des Herrn Prätorius, der jedoch ihren Verhandlungen nicht bei¬ wohnte. Zur Charakterisirung dieses Herrn wurde uns jungen Leuten erzählt, daß er in den Sitzungen, wenn behufs der Ab¬ stimmung aus einem leichten Schlummer geweckt, zu sagen pflegte: "Ich stimme wie der College Tempelhof", und gelegentlich darauf aufmerksam gemacht werden mußte, daß Herr Tempelhof nicht an¬ wesend sei.
Ich trug ihm einmal meine Verlegenheit vor, daß ich, wenige Monate über 20 Jahre alt, mit einem aufgeregten Ehepaare den Sühneversuch vornehmen solle, der für meine Auffassung einen gewissen kirchlichen und sittlichen Nimbus hatte, dem ich mich in meiner Seelenstimmung nicht adäquat fühlte. Ich fand Prätorius in der verdrießlichen Stimmung eines zur Unzeit geweckten, ältern Herrn, der außerdem die Abneigung mancher alten Bürokraten gegen einen jungen Edelmann hegte. Er sagte mit geringschätzigem Lächeln: "Es ist verdrießlich, Herr Referendarius, wenn man sich auch nicht ein bischen zu helfen weiß; ich werde Ihnen zeigen, wie man das macht." Ich kehrte mit ihm in das Terminszimmer zurück. Der Fall lag so, daß der Mann geschieden sein wollte, die Frau nicht, der Mann sie des Ehebruchs beschuldigte, die Frau mit thränenreichen Declamationen ihre Unschuld betheuerte und trotz aller Mißhandlung von Seiten des Mannes bei ihm bleiben wollte. Mit seinem lispelnden Zungenanschlage sprach Prätorius die Frau also an: "Aber Frau, sei sie doch nicht so dumm; was hat sie denn davon? Wenn sie nach Hause kommt, schlägt ihr der Mann die Jacke voll, bis sie es nicht mehr aushalten kann. Sage sie doch einfach Ja, dann ist sie mit dem Säufer kurzer Hand aus¬ einander." Darauf die Frau weinend und schreiend: "Ich bin eine ehrliche Frau, kann die Schande nicht auf mich nehmen, will nicht geschieden sein." Nach mehrfacher Replik und Duplik in dieser Tonart wandte sich Prätorius zu mir mit den Worten: "Da sie nicht Vernunft annehmen will, so schreiben Sie, Herr Referendarius," und dictirte mir die Worte, die ich wegen des tiefen Eindrucks,
Als Auscultator beim Criminal- und Stadtgericht.
des Herrn Prätorius, der jedoch ihren Verhandlungen nicht bei¬ wohnte. Zur Charakteriſirung dieſes Herrn wurde uns jungen Leuten erzählt, daß er in den Sitzungen, wenn behufs der Ab¬ ſtimmung aus einem leichten Schlummer geweckt, zu ſagen pflegte: „Ich ſtimme wie der College Tempelhof“, und gelegentlich darauf aufmerkſam gemacht werden mußte, daß Herr Tempelhof nicht an¬ weſend ſei.
Ich trug ihm einmal meine Verlegenheit vor, daß ich, wenige Monate über 20 Jahre alt, mit einem aufgeregten Ehepaare den Sühneverſuch vornehmen ſolle, der für meine Auffaſſung einen gewiſſen kirchlichen und ſittlichen Nimbus hatte, dem ich mich in meiner Seelenſtimmung nicht adäquat fühlte. Ich fand Prätorius in der verdrießlichen Stimmung eines zur Unzeit geweckten, ältern Herrn, der außerdem die Abneigung mancher alten Bürokraten gegen einen jungen Edelmann hegte. Er ſagte mit geringſchätzigem Lächeln: „Es iſt verdrießlich, Herr Referendarius, wenn man ſich auch nicht ein bischen zu helfen weiß; ich werde Ihnen zeigen, wie man das macht.“ Ich kehrte mit ihm in das Terminszimmer zurück. Der Fall lag ſo, daß der Mann geſchieden ſein wollte, die Frau nicht, der Mann ſie des Ehebruchs beſchuldigte, die Frau mit thränenreichen Declamationen ihre Unſchuld betheuerte und trotz aller Mißhandlung von Seiten des Mannes bei ihm bleiben wollte. Mit ſeinem lispelnden Zungenanſchlage ſprach Prätorius die Frau alſo an: „Aber Frau, ſei ſie doch nicht ſo dumm; was hat ſie denn davon? Wenn ſie nach Hauſe kommt, ſchlägt ihr der Mann die Jacke voll, bis ſie es nicht mehr aushalten kann. Sage ſie doch einfach Ja, dann iſt ſie mit dem Säufer kurzer Hand aus¬ einander.“ Darauf die Frau weinend und ſchreiend: „Ich bin eine ehrliche Frau, kann die Schande nicht auf mich nehmen, will nicht geſchieden ſein.“ Nach mehrfacher Replik und Duplik in dieſer Tonart wandte ſich Prätorius zu mir mit den Worten: „Da ſie nicht Vernunft annehmen will, ſo ſchreiben Sie, Herr Referendarius,“ und dictirte mir die Worte, die ich wegen des tiefen Eindrucks,
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Als Auscultator beim Criminal- und Stadtgericht.
des Herrn Prätorius, der jedoch ihren Verhandlungen nicht bei¬
wohnte. Zur Charakteriſirung dieſes Herrn wurde uns jungen
Leuten erzählt, daß er in den Sitzungen, wenn behufs der Ab¬
ſtimmung aus einem leichten Schlummer geweckt, zu ſagen pflegte:
„Ich ſtimme wie der College Tempelhof“, und gelegentlich darauf
aufmerkſam gemacht werden mußte, daß Herr Tempelhof nicht an¬
weſend ſei.
Ich trug ihm einmal meine Verlegenheit vor, daß ich, wenige
Monate über 20 Jahre alt, mit einem aufgeregten Ehepaare den
Sühneverſuch vornehmen ſolle, der für meine Auffaſſung einen
gewiſſen kirchlichen und ſittlichen Nimbus hatte, dem ich mich in
meiner Seelenſtimmung nicht adäquat fühlte. Ich fand Prätorius
in der verdrießlichen Stimmung eines zur Unzeit geweckten, ältern
Herrn, der außerdem die Abneigung mancher alten Bürokraten
gegen einen jungen Edelmann hegte. Er ſagte mit geringſchätzigem
Lächeln: „Es iſt verdrießlich, Herr Referendarius, wenn man ſich
auch nicht ein bischen zu helfen weiß; ich werde Ihnen zeigen, wie
man das macht.“ Ich kehrte mit ihm in das Terminszimmer
zurück. Der Fall lag ſo, daß der Mann geſchieden ſein wollte,
die Frau nicht, der Mann ſie des Ehebruchs beſchuldigte, die Frau
mit thränenreichen Declamationen ihre Unſchuld betheuerte und trotz
aller Mißhandlung von Seiten des Mannes bei ihm bleiben wollte.
Mit ſeinem lispelnden Zungenanſchlage ſprach Prätorius die Frau
alſo an: „Aber Frau, ſei ſie doch nicht ſo dumm; was hat ſie
denn davon? Wenn ſie nach Hauſe kommt, ſchlägt ihr der Mann
die Jacke voll, bis ſie es nicht mehr aushalten kann. Sage ſie
doch einfach Ja, dann iſt ſie mit dem Säufer kurzer Hand aus¬
einander.“ Darauf die Frau weinend und ſchreiend: „Ich bin
eine ehrliche Frau, kann die Schande nicht auf mich nehmen, will
nicht geſchieden ſein.“ Nach mehrfacher Replik und Duplik in dieſer
Tonart wandte ſich Prätorius zu mir mit den Worten: „Da ſie
nicht Vernunft annehmen will, ſo ſchreiben Sie, Herr Referendarius,“
und dictirte mir die Worte, die ich wegen des tiefen Eindrucks,
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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/34>, abgerufen am 16.02.2025.
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