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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.

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Krönung Wilhelms I. Gespräch mit der Königin.
hätte gehört, dieselbe sei beigelegt, und sagte, ich sei nur ge¬
kommen, um seine persönliche Zustimmung dazu zu erbitten, daß
ich meinen Urlaub bis nach der im Herbst bevorstehenden Krönung,
also über die gegebenen drei Monat hinaus ausdehnen dürfe. Der
König sagte das in freundlicher Weise zu und lud mich persönlich
zur Tafel.

Nachdem ich den August und September in Reinfeld und
Stolpmünde zugebracht hatte, traf ich am 13. October in Königs¬
berg ein, wo am 18. die Krönung vor sich ging.

Während der Festlichkeiten sah ich, daß in der Stimmung der
Königin eine Veränderung vorgegangen war, die vielleicht mit dem
inzwischen erfolgten Rücktritt von Schleinitz zusammenhing. Sie
ergriff die Initiative zur Besprechung national-deutscher Politik
mit mir. Ich begegnete dort zum ersten Male dem Grafen Bern¬
storff als Minister, der zu einer bestimmten Entschließung über
seine Politik noch nicht gelangt zu sein schien und mir in unsern
Gesprächen den Eindruck machte, als ringe er nach einer Meinung.
Die Königin zeigte sich gegen mich freundlicher als seit langen
Jahren, sie zeichnete mich in augenfälliger Weise aus, offenbar
über die im Augenblick von dem Könige gewünschte Linie hinaus.
In einem Moment, der ceremoniell für Unterhaltung kaum Zeit
bot, blieb sie vor mir, der ich in dem Haufen stand, stehn und
begann mit mir ein Gespräch über deutsche Politik, dem der sie
führende König, ein Zeit lang vergebens, ein Ende zu machen
suchte. Das Verhalten beider Herrschaften bei dieser und andern
Gelegenheiten bewies, daß damals eine Meinungsverschiedenheit
über die Behandlung der deutschen Frage zwischen ihnen bestand;
ich vermuthe, daß Graf Bernstorff Ihrer Majestät nicht sympathisch
war. Der König vermied, mit mir über Politik zu reden, wahr¬
scheinlich in der Besorgniß, durch Beziehungen zu mir in eine
reactionäre Beleuchtung zu gerathen. Diese Besorgniß beherrschte
ihn noch im Mai 1862 und sogar noch im September 1862. Er
hielt mich für fanatischer als ich war. Nicht ohne Einfluß war

Krönung Wilhelms I. Geſpräch mit der Königin.
hätte gehört, dieſelbe ſei beigelegt, und ſagte, ich ſei nur ge¬
kommen, um ſeine perſönliche Zuſtimmung dazu zu erbitten, daß
ich meinen Urlaub bis nach der im Herbſt bevorſtehenden Krönung,
alſo über die gegebenen drei Monat hinaus ausdehnen dürfe. Der
König ſagte das in freundlicher Weiſe zu und lud mich perſönlich
zur Tafel.

Nachdem ich den Auguſt und September in Reinfeld und
Stolpmünde zugebracht hatte, traf ich am 13. October in Königs¬
berg ein, wo am 18. die Krönung vor ſich ging.

Während der Feſtlichkeiten ſah ich, daß in der Stimmung der
Königin eine Veränderung vorgegangen war, die vielleicht mit dem
inzwiſchen erfolgten Rücktritt von Schleinitz zuſammenhing. Sie
ergriff die Initiative zur Beſprechung national-deutſcher Politik
mit mir. Ich begegnete dort zum erſten Male dem Grafen Bern¬
ſtorff als Miniſter, der zu einer beſtimmten Entſchließung über
ſeine Politik noch nicht gelangt zu ſein ſchien und mir in unſern
Geſprächen den Eindruck machte, als ringe er nach einer Meinung.
Die Königin zeigte ſich gegen mich freundlicher als ſeit langen
Jahren, ſie zeichnete mich in augenfälliger Weiſe aus, offenbar
über die im Augenblick von dem Könige gewünſchte Linie hinaus.
In einem Moment, der ceremoniell für Unterhaltung kaum Zeit
bot, blieb ſie vor mir, der ich in dem Haufen ſtand, ſtehn und
begann mit mir ein Geſpräch über deutſche Politik, dem der ſie
führende König, ein Zeit lang vergebens, ein Ende zu machen
ſuchte. Das Verhalten beider Herrſchaften bei dieſer und andern
Gelegenheiten bewies, daß damals eine Meinungsverſchiedenheit
über die Behandlung der deutſchen Frage zwiſchen ihnen beſtand;
ich vermuthe, daß Graf Bernſtorff Ihrer Majeſtät nicht ſympathiſch
war. Der König vermied, mit mir über Politik zu reden, wahr¬
ſcheinlich in der Beſorgniß, durch Beziehungen zu mir in eine
reactionäre Beleuchtung zu gerathen. Dieſe Beſorgniß beherrſchte
ihn noch im Mai 1862 und ſogar noch im September 1862. Er
hielt mich für fanatiſcher als ich war. Nicht ohne Einfluß war

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[249/0276] Krönung Wilhelms I. Geſpräch mit der Königin. hätte gehört, dieſelbe ſei beigelegt, und ſagte, ich ſei nur ge¬ kommen, um ſeine perſönliche Zuſtimmung dazu zu erbitten, daß ich meinen Urlaub bis nach der im Herbſt bevorſtehenden Krönung, alſo über die gegebenen drei Monat hinaus ausdehnen dürfe. Der König ſagte das in freundlicher Weiſe zu und lud mich perſönlich zur Tafel. Nachdem ich den Auguſt und September in Reinfeld und Stolpmünde zugebracht hatte, traf ich am 13. October in Königs¬ berg ein, wo am 18. die Krönung vor ſich ging. Während der Feſtlichkeiten ſah ich, daß in der Stimmung der Königin eine Veränderung vorgegangen war, die vielleicht mit dem inzwiſchen erfolgten Rücktritt von Schleinitz zuſammenhing. Sie ergriff die Initiative zur Beſprechung national-deutſcher Politik mit mir. Ich begegnete dort zum erſten Male dem Grafen Bern¬ ſtorff als Miniſter, der zu einer beſtimmten Entſchließung über ſeine Politik noch nicht gelangt zu ſein ſchien und mir in unſern Geſprächen den Eindruck machte, als ringe er nach einer Meinung. Die Königin zeigte ſich gegen mich freundlicher als ſeit langen Jahren, ſie zeichnete mich in augenfälliger Weiſe aus, offenbar über die im Augenblick von dem Könige gewünſchte Linie hinaus. In einem Moment, der ceremoniell für Unterhaltung kaum Zeit bot, blieb ſie vor mir, der ich in dem Haufen ſtand, ſtehn und begann mit mir ein Geſpräch über deutſche Politik, dem der ſie führende König, ein Zeit lang vergebens, ein Ende zu machen ſuchte. Das Verhalten beider Herrſchaften bei dieſer und andern Gelegenheiten bewies, daß damals eine Meinungsverſchiedenheit über die Behandlung der deutſchen Frage zwiſchen ihnen beſtand; ich vermuthe, daß Graf Bernſtorff Ihrer Majeſtät nicht ſympathiſch war. Der König vermied, mit mir über Politik zu reden, wahr¬ ſcheinlich in der Beſorgniß, durch Beziehungen zu mir in eine reactionäre Beleuchtung zu gerathen. Dieſe Beſorgniß beherrſchte ihn noch im Mai 1862 und ſogar noch im September 1862. Er hielt mich für fanatiſcher als ich war. Nicht ohne Einfluß war

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 249. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/276>, abgerufen am 22.11.2024.