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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.

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Ernennung zum Staatsminister.
sondern um Königliches Regiment oder Parlamentsherrschaft handle,
und daß die letztre unbedingt und auch durch eine Periode der
Dictatur abzuwenden sei. Ich sagte: "In dieser Lage werde ich,
selbst wenn Eure Majestät mir Dinge befehlen sollten, die ich nicht
für richtig hielte, Ihnen zwar diese meine Meinung offen ent¬
wickeln, aber wenn Sie auf der Ihrigen schließlich beharren, lieber
mit dem Könige untergehn, als Eure Majestät im Kampfe mit der
Parlamentsherrschaft im Stiche lassen." Diese Auffassung war
damals durchaus lebendig und maßgebend in mir, weil ich die
Negation und die Phrase der damaligen Opposition für politisch
verderblich hielt im Angesicht der nationalen Aufgaben Preußens,
und weil ich für Wilhelm I. persönlich so starke Gefühle der Hin¬
gebung und Anhänglichkeit hegte, daß mir der Gedanke, in Ge¬
meinschaft mit ihm zu Grunde zu gehn, als ein nach Umständen
natürlicher und sympathischer Abschluß des Lebens erschien.

Der König zerriß das Programm und war im Begriff, die
Stücke von der Brücke in die trockne Schlucht im Park zu werfen,
als ich daran erinnerte, daß diese Papiere mit der bekannten
Handschrift in sehr unrechte Hände gerathen könnten. Er fand,
daß ich Recht hätte, steckte die Stücke in die Tasche, um sie dem
Feuer zu übergeben, und vollzog an demselben Tage meine Er¬
nennung zum Staatsminister und interimistischen Vorsitzenden des
Staatsministeriums, die am 23. veröffentlicht wurde. Meine Er¬
nennung zum Ministerpräsidenten behielt der König vor, bis er
mit dem Fürsten von Hohenzollern, der staatsrechtlich diese Stel¬
lung noch inne hatte, die desfallsige Correspondenz beendet haben
werde1).


1) Vgl. Kaiser I. und Fürst Bismarck, Münchener Allg. Zeitung
7. October 1890 M.-A. -- Die definitive Ernennung zum Ministerpräsidenten
und Minister der Auswärtigen Angelegenheiten erfolgte am 8. October.

Ernennung zum Staatsminiſter.
ſondern um Königliches Regiment oder Parlamentsherrſchaft handle,
und daß die letztre unbedingt und auch durch eine Periode der
Dictatur abzuwenden ſei. Ich ſagte: „In dieſer Lage werde ich,
ſelbſt wenn Eure Majeſtät mir Dinge befehlen ſollten, die ich nicht
für richtig hielte, Ihnen zwar dieſe meine Meinung offen ent¬
wickeln, aber wenn Sie auf der Ihrigen ſchließlich beharren, lieber
mit dem Könige untergehn, als Eure Majeſtät im Kampfe mit der
Parlamentsherrſchaft im Stiche laſſen.“ Dieſe Auffaſſung war
damals durchaus lebendig und maßgebend in mir, weil ich die
Negation und die Phraſe der damaligen Oppoſition für politiſch
verderblich hielt im Angeſicht der nationalen Aufgaben Preußens,
und weil ich für Wilhelm I. perſönlich ſo ſtarke Gefühle der Hin¬
gebung und Anhänglichkeit hegte, daß mir der Gedanke, in Ge¬
meinſchaft mit ihm zu Grunde zu gehn, als ein nach Umſtänden
natürlicher und ſympathiſcher Abſchluß des Lebens erſchien.

Der König zerriß das Programm und war im Begriff, die
Stücke von der Brücke in die trockne Schlucht im Park zu werfen,
als ich daran erinnerte, daß dieſe Papiere mit der bekannten
Handſchrift in ſehr unrechte Hände gerathen könnten. Er fand,
daß ich Recht hätte, ſteckte die Stücke in die Taſche, um ſie dem
Feuer zu übergeben, und vollzog an demſelben Tage meine Er¬
nennung zum Staatsminiſter und interimiſtiſchen Vorſitzenden des
Staatsminiſteriums, die am 23. veröffentlicht wurde. Meine Er¬
nennung zum Miniſterpräſidenten behielt der König vor, bis er
mit dem Fürſten von Hohenzollern, der ſtaatsrechtlich dieſe Stel¬
lung noch inne hatte, die desfallſige Correſpondenz beendet haben
werde1).


1) Vgl. Kaiſer I. und Fürſt Bismarck, Münchener Allg. Zeitung
7. October 1890 M.-A. — Die definitive Ernennung zum Miniſterpräſidenten
und Miniſter der Auswärtigen Angelegenheiten erfolgte am 8. October.
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[269/0296] Ernennung zum Staatsminiſter. ſondern um Königliches Regiment oder Parlamentsherrſchaft handle, und daß die letztre unbedingt und auch durch eine Periode der Dictatur abzuwenden ſei. Ich ſagte: „In dieſer Lage werde ich, ſelbſt wenn Eure Majeſtät mir Dinge befehlen ſollten, die ich nicht für richtig hielte, Ihnen zwar dieſe meine Meinung offen ent¬ wickeln, aber wenn Sie auf der Ihrigen ſchließlich beharren, lieber mit dem Könige untergehn, als Eure Majeſtät im Kampfe mit der Parlamentsherrſchaft im Stiche laſſen.“ Dieſe Auffaſſung war damals durchaus lebendig und maßgebend in mir, weil ich die Negation und die Phraſe der damaligen Oppoſition für politiſch verderblich hielt im Angeſicht der nationalen Aufgaben Preußens, und weil ich für Wilhelm I. perſönlich ſo ſtarke Gefühle der Hin¬ gebung und Anhänglichkeit hegte, daß mir der Gedanke, in Ge¬ meinſchaft mit ihm zu Grunde zu gehn, als ein nach Umſtänden natürlicher und ſympathiſcher Abſchluß des Lebens erſchien. Der König zerriß das Programm und war im Begriff, die Stücke von der Brücke in die trockne Schlucht im Park zu werfen, als ich daran erinnerte, daß dieſe Papiere mit der bekannten Handſchrift in ſehr unrechte Hände gerathen könnten. Er fand, daß ich Recht hätte, ſteckte die Stücke in die Taſche, um ſie dem Feuer zu übergeben, und vollzog an demſelben Tage meine Er¬ nennung zum Staatsminiſter und interimiſtiſchen Vorſitzenden des Staatsminiſteriums, die am 23. veröffentlicht wurde. Meine Er¬ nennung zum Miniſterpräſidenten behielt der König vor, bis er mit dem Fürſten von Hohenzollern, der ſtaatsrechtlich dieſe Stel¬ lung noch inne hatte, die desfallſige Correſpondenz beendet haben werde 1). 1) Vgl. Kaiſer I. und Fürſt Bismarck, Münchener Allg. Zeitung 7. October 1890 M.-A. — Die definitive Ernennung zum Miniſterpräſidenten und Miniſter der Auswärtigen Angelegenheiten erfolgte am 8. October.

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 269. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/296>, abgerufen am 25.11.2024.