in specie als meinen Herrn bezeichne, hat es mir durch ſeine Liebens¬ würdigkeit und ſein Vertrauen leicht gemacht, die Gefühle, die ich für ſeinen Herrn Vater hegte, auf ihn zu übertragen. Er war der verfaſſungsmäßigen Auffaſſung, daß ich als Miniſter die Ver¬ antwortlichkeit für ſeine Entſchließungen trug, in der Regel zugäng¬ licher, als ſein Vater es geweſen. Auch war es ihm weniger durch Familientraditionen erſchwert, politiſchen Bedürfniſſen im Innern und im Auslande gerecht zu werden. Alle Behauptungen, daß zwiſchen dem Kaiſer Friedrich und mir dauernde Verſtimmungen exiſtirt hätten, ſind ungegründet. Eine vorübergehende entſtand durch den Vorgang in Danzig, in deſſen Beſprechung ich mir, ſeitdem die hinterlaſſenen Papiere Max Dunckers *)veröffentlicht worden ſind, weniger Zurückhaltung auflege, als ſonſt geſchehn wäre. Am 31. Mai 1863 reiſte der Kronprinz zu einer militäri¬ ſchen Inſpection nach der Provinz Preußen ab, nachdem er den König ſchriftlich gebeten hatte, jede Octroyirung zu vermeiden. Auf dem Zuge, mit dem er fuhr, befand ſich der Ober-Bürger¬ meiſter von Danzig, Herr von Winter, den der Prinz unterwegs in ſein Coupé einlud und einige Tage ſpäter auf ſeinem Gute bei *) R. Haym, Das Leben Max Dunckers (Berlin 1891) S. 292 ff.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/343
Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. [316]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/343>, abgerufen am 22.12.2024.