Briefwechsel mit Roon über den Eintritt ins Ministerium.
mindestens bis zum Winter oder länger hier zu bleiben. Meine Sachen und Wagen sind noch in Petersburg, ich muß sie irgendwo unterbringen; außerdem habe ich die Gewohnheiten eines achtbaren Familienvaters, zu denen gehört, daß man irgendwo einen festen Wohnsitz hat, und der fehlt mir eigentlich seit Juli v. J., wo mir Schleinitz zuerst sagte, daß ich versetzt würde. Sie thun mir Unrecht, wenn Sie glauben, daß ich mich sträube; ich habe im Gegentheil lebhafte Anwandlungen von dem Unternehmungsgeist jenes Thieres, welches auf dem Eise tanzen geht, wenn ihm zu wohl wird. --
Ich bin den Adreßdebatten einigermaßen gefolgt und habe den Eindruck, daß sich die Regirung in der Commission, vielleicht auch im Plenum, mehr hergegeben hat, als nützlich war. Was liegt eigentlich an einer schlechten Adresse? Die Leute glauben mit der angenommnen einen Sieg erfochten zu haben. In einer Adresse führt eine Kammer Manöver mit markirtem Feinde und Platz¬ patronen auf. Nehmen die Leute das Scheingefecht für ernsten Sieg und zerstreuen sich plündernd und marodirend auf Königlichem Rechtsboden, so kommt wohl die Zeit, daß der markirte Feind seine Batterien demaskirt und scharf schießt. Ich vermisse etwas Gemüth¬ lichtkeit in unsrer Auffassung; Ihr Brief athmet ehrlichen Krieger¬ zorn, geschärft von des Kampfes Staub und Hitze. Sie haben, ohne Schmeichelei, vorzüglich geantwortet, aber es ist eigentlich schade drum, die Leute verstehn kein Deutsch. Unsern freund¬ lichen Nachbar hier habe ich ruhig und behäbig gefunden, sehr wohlwollend für uns, sehr geneigt, die Schwierigleiten der ,deutschen Frage' zu besprechen; er kann seine Sympathien keiner der be¬ stehenden Dynastien versagen, aber er hofft, daß Preußen die große ihm gestellte Aufgabe mit Erfolg lösen werde, die deutsche näm¬ lich, dann werde die Regirung auch im Innern Vertrauen gewinnen. Lauter schöne Worte. Um zu erklären, daß ich mich bisher nicht recht wohnlich einrichte, sage ich den Fragern, daß ich in Kurzem für einige Monat Urlaub zu nehmen denke, um dann mit meiner Frau wiederzukommen.
Briefwechſel mit Roon über den Eintritt ins Miniſterium.
mindeſtens bis zum Winter oder länger hier zu bleiben. Meine Sachen und Wagen ſind noch in Petersburg, ich muß ſie irgendwo unterbringen; außerdem habe ich die Gewohnheiten eines achtbaren Familienvaters, zu denen gehört, daß man irgendwo einen feſten Wohnſitz hat, und der fehlt mir eigentlich ſeit Juli v. J., wo mir Schleinitz zuerſt ſagte, daß ich verſetzt würde. Sie thun mir Unrecht, wenn Sie glauben, daß ich mich ſträube; ich habe im Gegentheil lebhafte Anwandlungen von dem Unternehmungsgeiſt jenes Thieres, welches auf dem Eiſe tanzen geht, wenn ihm zu wohl wird. —
Ich bin den Adreßdebatten einigermaßen gefolgt und habe den Eindruck, daß ſich die Regirung in der Commiſſion, vielleicht auch im Plenum, mehr hergegeben hat, als nützlich war. Was liegt eigentlich an einer ſchlechten Adreſſe? Die Leute glauben mit der angenommnen einen Sieg erfochten zu haben. In einer Adreſſe führt eine Kammer Manöver mit markirtem Feinde und Platz¬ patronen auf. Nehmen die Leute das Scheingefecht für ernſten Sieg und zerſtreuen ſich plündernd und marodirend auf Königlichem Rechtsboden, ſo kommt wohl die Zeit, daß der markirte Feind ſeine Batterien demaskirt und ſcharf ſchießt. Ich vermiſſe etwas Gemüth¬ lichtkeit in unſrer Auffaſſung; Ihr Brief athmet ehrlichen Krieger¬ zorn, geſchärft von des Kampfes Staub und Hitze. Sie haben, ohne Schmeichelei, vorzüglich geantwortet, aber es iſt eigentlich ſchade drum, die Leute verſtehn kein Deutſch. Unſern freund¬ lichen Nachbar hier habe ich ruhig und behäbig gefunden, ſehr wohlwollend für uns, ſehr geneigt, die Schwierigleiten der ‚deutſchen Frage‘ zu beſprechen; er kann ſeine Sympathien keiner der be¬ ſtehenden Dynaſtien verſagen, aber er hofft, daß Preußen die große ihm geſtellte Aufgabe mit Erfolg löſen werde, die deutſche näm¬ lich, dann werde die Regirung auch im Innern Vertrauen gewinnen. Lauter ſchöne Worte. Um zu erklären, daß ich mich bisher nicht recht wohnlich einrichte, ſage ich den Fragern, daß ich in Kurzem für einige Monat Urlaub zu nehmen denke, um dann mit meiner Frau wiederzukommen.
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Briefwechſel mit Roon über den Eintritt ins Miniſterium.
mindeſtens bis zum Winter oder länger hier zu bleiben. Meine
Sachen und Wagen ſind noch in Petersburg, ich muß ſie irgendwo
unterbringen; außerdem habe ich die Gewohnheiten eines achtbaren
Familienvaters, zu denen gehört, daß man irgendwo einen feſten
Wohnſitz hat, und der fehlt mir eigentlich ſeit Juli v. J., wo mir
Schleinitz zuerſt ſagte, daß ich verſetzt würde. Sie thun mir Unrecht,
wenn Sie glauben, daß ich mich ſträube; ich habe im Gegentheil
lebhafte Anwandlungen von dem Unternehmungsgeiſt jenes Thieres,
welches auf dem Eiſe tanzen geht, wenn ihm zu wohl wird. —
Ich bin den Adreßdebatten einigermaßen gefolgt und habe
den Eindruck, daß ſich die Regirung in der Commiſſion, vielleicht
auch im Plenum, mehr hergegeben hat, als nützlich war. Was
liegt eigentlich an einer ſchlechten Adreſſe? Die Leute glauben mit
der angenommnen einen Sieg erfochten zu haben. In einer Adreſſe
führt eine Kammer Manöver mit markirtem Feinde und Platz¬
patronen auf. Nehmen die Leute das Scheingefecht für ernſten
Sieg und zerſtreuen ſich plündernd und marodirend auf Königlichem
Rechtsboden, ſo kommt wohl die Zeit, daß der markirte Feind ſeine
Batterien demaskirt und ſcharf ſchießt. Ich vermiſſe etwas Gemüth¬
lichtkeit in unſrer Auffaſſung; Ihr Brief athmet ehrlichen Krieger¬
zorn, geſchärft von des Kampfes Staub und Hitze. Sie haben,
ohne Schmeichelei, vorzüglich geantwortet, aber es iſt eigentlich
ſchade drum, die Leute verſtehn kein Deutſch. Unſern freund¬
lichen Nachbar hier habe ich ruhig und behäbig gefunden, ſehr
wohlwollend für uns, ſehr geneigt, die Schwierigleiten der ‚deutſchen
Frage‘ zu beſprechen; er kann ſeine Sympathien keiner der be¬
ſtehenden Dynaſtien verſagen, aber er hofft, daß Preußen die große
ihm geſtellte Aufgabe mit Erfolg löſen werde, die deutſche näm¬
lich, dann werde die Regirung auch im Innern Vertrauen gewinnen.
Lauter ſchöne Worte. Um zu erklären, daß ich mich bisher nicht
recht wohnlich einrichte, ſage ich den Fragern, daß ich in Kurzem
für einige Monat Urlaub zu nehmen denke, um dann mit meiner
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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 255. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/282>, abgerufen am 16.02.2025.
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