Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.
Jünglingsanschauungen. Die preußische Diplomatie. der bürokratischen Laufbahn nach Jahrzehnten dahin führen konnte,an den höhern Stellen bemerkt und herangezogen zu werden. Als mustergültige Vordermänner auf diesem Wege wurden mir im Familienkreise damals Männer wie Pommer-Esche und Delbrück vor¬ gehalten, und als einzuschlagende Richtung die Arbeit an und in dem Zollvereine empfohlen. Ich hatte, so lange ich in dem damaligen Alter an eine Beamtenlaufbahn ernstlich dachte, die diplomatische im Auge, auch nachdem ich von Seiten des Ministers Ancillon bei meiner Meldung dazu wenig Ermuthigung gefunden hatte. Derselbe be¬ zeichnete nicht mir, aber hohen Kreisen gegenüber als Musterbild dessen, was unsrer Diplomatie fehle, den Fürsten Felix Lichnowski, obschon man hätte vermuthen sollen, daß diese Persönlichkeit, wie sie sich damals in Berlin zur Anschauung brachte, der anerkennenden Würdigung eines der evangelischen Geistlichkeit entstammenden Ministers nicht grade nahe stände. Der Minister hatte den Eindruck, daß die Kategorie unsres Jünglingsanſchauungen. Die preußiſche Diplomatie. der bürokratiſchen Laufbahn nach Jahrzehnten dahin führen konnte,an den höhern Stellen bemerkt und herangezogen zu werden. Als muſtergültige Vordermänner auf dieſem Wege wurden mir im Familienkreiſe damals Männer wie Pommer-Eſche und Delbrück vor¬ gehalten, und als einzuſchlagende Richtung die Arbeit an und in dem Zollvereine empfohlen. Ich hatte, ſo lange ich in dem damaligen Alter an eine Beamtenlaufbahn ernſtlich dachte, die diplomatiſche im Auge, auch nachdem ich von Seiten des Miniſters Ancillon bei meiner Meldung dazu wenig Ermuthigung gefunden hatte. Derſelbe be¬ zeichnete nicht mir, aber hohen Kreiſen gegenüber als Muſterbild deſſen, was unſrer Diplomatie fehle, den Fürſten Felix Lichnowſki, obſchon man hätte vermuthen ſollen, daß dieſe Perſönlichkeit, wie ſie ſich damals in Berlin zur Anſchauung brachte, der anerkennenden Würdigung eines der evangeliſchen Geiſtlichkeit entſtammenden Miniſters nicht grade nahe ſtände. Der Miniſter hatte den Eindruck, daß die Kategorie unſres <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0030" n="3"/><fw place="top" type="header">Jünglingsanſchauungen. Die preußiſche Diplomatie.<lb/></fw> der bürokratiſchen Laufbahn nach Jahrzehnten dahin führen konnte,<lb/> an den höhern Stellen bemerkt und herangezogen zu werden. Als<lb/> muſtergültige Vordermänner auf dieſem Wege wurden mir im<lb/> Familienkreiſe damals Männer wie Pommer-Eſche und Delbrück vor¬<lb/> gehalten, und als einzuſchlagende Richtung die Arbeit an und in dem<lb/> Zollvereine empfohlen. Ich hatte, ſo lange ich in dem damaligen<lb/> Alter an eine Beamtenlaufbahn ernſtlich dachte, die diplomatiſche im<lb/> Auge, auch nachdem ich von Seiten des Miniſters Ancillon bei meiner<lb/> Meldung dazu wenig Ermuthigung gefunden hatte. Derſelbe be¬<lb/> zeichnete nicht mir, aber hohen Kreiſen gegenüber als Muſterbild<lb/> deſſen, was unſrer Diplomatie fehle, den Fürſten Felix Lichnowſki,<lb/> obſchon man hätte vermuthen ſollen, daß dieſe Perſönlichkeit, wie<lb/> ſie ſich damals in Berlin zur Anſchauung brachte, der anerkennenden<lb/> Würdigung eines der evangeliſchen Geiſtlichkeit entſtammenden<lb/> Miniſters nicht grade nahe ſtände.</p><lb/> <p>Der Miniſter hatte den Eindruck, daß die Kategorie unſres<lb/> hausbacknen preußiſchen Landadels für unſre Diplomatie den ihm<lb/> wünſchenswerthen Erſatz nicht lieferte und die Mängel, welche er<lb/> an der Gewandheit des Perſonalbeſtandes dieſes Dienſtzweiges<lb/> fand, zu decken nicht geeignet war. Dieſer Eindruck war nicht ganz<lb/> ohne Berechtigung. Ich habe als Miniſter ſtets ein landsmann¬<lb/> ſchaftliches Wohlwollen für eingeborne preußiſche Diplomaten ge¬<lb/> habt, aber im dienſtlichen Pflichtgefühle nur ſelten dieſe Vorliebe<lb/> bethätigen können, in der Regel nur dann, wenn die Betheiligten<lb/> aus einer militäriſchen Stellung in die diplomatiſche übergingen.<lb/> Bei den rein preußiſchen Civil-Diplomaten, welche der Wirkung<lb/> militäriſcher Diſciplin garnicht oder unzureichend unterlegen hatten,<lb/> habe ich in der Regel eine zu ſtarke Neigung zur Kritik, zum Beſſer¬<lb/> wiſſen, zur Oppoſition und zu perſönlichen Empfindlichkeiten ge¬<lb/> funden, verſtärkt durch die Unzufriedenheit, welche das Gleichheits¬<lb/> gefühl des alten preußiſchen Edelmanns empfindet, wenn ein Standes¬<lb/> genoſſe ihm über den Kopf wächſt oder außerhalb der militäriſchen<lb/> Verhältniſſe ſein Vorgeſetzter wird. In der Armee ſind dieſe Kreiſe<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [3/0030]
Jünglingsanſchauungen. Die preußiſche Diplomatie.
der bürokratiſchen Laufbahn nach Jahrzehnten dahin führen konnte,
an den höhern Stellen bemerkt und herangezogen zu werden. Als
muſtergültige Vordermänner auf dieſem Wege wurden mir im
Familienkreiſe damals Männer wie Pommer-Eſche und Delbrück vor¬
gehalten, und als einzuſchlagende Richtung die Arbeit an und in dem
Zollvereine empfohlen. Ich hatte, ſo lange ich in dem damaligen
Alter an eine Beamtenlaufbahn ernſtlich dachte, die diplomatiſche im
Auge, auch nachdem ich von Seiten des Miniſters Ancillon bei meiner
Meldung dazu wenig Ermuthigung gefunden hatte. Derſelbe be¬
zeichnete nicht mir, aber hohen Kreiſen gegenüber als Muſterbild
deſſen, was unſrer Diplomatie fehle, den Fürſten Felix Lichnowſki,
obſchon man hätte vermuthen ſollen, daß dieſe Perſönlichkeit, wie
ſie ſich damals in Berlin zur Anſchauung brachte, der anerkennenden
Würdigung eines der evangeliſchen Geiſtlichkeit entſtammenden
Miniſters nicht grade nahe ſtände.
Der Miniſter hatte den Eindruck, daß die Kategorie unſres
hausbacknen preußiſchen Landadels für unſre Diplomatie den ihm
wünſchenswerthen Erſatz nicht lieferte und die Mängel, welche er
an der Gewandheit des Perſonalbeſtandes dieſes Dienſtzweiges
fand, zu decken nicht geeignet war. Dieſer Eindruck war nicht ganz
ohne Berechtigung. Ich habe als Miniſter ſtets ein landsmann¬
ſchaftliches Wohlwollen für eingeborne preußiſche Diplomaten ge¬
habt, aber im dienſtlichen Pflichtgefühle nur ſelten dieſe Vorliebe
bethätigen können, in der Regel nur dann, wenn die Betheiligten
aus einer militäriſchen Stellung in die diplomatiſche übergingen.
Bei den rein preußiſchen Civil-Diplomaten, welche der Wirkung
militäriſcher Diſciplin garnicht oder unzureichend unterlegen hatten,
habe ich in der Regel eine zu ſtarke Neigung zur Kritik, zum Beſſer¬
wiſſen, zur Oppoſition und zu perſönlichen Empfindlichkeiten ge¬
funden, verſtärkt durch die Unzufriedenheit, welche das Gleichheits¬
gefühl des alten preußiſchen Edelmanns empfindet, wenn ein Standes¬
genoſſe ihm über den Kopf wächſt oder außerhalb der militäriſchen
Verhältniſſe ſein Vorgeſetzter wird. In der Armee ſind dieſe Kreiſe
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
| URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898 |
| URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/30 |
| Zitationshilfe: | Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/30>, abgerufen am 22.12.2024. |
