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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.

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Der Regent erklärt sich für die von Schleinitz vertretene Politik.
also unter geschickter Berührung einer Saite, die im Gemüth des
Regenten ihren Anklang nie versagte, unter Schilderung der Be¬
denken und Gefahren, die von Westen (Paris) und im Innern
drohten, wenn die Beziehungen zu Oestreich trotz aller berechtigten
Gründe zur Empfindlichkeit nicht erhalten würden. Die Gefahren
russisch-französischer Verbindungen, die schon damals in der Oeffent¬
lichkeit eine Rolle spielten, wurden entwickelt, die Möglichkeit preu¬
ßisch-russischer Verbindungen als von der öffentlichen Meinung ver¬
urtheilt dargestellt. Charakteristisch war, daß, sobald Schleinitz sein
letztes Wort eines geläufigen und offenbar vorbereiteten Vortrages
gesprochen hatte, der Regent wiederum das Wort nahm und in
klarer Entwicklung erklärte, daß er sich in Erinnerung an die väter¬
lichen Traditionen für die Darstellung des Ministers von Schleinitz
entscheide, und damit wurde die Erörterung kurzer Hand geschlossen.

Die Schnelligkeit, mit welcher er sich entschied, nachdem das
letzte Wort des Ministers gefallen war, ließ mich annehmen, daß
die ganze mise en scene vorher verabredet war und nach dem
Willen der Prinzessin sich entwickelt hatte, um den Ansichten des
Fürsten von Hohenzollern und Auerswalds eine äußerliche Berück¬
sichtigung zu gewähren, während sie schon damals sich mit diesen
Beiden und deren Neigung, das Cabinet durch meine Zuziehung zu
stärken, nicht im Einklang befand.

In der Politik der Prinzessin, welche für ihren Gemal und
für den Minister von erheblichem Gewicht war, gaben, wie ich an¬
nahm, eher gewisse Abneigungen den Ausschlag als positive Ziele.
Die Abneigungen richteten sich gegen Rußland, gegen Louis Na¬
poleon, mit dem Beziehungen zu unterhalten ich im Verdacht stand,
gegen mich, wegen Neigung zu unabhängiger Meinung und wegen
wiederholter Weigerung, Ansichten der hohen Frau bei ihrem Ge¬
mal als meine eignen zu vertreten. Ihre Geneigtheiten wirkten
in demselben Sinne. Herr von Schleinitz war politisch ihr Ge¬
schöpf, ein von ihr abhängiger Höfling ohne eigne politische Ueber¬
zeugung.

Der Regent erklärt ſich für die von Schleinitz vertretene Politik.
alſo unter geſchickter Berührung einer Saite, die im Gemüth des
Regenten ihren Anklang nie verſagte, unter Schilderung der Be¬
denken und Gefahren, die von Weſten (Paris) und im Innern
drohten, wenn die Beziehungen zu Oeſtreich trotz aller berechtigten
Gründe zur Empfindlichkeit nicht erhalten würden. Die Gefahren
ruſſiſch-franzöſiſcher Verbindungen, die ſchon damals in der Oeffent¬
lichkeit eine Rolle ſpielten, wurden entwickelt, die Möglichkeit preu¬
ßiſch-ruſſiſcher Verbindungen als von der öffentlichen Meinung ver¬
urtheilt dargeſtellt. Charakteriſtiſch war, daß, ſobald Schleinitz ſein
letztes Wort eines geläufigen und offenbar vorbereiteten Vortrages
geſprochen hatte, der Regent wiederum das Wort nahm und in
klarer Entwicklung erklärte, daß er ſich in Erinnerung an die väter¬
lichen Traditionen für die Darſtellung des Miniſters von Schleinitz
entſcheide, und damit wurde die Erörterung kurzer Hand geſchloſſen.

Die Schnelligkeit, mit welcher er ſich entſchied, nachdem das
letzte Wort des Miniſters gefallen war, ließ mich annehmen, daß
die ganze mise en scène vorher verabredet war und nach dem
Willen der Prinzeſſin ſich entwickelt hatte, um den Anſichten des
Fürſten von Hohenzollern und Auerswalds eine äußerliche Berück¬
ſichtigung zu gewähren, während ſie ſchon damals ſich mit dieſen
Beiden und deren Neigung, das Cabinet durch meine Zuziehung zu
ſtärken, nicht im Einklang befand.

In der Politik der Prinzeſſin, welche für ihren Gemal und
für den Miniſter von erheblichem Gewicht war, gaben, wie ich an¬
nahm, eher gewiſſe Abneigungen den Ausſchlag als poſitive Ziele.
Die Abneigungen richteten ſich gegen Rußland, gegen Louis Na¬
poleon, mit dem Beziehungen zu unterhalten ich im Verdacht ſtand,
gegen mich, wegen Neigung zu unabhängiger Meinung und wegen
wiederholter Weigerung, Anſichten der hohen Frau bei ihrem Ge¬
mal als meine eignen zu vertreten. Ihre Geneigtheiten wirkten
in demſelben Sinne. Herr von Schleinitz war politiſch ihr Ge¬
ſchöpf, ein von ihr abhängiger Höfling ohne eigne politiſche Ueber¬
zeugung.

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[239/0266] Der Regent erklärt ſich für die von Schleinitz vertretene Politik. alſo unter geſchickter Berührung einer Saite, die im Gemüth des Regenten ihren Anklang nie verſagte, unter Schilderung der Be¬ denken und Gefahren, die von Weſten (Paris) und im Innern drohten, wenn die Beziehungen zu Oeſtreich trotz aller berechtigten Gründe zur Empfindlichkeit nicht erhalten würden. Die Gefahren ruſſiſch-franzöſiſcher Verbindungen, die ſchon damals in der Oeffent¬ lichkeit eine Rolle ſpielten, wurden entwickelt, die Möglichkeit preu¬ ßiſch-ruſſiſcher Verbindungen als von der öffentlichen Meinung ver¬ urtheilt dargeſtellt. Charakteriſtiſch war, daß, ſobald Schleinitz ſein letztes Wort eines geläufigen und offenbar vorbereiteten Vortrages geſprochen hatte, der Regent wiederum das Wort nahm und in klarer Entwicklung erklärte, daß er ſich in Erinnerung an die väter¬ lichen Traditionen für die Darſtellung des Miniſters von Schleinitz entſcheide, und damit wurde die Erörterung kurzer Hand geſchloſſen. Die Schnelligkeit, mit welcher er ſich entſchied, nachdem das letzte Wort des Miniſters gefallen war, ließ mich annehmen, daß die ganze mise en scène vorher verabredet war und nach dem Willen der Prinzeſſin ſich entwickelt hatte, um den Anſichten des Fürſten von Hohenzollern und Auerswalds eine äußerliche Berück¬ ſichtigung zu gewähren, während ſie ſchon damals ſich mit dieſen Beiden und deren Neigung, das Cabinet durch meine Zuziehung zu ſtärken, nicht im Einklang befand. In der Politik der Prinzeſſin, welche für ihren Gemal und für den Miniſter von erheblichem Gewicht war, gaben, wie ich an¬ nahm, eher gewiſſe Abneigungen den Ausſchlag als poſitive Ziele. Die Abneigungen richteten ſich gegen Rußland, gegen Louis Na¬ poleon, mit dem Beziehungen zu unterhalten ich im Verdacht ſtand, gegen mich, wegen Neigung zu unabhängiger Meinung und wegen wiederholter Weigerung, Anſichten der hohen Frau bei ihrem Ge¬ mal als meine eignen zu vertreten. Ihre Geneigtheiten wirkten in demſelben Sinne. Herr von Schleinitz war politiſch ihr Ge¬ ſchöpf, ein von ihr abhängiger Höfling ohne eigne politiſche Ueber¬ zeugung.

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 239. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/266>, abgerufen am 28.07.2024.