Während dieser Wochen regten der Fürst von Hohenzollern und Rudolf von Auerswald bei dem Regenten meine Ernennung zum Minister des Auswärtigen an. Es fand infolge dessen im Palais eine Art von Conseil statt, das aus dem Fürsten, Auerswald, Schleinitz und mir bestand. Der Regent leitete die Besprechung mit der Aufforderung an mich ein, das Programm zu entwickeln, zu welchem ich riethe. Ich legte dasselbe in der Richtung, die ich später als Minister verfolgt habe, in so weit offen dar, daß ich als die schwächste Seite unsrer Politik ihre Schwäche gegen Oestreich bezeichnete, von der sie seit Olmütz und besonders in den letzten Jahren während der italienischen Krisis beherrscht gewesen sei. Könnten wir unsre deutsche Aufgabe im Einverständniß mit Oest¬ reich lösen, um so besser. Die Möglichkeit würde aber erst vor¬ liegen, wenn man in Wien die Ueberzeugung hätte, daß wir im entgegengesetzten Falle auch den Bruch und den Krieg nicht fürch¬ teten. Die zur Durchführung unsrer Politik wünschenswerthe Fühlung mit Rußland zu bewahren, würde gegen Oestreich leichter sein als mit Oestreich. Unmöglich aber schiene mir das auch im letztern Falle nicht, nach meiner in Petersburg gewonnenen Kennt¬ niß des russischen Hofes und der dort leitenden Einflüsse. Wir hätten dort aus dem Krimkriege und den polnischen Verwicklungen
Elftes Kapitel. Zwiſchenzuſtand.
I.
Während dieſer Wochen regten der Fürſt von Hohenzollern und Rudolf von Auerswald bei dem Regenten meine Ernennung zum Miniſter des Auswärtigen an. Es fand infolge deſſen im Palais eine Art von Conſeil ſtatt, das aus dem Fürſten, Auerswald, Schleinitz und mir beſtand. Der Regent leitete die Beſprechung mit der Aufforderung an mich ein, das Programm zu entwickeln, zu welchem ich riethe. Ich legte daſſelbe in der Richtung, die ich ſpäter als Miniſter verfolgt habe, in ſo weit offen dar, daß ich als die ſchwächſte Seite unſrer Politik ihre Schwäche gegen Oeſtreich bezeichnete, von der ſie ſeit Olmütz und beſonders in den letzten Jahren während der italieniſchen Kriſis beherrſcht geweſen ſei. Könnten wir unſre deutſche Aufgabe im Einverſtändniß mit Oeſt¬ reich löſen, um ſo beſſer. Die Möglichkeit würde aber erſt vor¬ liegen, wenn man in Wien die Ueberzeugung hätte, daß wir im entgegengeſetzten Falle auch den Bruch und den Krieg nicht fürch¬ teten. Die zur Durchführung unſrer Politik wünſchenswerthe Fühlung mit Rußland zu bewahren, würde gegen Oeſtreich leichter ſein als mit Oeſtreich. Unmöglich aber ſchiene mir das auch im letztern Falle nicht, nach meiner in Petersburg gewonnenen Kennt¬ niß des ruſſiſchen Hofes und der dort leitenden Einflüſſe. Wir hätten dort aus dem Krimkriege und den polniſchen Verwicklungen
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Elftes Kapitel.
Zwiſchenzuſtand.
I.
Während dieſer Wochen regten der Fürſt von Hohenzollern und
Rudolf von Auerswald bei dem Regenten meine Ernennung zum
Miniſter des Auswärtigen an. Es fand infolge deſſen im Palais
eine Art von Conſeil ſtatt, das aus dem Fürſten, Auerswald,
Schleinitz und mir beſtand. Der Regent leitete die Beſprechung
mit der Aufforderung an mich ein, das Programm zu entwickeln,
zu welchem ich riethe. Ich legte daſſelbe in der Richtung, die ich
ſpäter als Miniſter verfolgt habe, in ſo weit offen dar, daß ich als
die ſchwächſte Seite unſrer Politik ihre Schwäche gegen Oeſtreich
bezeichnete, von der ſie ſeit Olmütz und beſonders in den letzten
Jahren während der italieniſchen Kriſis beherrſcht geweſen ſei.
Könnten wir unſre deutſche Aufgabe im Einverſtändniß mit Oeſt¬
reich löſen, um ſo beſſer. Die Möglichkeit würde aber erſt vor¬
liegen, wenn man in Wien die Ueberzeugung hätte, daß wir im
entgegengeſetzten Falle auch den Bruch und den Krieg nicht fürch¬
teten. Die zur Durchführung unſrer Politik wünſchenswerthe
Fühlung mit Rußland zu bewahren, würde gegen Oeſtreich leichter
ſein als mit Oeſtreich. Unmöglich aber ſchiene mir das auch im
letztern Falle nicht, nach meiner in Petersburg gewonnenen Kennt¬
niß des ruſſiſchen Hofes und der dort leitenden Einflüſſe. Wir
hätten dort aus dem Krimkriege und den polniſchen Verwicklungen
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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. [237]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/264>, abgerufen am 20.11.2024.
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