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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.

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Unter der Behandlung eines russischen "Arztes".
Kniekehle entfernen zu können. Walz kam einige Stunden später
und versuchte mit irgend einer metallischen Klinge die schwarze
Pflastermasse aus der handgroßen Wunde durch Schaben zu ent¬
fernen. Der Schmerz war unerträglich und der Erfolg unvoll¬
kommen, die corrosive Wirkung des Giftes dauerte fort. Ich wurde
mir über die Unwissenheit und Gewissenlosigkeit meines Arztes klar
trotz der hohen Empfehlung, die mich bestimmt hatte, ihn zu wählen.
Er selbst versicherte mit entschuldigendem Lächeln, die Salbe sei
wohl etwas zu stark gepfeffert worden; es sei ein Versehn des
Apothekers. Ich ließ von dem Letztern das Recept erbitten und
erhielt die Antwort, Walz habe es wieder an sich genommen;
Letztrer besaß es nach seiner Aussage nicht mehr. Ich konnte also
nicht ermitteln, wer der Giftmischer gewesen war, und erfuhr nur
von dem Apotheker, der Hauptbestandtheil der Salbe sei der Stoff
gewesen, der zur Herstellung von sogenannten immerwährenden
spanischen Fliegen verwendet werde, und nach seiner Erinnerung
sei derselbe allerdings in einer ungewöhnlich starken Dosis ver¬
schrieben gewesen. Es ist mir später die Frage gestellt worden,
ob meine Vergiftung eine absichtliche gewesen sein könne; ich
schreibe sie lediglich der Unwissenheit und Dreistigkeit des ärztlichen
Schwindlers zu.

Er war auf Grund einer Empfehlung der verwitweten Gro߬
herzogin Sophie von Baden Dirigent sämmtlicher Kinderhospitäler
in Petersburg geworden. Meine spätern Ermittelungen ergaben,
daß er der Sohn des Universitätsconditors in Heidelberg war, als
Student nicht gearbeitet und keine Prüfung bestanden hatte. Seine
Salbe hatte eine Vene zerstört, und ich habe viele Jahre lang schwer
daran gelitten.

Um bei deutschen Aerzten Hülfe zu suchen, reiste ich im Juli
auf dem Seewege über Stettin nach Berlin; heftige Schmerzen
veranlaßten mich, den berühmten Chirurgen Pirogow, der mit
an Bord war, zu fragen; er wollte mir das Bein amputiren, und
auf meine Frage, ob über oder unter dem Kniee, bezeichnete er

Unter der Behandlung eines ruſſiſchen „Arztes“.
Kniekehle entfernen zu können. Walz kam einige Stunden ſpäter
und verſuchte mit irgend einer metalliſchen Klinge die ſchwarze
Pflaſtermaſſe aus der handgroßen Wunde durch Schaben zu ent¬
fernen. Der Schmerz war unerträglich und der Erfolg unvoll¬
kommen, die corroſive Wirkung des Giftes dauerte fort. Ich wurde
mir über die Unwiſſenheit und Gewiſſenloſigkeit meines Arztes klar
trotz der hohen Empfehlung, die mich beſtimmt hatte, ihn zu wählen.
Er ſelbſt verſicherte mit entſchuldigendem Lächeln, die Salbe ſei
wohl etwas zu ſtark gepfeffert worden; es ſei ein Verſehn des
Apothekers. Ich ließ von dem Letztern das Recept erbitten und
erhielt die Antwort, Walz habe es wieder an ſich genommen;
Letztrer beſaß es nach ſeiner Ausſage nicht mehr. Ich konnte alſo
nicht ermitteln, wer der Giftmiſcher geweſen war, und erfuhr nur
von dem Apotheker, der Hauptbeſtandtheil der Salbe ſei der Stoff
geweſen, der zur Herſtellung von ſogenannten immerwährenden
ſpaniſchen Fliegen verwendet werde, und nach ſeiner Erinnerung
ſei derſelbe allerdings in einer ungewöhnlich ſtarken Doſis ver¬
ſchrieben geweſen. Es iſt mir ſpäter die Frage geſtellt worden,
ob meine Vergiftung eine abſichtliche geweſen ſein könne; ich
ſchreibe ſie lediglich der Unwiſſenheit und Dreiſtigkeit des ärztlichen
Schwindlers zu.

Er war auf Grund einer Empfehlung der verwitweten Gro߬
herzogin Sophie von Baden Dirigent ſämmtlicher Kinderhoſpitäler
in Petersburg geworden. Meine ſpätern Ermittelungen ergaben,
daß er der Sohn des Univerſitätsconditors in Heidelberg war, als
Student nicht gearbeitet und keine Prüfung beſtanden hatte. Seine
Salbe hatte eine Vene zerſtört, und ich habe viele Jahre lang ſchwer
daran gelitten.

Um bei deutſchen Aerzten Hülfe zu ſuchen, reiſte ich im Juli
auf dem Seewege über Stettin nach Berlin; heftige Schmerzen
veranlaßten mich, den berühmten Chirurgen Pirogow, der mit
an Bord war, zu fragen; er wollte mir das Bein amputiren, und
auf meine Frage, ob über oder unter dem Kniee, bezeichnete er

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[235/0262] Unter der Behandlung eines ruſſiſchen „Arztes“. Kniekehle entfernen zu können. Walz kam einige Stunden ſpäter und verſuchte mit irgend einer metalliſchen Klinge die ſchwarze Pflaſtermaſſe aus der handgroßen Wunde durch Schaben zu ent¬ fernen. Der Schmerz war unerträglich und der Erfolg unvoll¬ kommen, die corroſive Wirkung des Giftes dauerte fort. Ich wurde mir über die Unwiſſenheit und Gewiſſenloſigkeit meines Arztes klar trotz der hohen Empfehlung, die mich beſtimmt hatte, ihn zu wählen. Er ſelbſt verſicherte mit entſchuldigendem Lächeln, die Salbe ſei wohl etwas zu ſtark gepfeffert worden; es ſei ein Verſehn des Apothekers. Ich ließ von dem Letztern das Recept erbitten und erhielt die Antwort, Walz habe es wieder an ſich genommen; Letztrer beſaß es nach ſeiner Ausſage nicht mehr. Ich konnte alſo nicht ermitteln, wer der Giftmiſcher geweſen war, und erfuhr nur von dem Apotheker, der Hauptbeſtandtheil der Salbe ſei der Stoff geweſen, der zur Herſtellung von ſogenannten immerwährenden ſpaniſchen Fliegen verwendet werde, und nach ſeiner Erinnerung ſei derſelbe allerdings in einer ungewöhnlich ſtarken Doſis ver¬ ſchrieben geweſen. Es iſt mir ſpäter die Frage geſtellt worden, ob meine Vergiftung eine abſichtliche geweſen ſein könne; ich ſchreibe ſie lediglich der Unwiſſenheit und Dreiſtigkeit des ärztlichen Schwindlers zu. Er war auf Grund einer Empfehlung der verwitweten Gro߬ herzogin Sophie von Baden Dirigent ſämmtlicher Kinderhoſpitäler in Petersburg geworden. Meine ſpätern Ermittelungen ergaben, daß er der Sohn des Univerſitätsconditors in Heidelberg war, als Student nicht gearbeitet und keine Prüfung beſtanden hatte. Seine Salbe hatte eine Vene zerſtört, und ich habe viele Jahre lang ſchwer daran gelitten. Um bei deutſchen Aerzten Hülfe zu ſuchen, reiſte ich im Juli auf dem Seewege über Stettin nach Berlin; heftige Schmerzen veranlaßten mich, den berühmten Chirurgen Pirogow, der mit an Bord war, zu fragen; er wollte mir das Bein amputiren, und auf meine Frage, ob über oder unter dem Kniee, bezeichnete er

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 235. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/262>, abgerufen am 22.11.2024.