Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.

Bild:
<< vorherige Seite
Elftes Kapitel: Zwischenzustand.

"Ich habe gelobt, Ihnen am ersten Regentage zu antworten
und muß es daher leider schon heute thun und zwar aus einem
versiegenden Dintenfaß, welches ich, falls nicht andre Hülfe kommt,
auf einige Minuten zum Fenster hinaushalten werde, um seiner
Armuth aufzuhelfen. -- Daß wir uns immer wieder verfehlten,
halte ich kaum für providentiell, lieber für sehr fatal. Die Depesche
aus Frankfurt kam, Dank der Dummheit des Dienstpersonals, erst
am 17. nach acht Uhr früh in meine Hände und meine sofortige
Antwort darauf nach einigen Stunden als unbestellbar zurück. Um
so bedenklicher wurde ich wegen meiner Abreise. Aber ich konnte
sie nicht verschieben. Schleinitz im Dienste der Königin Augusta hat
uns vor der Hand sehr geschadet. Das Geschwür war reif. Schl.
selbst, überzeugt von der Unhaltbarkeit des gegenwärtigen Systems,
hat vornehmlich deshalb seinen Abtritt genommen, wie die Ratten
ein baufälliges Schiff zu verlassen pflegen. Aber er und v. d. Heydt
stimmten darin überein, daß man todte abgenutzte Leute nicht durch
den galvanischen Strich eines vermeintlichen Märtyrerthums wieder
lebendig machen dürfe, und darum gegen mich. Schl., unterstützt
von der K. A. und der Großfürstin Helene, haben obgesiegt mit Hülfe
der wieder aufgenommenen Krönungsidee, für welche die Mäntel
schon im Februar bestellt worden waren. Der schlecht maskirte
Rückzug wurde nun angetreten und die fast fertige Ministerliste
ad acta gelegt. Uebrigens bin ich zu glauben sehr geneigt, daß
Schl., wie die K. A. und selbst der Fürst Hohenzollern an den
nahen Untergang des jetzigen Lügensystems glauben und ihn zu
befördern geneigt sind. Daß Schl. ausgetreten, ist in jeder Be¬
ziehung ein Fortschritt, wiewohl er nicht auf dem doctrinären Boden
von Patow, Auerswald und Schwerin steht. Abgesehn von seiner
Impotenz im Handeln stützte seine Anwesenheit das Ministerium nach
oben. Der Mignon durfte nicht fallen; wohlan! er ist nun im Hafen.
Wenn Graf Bernstorff nur halb der Mann ist, für den er von Vielen
ausgegeben wird, so ist dieser zweite Keil wirksamer als der erste,
oder er bleibt nicht vier Monate im Amte. Daß ich mich in der

Elftes Kapitel: Zwiſchenzuſtand.

„Ich habe gelobt, Ihnen am erſten Regentage zu antworten
und muß es daher leider ſchon heute thun und zwar aus einem
verſiegenden Dintenfaß, welches ich, falls nicht andre Hülfe kommt,
auf einige Minuten zum Fenſter hinaushalten werde, um ſeiner
Armuth aufzuhelfen. — Daß wir uns immer wieder verfehlten,
halte ich kaum für providentiell, lieber für ſehr fatal. Die Depeſche
aus Frankfurt kam, Dank der Dummheit des Dienſtperſonals, erſt
am 17. nach acht Uhr früh in meine Hände und meine ſofortige
Antwort darauf nach einigen Stunden als unbeſtellbar zurück. Um
ſo bedenklicher wurde ich wegen meiner Abreiſe. Aber ich konnte
ſie nicht verſchieben. Schleinitz im Dienſte der Königin Auguſta hat
uns vor der Hand ſehr geſchadet. Das Geſchwür war reif. Schl.
ſelbſt, überzeugt von der Unhaltbarkeit des gegenwärtigen Syſtems,
hat vornehmlich deshalb ſeinen Abtritt genommen, wie die Ratten
ein baufälliges Schiff zu verlaſſen pflegen. Aber er und v. d. Heydt
ſtimmten darin überein, daß man todte abgenutzte Leute nicht durch
den galvaniſchen Strich eines vermeintlichen Märtyrerthums wieder
lebendig machen dürfe, und darum gegen mich. Schl., unterſtützt
von der K. A. und der Großfürſtin Helene, haben obgeſiegt mit Hülfe
der wieder aufgenommenen Krönungsidee, für welche die Mäntel
ſchon im Februar beſtellt worden waren. Der ſchlecht maskirte
Rückzug wurde nun angetreten und die faſt fertige Miniſterliſte
ad acta gelegt. Uebrigens bin ich zu glauben ſehr geneigt, daß
Schl., wie die K. A. und ſelbſt der Fürſt Hohenzollern an den
nahen Untergang des jetzigen Lügenſyſtems glauben und ihn zu
befördern geneigt ſind. Daß Schl. ausgetreten, iſt in jeder Be¬
ziehung ein Fortſchritt, wiewohl er nicht auf dem doctrinären Boden
von Patow, Auerswald und Schwerin ſteht. Abgeſehn von ſeiner
Impotenz im Handeln ſtützte ſeine Anweſenheit das Miniſterium nach
oben. Der Mignon durfte nicht fallen; wohlan! er iſt nun im Hafen.
Wenn Graf Bernſtorff nur halb der Mann iſt, für den er von Vielen
ausgegeben wird, ſo iſt dieſer zweite Keil wirkſamer als der erſte,
oder er bleibt nicht vier Monate im Amte. Daß ich mich in der

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0273" n="246"/>
          <fw place="top" type="header">Elftes Kapitel: Zwi&#x017F;chenzu&#x017F;tand.<lb/></fw>
          <p>&#x201E;Ich habe gelobt, Ihnen am er&#x017F;ten Regentage zu antworten<lb/>
und muß es daher leider &#x017F;chon heute thun und zwar aus einem<lb/>
ver&#x017F;iegenden Dintenfaß, welches ich, falls nicht andre Hülfe kommt,<lb/>
auf einige Minuten zum Fen&#x017F;ter hinaushalten werde, um &#x017F;einer<lb/>
Armuth aufzuhelfen. &#x2014; Daß wir uns immer wieder verfehlten,<lb/>
halte ich kaum für providentiell, lieber für &#x017F;ehr fatal. Die Depe&#x017F;che<lb/>
aus Frankfurt kam, Dank der Dummheit des Dien&#x017F;tper&#x017F;onals, er&#x017F;t<lb/>
am 17. nach acht Uhr früh in meine Hände und meine &#x017F;ofortige<lb/>
Antwort darauf nach einigen Stunden als unbe&#x017F;tellbar zurück. Um<lb/>
&#x017F;o bedenklicher wurde ich wegen meiner Abrei&#x017F;e. Aber ich konnte<lb/>
&#x017F;ie nicht ver&#x017F;chieben. Schleinitz im Dien&#x017F;te der Königin Augu&#x017F;ta hat<lb/>
uns vor der Hand &#x017F;ehr ge&#x017F;chadet. Das Ge&#x017F;chwür war reif. Schl.<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t, überzeugt von der Unhaltbarkeit des gegenwärtigen Sy&#x017F;tems,<lb/>
hat vornehmlich deshalb &#x017F;einen Abtritt genommen, wie die Ratten<lb/>
ein baufälliges Schiff zu verla&#x017F;&#x017F;en pflegen. Aber er und v. d. Heydt<lb/>
&#x017F;timmten darin überein, daß man todte abgenutzte Leute nicht durch<lb/>
den galvani&#x017F;chen Strich eines vermeintlichen Märtyrerthums wieder<lb/>
lebendig machen dürfe, und darum gegen mich. Schl., unter&#x017F;tützt<lb/>
von der K. A. und der Großfür&#x017F;tin Helene, haben obge&#x017F;iegt mit Hülfe<lb/>
der wieder aufgenommenen Krönungsidee, für welche die Mäntel<lb/>
&#x017F;chon im Februar be&#x017F;tellt worden waren. Der &#x017F;chlecht maskirte<lb/>
Rückzug wurde nun angetreten und die fa&#x017F;t fertige Mini&#x017F;terli&#x017F;te<lb/><hi rendition="#aq">ad acta</hi> gelegt. Uebrigens bin ich zu glauben &#x017F;ehr geneigt, daß<lb/>
Schl., wie die K. A. und &#x017F;elb&#x017F;t der Für&#x017F;t Hohenzollern an den<lb/>
nahen Untergang des jetzigen Lügen&#x017F;y&#x017F;tems glauben und ihn zu<lb/>
befördern geneigt &#x017F;ind. Daß Schl. ausgetreten, i&#x017F;t in jeder Be¬<lb/>
ziehung ein Fort&#x017F;chritt, wiewohl er nicht auf dem doctrinären Boden<lb/>
von Patow, Auerswald und Schwerin &#x017F;teht. Abge&#x017F;ehn von &#x017F;einer<lb/>
Impotenz im Handeln &#x017F;tützte &#x017F;eine Anwe&#x017F;enheit das Mini&#x017F;terium nach<lb/>
oben. Der Mignon <hi rendition="#g">durfte</hi> nicht fallen; wohlan! er i&#x017F;t nun im Hafen.<lb/>
Wenn Graf Bern&#x017F;torff nur halb der Mann i&#x017F;t, für den er von Vielen<lb/>
ausgegeben wird, &#x017F;o i&#x017F;t die&#x017F;er zweite Keil wirk&#x017F;amer als der er&#x017F;te,<lb/>
oder er bleibt nicht vier Monate im Amte. Daß ich mich in der<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[246/0273] Elftes Kapitel: Zwiſchenzuſtand. „Ich habe gelobt, Ihnen am erſten Regentage zu antworten und muß es daher leider ſchon heute thun und zwar aus einem verſiegenden Dintenfaß, welches ich, falls nicht andre Hülfe kommt, auf einige Minuten zum Fenſter hinaushalten werde, um ſeiner Armuth aufzuhelfen. — Daß wir uns immer wieder verfehlten, halte ich kaum für providentiell, lieber für ſehr fatal. Die Depeſche aus Frankfurt kam, Dank der Dummheit des Dienſtperſonals, erſt am 17. nach acht Uhr früh in meine Hände und meine ſofortige Antwort darauf nach einigen Stunden als unbeſtellbar zurück. Um ſo bedenklicher wurde ich wegen meiner Abreiſe. Aber ich konnte ſie nicht verſchieben. Schleinitz im Dienſte der Königin Auguſta hat uns vor der Hand ſehr geſchadet. Das Geſchwür war reif. Schl. ſelbſt, überzeugt von der Unhaltbarkeit des gegenwärtigen Syſtems, hat vornehmlich deshalb ſeinen Abtritt genommen, wie die Ratten ein baufälliges Schiff zu verlaſſen pflegen. Aber er und v. d. Heydt ſtimmten darin überein, daß man todte abgenutzte Leute nicht durch den galvaniſchen Strich eines vermeintlichen Märtyrerthums wieder lebendig machen dürfe, und darum gegen mich. Schl., unterſtützt von der K. A. und der Großfürſtin Helene, haben obgeſiegt mit Hülfe der wieder aufgenommenen Krönungsidee, für welche die Mäntel ſchon im Februar beſtellt worden waren. Der ſchlecht maskirte Rückzug wurde nun angetreten und die faſt fertige Miniſterliſte ad acta gelegt. Uebrigens bin ich zu glauben ſehr geneigt, daß Schl., wie die K. A. und ſelbſt der Fürſt Hohenzollern an den nahen Untergang des jetzigen Lügenſyſtems glauben und ihn zu befördern geneigt ſind. Daß Schl. ausgetreten, iſt in jeder Be¬ ziehung ein Fortſchritt, wiewohl er nicht auf dem doctrinären Boden von Patow, Auerswald und Schwerin ſteht. Abgeſehn von ſeiner Impotenz im Handeln ſtützte ſeine Anweſenheit das Miniſterium nach oben. Der Mignon durfte nicht fallen; wohlan! er iſt nun im Hafen. Wenn Graf Bernſtorff nur halb der Mann iſt, für den er von Vielen ausgegeben wird, ſo iſt dieſer zweite Keil wirkſamer als der erſte, oder er bleibt nicht vier Monate im Amte. Daß ich mich in der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/273
Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 246. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/273>, abgerufen am 25.11.2024.