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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.

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Elftes Kapitel: Zwischenzustand.
und rathe, Sie einstweilen zum Minister-Präsidenten ohne Porte¬
feuille zu ernennen, was ich bisher vermieden; es geht nicht anders!
Wollen Sie dies absolut nicht, so desavouiren Sie mich oder ge¬
bieten Sie mir Schweigen. Ich spreche den Herrn am 7. in einer
ganz vertraulichen Audienz, die er mir für diesen Tag bei seiner
Durchreise nach Carlsruhe zur Taufe (am 9./9.) zugesagt hat. Sie
haben also auch noch Zeit zum Protestiren.

Von der allgemeinen Situation will ich heut nicht reden.
Die innere Katastrophe wird jetzt nicht stattfinden, wie ich ver¬
muthe, sondern erst im Frühjahr, und da müssen Sie nothwendig
dabei sein. Sie wird über unsere Zukunft endgültig entscheiden. ...

Ihr
v. Roon." 1)

Ich erwiderte:

"Toulouse, 12. September 62.

Meine Kreuz- und Querzüge in den Pyrenäen haben gemacht,
daß ich Ihren Brief vom 31. [August] erst heut hier vorfinde. Ich
hatte auch auf einen von Bernstorff gehofft, der mir vor vier
Wochen schrieb, daß sich im September die Frage wegen des Personal¬
wechsels jedenfalls entscheiden müsse. Ihre Zeilen lassen mich leider
vermuthen, daß die Ungewißheit um Weihnachten noch dieselbe sein
wird wie jetzt. Meine Sachen liegen noch in Petersburg und werden
dort einfrieren, meine Wagen sind in Stettin, meine Pferde bei
Berlin auf dem Lande, meine Familie in Pommern, ich selbst auf
der Landstraße. Ich gehe jetzt nach Paris zurück, obschon ich dort
weniger wie je zu thun habe, mein Urlaub ist aber um. Mein
Plan ist nun, Bernstorff vorzuschlagen, daß ich nach Berlin komme,
um das Weitre mündlich zu besprechen2). Ich habe das Bedürfniß,
einige Tage in Reinfeld zu sein, nachdem ich die Meinigen seit

1) S. Bismarck-Jahrbuch III 237 f., jetzt auch Roon's Denkwürdigkeiten
II4 109 ff.
2) Geschah in einem Briefe von Montpellier aus am gleichen Tage,
Bismarck-Jahrbuch VI 162 ff.

Elftes Kapitel: Zwiſchenzuſtand.
und rathe, Sie einſtweilen zum Miniſter-Präſidenten ohne Porte¬
feuille zu ernennen, was ich bisher vermieden; es geht nicht anders!
Wollen Sie dies abſolut nicht, ſo desavouiren Sie mich oder ge¬
bieten Sie mir Schweigen. Ich ſpreche den Herrn am 7. in einer
ganz vertraulichen Audienz, die er mir für dieſen Tag bei ſeiner
Durchreiſe nach Carlsruhe zur Taufe (am 9./9.) zugeſagt hat. Sie
haben alſo auch noch Zeit zum Proteſtiren.

Von der allgemeinen Situation will ich heut nicht reden.
Die innere Kataſtrophe wird jetzt nicht ſtattfinden, wie ich ver¬
muthe, ſondern erſt im Frühjahr, und da müſſen Sie nothwendig
dabei ſein. Sie wird über unſere Zukunft endgültig entſcheiden. ...

Ihr
v. Roon.“ 1)

Ich erwiderte:

„Toulouſe, 12. September 62.

Meine Kreuz- und Querzüge in den Pyrenäen haben gemacht,
daß ich Ihren Brief vom 31. [Auguſt] erſt heut hier vorfinde. Ich
hatte auch auf einen von Bernſtorff gehofft, der mir vor vier
Wochen ſchrieb, daß ſich im September die Frage wegen des Perſonal¬
wechſels jedenfalls entſcheiden müſſe. Ihre Zeilen laſſen mich leider
vermuthen, daß die Ungewißheit um Weihnachten noch dieſelbe ſein
wird wie jetzt. Meine Sachen liegen noch in Petersburg und werden
dort einfrieren, meine Wagen ſind in Stettin, meine Pferde bei
Berlin auf dem Lande, meine Familie in Pommern, ich ſelbſt auf
der Landſtraße. Ich gehe jetzt nach Paris zurück, obſchon ich dort
weniger wie je zu thun habe, mein Urlaub iſt aber um. Mein
Plan iſt nun, Bernſtorff vorzuſchlagen, daß ich nach Berlin komme,
um das Weitre mündlich zu beſprechen2). Ich habe das Bedürfniß,
einige Tage in Reinfeld zu ſein, nachdem ich die Meinigen ſeit

1) S. Bismarck-Jahrbuch III 237 f., jetzt auch Roon's Denkwürdigkeiten
II4 109 ff.
2) Geſchah in einem Briefe von Montpellier aus am gleichen Tage,
Bismarck-Jahrbuch VI 162 ff.
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[264/0291] Elftes Kapitel: Zwiſchenzuſtand. und rathe, Sie einſtweilen zum Miniſter-Präſidenten ohne Porte¬ feuille zu ernennen, was ich bisher vermieden; es geht nicht anders! Wollen Sie dies abſolut nicht, ſo desavouiren Sie mich oder ge¬ bieten Sie mir Schweigen. Ich ſpreche den Herrn am 7. in einer ganz vertraulichen Audienz, die er mir für dieſen Tag bei ſeiner Durchreiſe nach Carlsruhe zur Taufe (am 9./9.) zugeſagt hat. Sie haben alſo auch noch Zeit zum Proteſtiren. Von der allgemeinen Situation will ich heut nicht reden. Die innere Kataſtrophe wird jetzt nicht ſtattfinden, wie ich ver¬ muthe, ſondern erſt im Frühjahr, und da müſſen Sie nothwendig dabei ſein. Sie wird über unſere Zukunft endgültig entſcheiden. ... Ihr v. Roon.“ 1) Ich erwiderte: „Toulouſe, 12. September 62. Meine Kreuz- und Querzüge in den Pyrenäen haben gemacht, daß ich Ihren Brief vom 31. [Auguſt] erſt heut hier vorfinde. Ich hatte auch auf einen von Bernſtorff gehofft, der mir vor vier Wochen ſchrieb, daß ſich im September die Frage wegen des Perſonal¬ wechſels jedenfalls entſcheiden müſſe. Ihre Zeilen laſſen mich leider vermuthen, daß die Ungewißheit um Weihnachten noch dieſelbe ſein wird wie jetzt. Meine Sachen liegen noch in Petersburg und werden dort einfrieren, meine Wagen ſind in Stettin, meine Pferde bei Berlin auf dem Lande, meine Familie in Pommern, ich ſelbſt auf der Landſtraße. Ich gehe jetzt nach Paris zurück, obſchon ich dort weniger wie je zu thun habe, mein Urlaub iſt aber um. Mein Plan iſt nun, Bernſtorff vorzuſchlagen, daß ich nach Berlin komme, um das Weitre mündlich zu beſprechen 2). Ich habe das Bedürfniß, einige Tage in Reinfeld zu ſein, nachdem ich die Meinigen ſeit 1) S. Bismarck-Jahrbuch III 237 f., jetzt auch Roon's Denkwürdigkeiten II4 109 ff. 2) Geſchah in einem Briefe von Montpellier aus am gleichen Tage, Bismarck-Jahrbuch VI 162 ff.

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 264. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/291>, abgerufen am 01.10.2024.