Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.

Bild:
<< vorherige Seite

Briefwechsel mit Roon über den Eintritt ins Ministerium.
sollte, zuckte er die Achseln, und als ich hinzusetzte, es bliebe dann
nichts übrig, als daß er sich selbst erbarmte, schlüpfte er darüber
hinweg, nicht abwehrend, nicht zustimmend. Daß mich dies be¬
unruhigt, kann Sie nicht wundern. Ich nahm daher gestern
Gelegenheit, an maßgebender Stelle die Ministerpräsidenten-Frage
auf die Bahn zu bringen, und fand die alte Hinneigung zu Ihnen
neben der alten Unentschlossenheit. Wer kann da helfen? Und
wie soll dies enden? -- -- Keine regierungsfähige Partei! Die
Demokraten sind selbstverständlich ausgeschlossen, aber die große
Majorität besteht aus Demokraten und solchen, die es werden
wollen, wenngleich ihr Adreßentwurf von Loyalitätsversicherungen
trieft. Daneben die Constitutionellen, d. h. die Eigentlichen, ein
Häuflein von wenig mehr als 20 Köpfen, Vincke an der Spitze,
circa 15 Conservative, 30 Katholiken, einige 20 Polen. Wo also
findet eine mögliche Regierung die nöthige Unterstützung? Welche
Parthei kann bei dieser Gruppirung regieren außer den Demo¬
kraten, und diese können es, dürfen es erst recht nicht. Unter diesen
Umständen, so sagt meine Logik, muß die jetzige Regierung im
Amte bleiben, so schwierig es auch sein mag. Und eben deshalb
muß sie sich mit Nothwendigkeit verstärken und zwar je eher, je
lieber. -- -- Daß Graf Bernstorff immer zwei große Posten in
Beschlag habe, scheint mir nun nicht eben durch Preußens Interesse
geboten zu sein. Ich werde mich daher sehr freuen, wenn Sie
nächstens zum Ministerpräsidenten ernannt werden, obgleich ich über¬
zeugt bin, daß B. dann binnen Kurzem aus seiner Doppelstellung
treten und nicht länger den Koloß, 1 Fuß in Berlin, 1 in
London, spielen wird. Ich schiebe es Ihnen in's Gewissen, keinen
Gegenzug zu thun, da er schließlich dahin führen könnte und würde,
den König in die offenen Arme der Demokraten zu treiben. -- --
Zum 11. ds. M. ist Hohenlohes Urlaub um. Er wird nicht wieder¬
kommen, sondern nur sein Entlassungsgesuch. Und dann, ja dann
hoffe ich, wird der Telegraph Sie herrufen. Alle Patrioten er¬
sehnen dies. Wie könnten Sie da zaudern und manövriren?"

Briefwechſel mit Roon über den Eintritt ins Miniſterium.
ſollte, zuckte er die Achſeln, und als ich hinzuſetzte, es bliebe dann
nichts übrig, als daß er ſich ſelbſt erbarmte, ſchlüpfte er darüber
hinweg, nicht abwehrend, nicht zuſtimmend. Daß mich dies be¬
unruhigt, kann Sie nicht wundern. Ich nahm daher geſtern
Gelegenheit, an maßgebender Stelle die Miniſterpräſidenten-Frage
auf die Bahn zu bringen, und fand die alte Hinneigung zu Ihnen
neben der alten Unentſchloſſenheit. Wer kann da helfen? Und
wie ſoll dies enden? — — Keine regierungsfähige Partei! Die
Demokraten ſind ſelbſtverſtändlich ausgeſchloſſen, aber die große
Majorität beſteht aus Demokraten und ſolchen, die es werden
wollen, wenngleich ihr Adreßentwurf von Loyalitätsverſicherungen
trieft. Daneben die Conſtitutionellen, d. h. die Eigentlichen, ein
Häuflein von wenig mehr als 20 Köpfen, Vincke an der Spitze,
circa 15 Conſervative, 30 Katholiken, einige 20 Polen. Wo alſo
findet eine mögliche Regierung die nöthige Unterſtützung? Welche
Parthei kann bei dieſer Gruppirung regieren außer den Demo¬
kraten, und dieſe können es, dürfen es erſt recht nicht. Unter dieſen
Umſtänden, ſo ſagt meine Logik, muß die jetzige Regierung im
Amte bleiben, ſo ſchwierig es auch ſein mag. Und eben deshalb
muß ſie ſich mit Nothwendigkeit verſtärken und zwar je eher, je
lieber. — — Daß Graf Bernſtorff immer zwei große Poſten in
Beſchlag habe, ſcheint mir nun nicht eben durch Preußens Intereſſe
geboten zu ſein. Ich werde mich daher ſehr freuen, wenn Sie
nächſtens zum Miniſterpräſidenten ernannt werden, obgleich ich über¬
zeugt bin, daß B. dann binnen Kurzem aus ſeiner Doppelſtellung
treten und nicht länger den Koloß, 1 Fuß in Berlin, 1 in
London, ſpielen wird. Ich ſchiebe es Ihnen in's Gewiſſen, keinen
Gegenzug zu thun, da er ſchließlich dahin führen könnte und würde,
den König in die offenen Arme der Demokraten zu treiben. — —
Zum 11. ds. M. iſt Hohenlohes Urlaub um. Er wird nicht wieder¬
kommen, ſondern nur ſein Entlaſſungsgeſuch. Und dann, ja dann
hoffe ich, wird der Telegraph Sie herrufen. Alle Patrioten er¬
ſehnen dies. Wie könnten Sie da zaudern und manövriren?“

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0280" n="253"/><fw place="top" type="header">Briefwech&#x017F;el mit Roon über den Eintritt ins Mini&#x017F;terium.<lb/></fw>&#x017F;ollte, zuckte er die Ach&#x017F;eln, und als ich hinzu&#x017F;etzte, es bliebe dann<lb/>
nichts übrig, als daß er &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t erbarmte, &#x017F;chlüpfte er darüber<lb/>
hinweg, nicht abwehrend, nicht zu&#x017F;timmend. Daß mich dies be¬<lb/>
unruhigt, kann Sie nicht wundern. Ich nahm daher ge&#x017F;tern<lb/>
Gelegenheit, an maßgebender Stelle die Mini&#x017F;terprä&#x017F;identen-Frage<lb/>
auf die Bahn zu bringen, und fand die alte Hinneigung zu Ihnen<lb/>
neben der alten Unent&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;enheit. Wer kann da helfen? Und<lb/>
wie &#x017F;oll dies enden? &#x2014; &#x2014; Keine regierungsfähige Partei! Die<lb/>
Demokraten &#x017F;ind &#x017F;elb&#x017F;tver&#x017F;tändlich ausge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en, aber die große<lb/>
Majorität be&#x017F;teht aus Demokraten und &#x017F;olchen, die es werden<lb/>
wollen, wenngleich ihr Adreßentwurf von Loyalitätsver&#x017F;icherungen<lb/>
trieft. Daneben die Con&#x017F;titutionellen, d. h. die Eigentlichen, ein<lb/>
Häuflein von wenig mehr als 20 Köpfen, Vincke an der Spitze,<lb/>
circa 15 Con&#x017F;ervative, 30 Katholiken, einige 20 Polen. Wo al&#x017F;o<lb/>
findet eine <hi rendition="#g">mögliche</hi> Regierung die nöthige Unter&#x017F;tützung? Welche<lb/>
Parthei kann bei die&#x017F;er Gruppirung regieren außer den Demo¬<lb/>
kraten, und die&#x017F;e können es, dürfen es er&#x017F;t recht nicht. Unter die&#x017F;en<lb/>
Um&#x017F;tänden, &#x017F;o &#x017F;agt meine Logik, muß die jetzige Regierung im<lb/>
Amte bleiben, &#x017F;o &#x017F;chwierig es auch &#x017F;ein mag. Und eben deshalb<lb/>
muß &#x017F;ie &#x017F;ich mit Nothwendigkeit ver&#x017F;tärken und zwar je eher, je<lb/>
lieber. &#x2014; &#x2014; Daß Graf Bern&#x017F;torff immer zwei große Po&#x017F;ten in<lb/>
Be&#x017F;chlag habe, &#x017F;cheint mir nun nicht eben durch Preußens Intere&#x017F;&#x017F;e<lb/>
geboten zu &#x017F;ein. Ich werde mich daher &#x017F;ehr freuen, wenn Sie<lb/>
näch&#x017F;tens zum Mini&#x017F;terprä&#x017F;identen ernannt werden, obgleich ich über¬<lb/>
zeugt bin, daß B. dann binnen Kurzem aus &#x017F;einer Doppel&#x017F;tellung<lb/>
treten und nicht länger den Koloß, 1 Fuß in Berlin, 1 in<lb/>
London, &#x017F;pielen wird. Ich &#x017F;chiebe es Ihnen in's Gewi&#x017F;&#x017F;en, keinen<lb/>
Gegenzug zu thun, da er &#x017F;chließlich dahin führen könnte und würde,<lb/>
den König in die offenen Arme der Demokraten zu treiben. &#x2014; &#x2014;<lb/>
Zum 11. ds. M. i&#x017F;t Hohenlohes Urlaub um. Er wird nicht wieder¬<lb/>
kommen, &#x017F;ondern nur &#x017F;ein Entla&#x017F;&#x017F;ungsge&#x017F;uch. Und dann, ja dann<lb/>
hoffe ich, wird der Telegraph Sie herrufen. Alle Patrioten er¬<lb/>
&#x017F;ehnen dies. Wie könnten Sie da zaudern und manövriren?&#x201C;<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[253/0280] Briefwechſel mit Roon über den Eintritt ins Miniſterium. ſollte, zuckte er die Achſeln, und als ich hinzuſetzte, es bliebe dann nichts übrig, als daß er ſich ſelbſt erbarmte, ſchlüpfte er darüber hinweg, nicht abwehrend, nicht zuſtimmend. Daß mich dies be¬ unruhigt, kann Sie nicht wundern. Ich nahm daher geſtern Gelegenheit, an maßgebender Stelle die Miniſterpräſidenten-Frage auf die Bahn zu bringen, und fand die alte Hinneigung zu Ihnen neben der alten Unentſchloſſenheit. Wer kann da helfen? Und wie ſoll dies enden? — — Keine regierungsfähige Partei! Die Demokraten ſind ſelbſtverſtändlich ausgeſchloſſen, aber die große Majorität beſteht aus Demokraten und ſolchen, die es werden wollen, wenngleich ihr Adreßentwurf von Loyalitätsverſicherungen trieft. Daneben die Conſtitutionellen, d. h. die Eigentlichen, ein Häuflein von wenig mehr als 20 Köpfen, Vincke an der Spitze, circa 15 Conſervative, 30 Katholiken, einige 20 Polen. Wo alſo findet eine mögliche Regierung die nöthige Unterſtützung? Welche Parthei kann bei dieſer Gruppirung regieren außer den Demo¬ kraten, und dieſe können es, dürfen es erſt recht nicht. Unter dieſen Umſtänden, ſo ſagt meine Logik, muß die jetzige Regierung im Amte bleiben, ſo ſchwierig es auch ſein mag. Und eben deshalb muß ſie ſich mit Nothwendigkeit verſtärken und zwar je eher, je lieber. — — Daß Graf Bernſtorff immer zwei große Poſten in Beſchlag habe, ſcheint mir nun nicht eben durch Preußens Intereſſe geboten zu ſein. Ich werde mich daher ſehr freuen, wenn Sie nächſtens zum Miniſterpräſidenten ernannt werden, obgleich ich über¬ zeugt bin, daß B. dann binnen Kurzem aus ſeiner Doppelſtellung treten und nicht länger den Koloß, 1 Fuß in Berlin, 1 in London, ſpielen wird. Ich ſchiebe es Ihnen in's Gewiſſen, keinen Gegenzug zu thun, da er ſchließlich dahin führen könnte und würde, den König in die offenen Arme der Demokraten zu treiben. — — Zum 11. ds. M. iſt Hohenlohes Urlaub um. Er wird nicht wieder¬ kommen, ſondern nur ſein Entlaſſungsgeſuch. Und dann, ja dann hoffe ich, wird der Telegraph Sie herrufen. Alle Patrioten er¬ ſehnen dies. Wie könnten Sie da zaudern und manövriren?“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/280
Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 253. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/280>, abgerufen am 22.11.2024.