Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.Neuntes Kapitel: Reisen. Regentschaft. Schwerin, beeinflußt von dem nachmaligen Oberbürgermeister Winterin Danzig und andern liberalen Beamten. Er trieb die ministerielle Unabhängigkeit gegen den Regenten so weit, daß er schriftliche Be¬ fehle schriftlich damit erledigend beantwortete, dieselben seien nicht contrasignirt. Als das Ministerium den Regenten einmal zu einer ihm widerwärtigen Unterschrift genöthigt hatte, leistete er dieselbe in unlesbarer Gestalt und zerstampfte die Feder darauf. Graf Schwerin ließ eine zweite Reinschrift machen und bestand auf einer leserlichen Unterschrift. Der Regent unterschrieb nun wie gewöhnlich, knüllte aber das Blatt zusammen und warf es in die Ecke, aus der es hervorgeholt und, nachdem es geglättet, zu den Acten ge¬ nommen wurde. Auch an meinem Abschiedsgesuche von 1877 war zu sehn, daß der Kaiser es zum Knäul geballt hatte, bevor er darauf antwortete. V. Ich wurde am 29. Januar 1859 zum Gesandten in Peters¬ "Ew. Excellenz erlaube ich mir noch hiemit ganz ergebenst Neuntes Kapitel: Reiſen. Regentſchaft. Schwerin, beeinflußt von dem nachmaligen Oberbürgermeiſter Winterin Danzig und andern liberalen Beamten. Er trieb die miniſterielle Unabhängigkeit gegen den Regenten ſo weit, daß er ſchriftliche Be¬ fehle ſchriftlich damit erledigend beantwortete, dieſelben ſeien nicht contraſignirt. Als das Miniſterium den Regenten einmal zu einer ihm widerwärtigen Unterſchrift genöthigt hatte, leiſtete er dieſelbe in unlesbarer Geſtalt und zerſtampfte die Feder darauf. Graf Schwerin ließ eine zweite Reinſchrift machen und beſtand auf einer leſerlichen Unterſchrift. Der Regent unterſchrieb nun wie gewöhnlich, knüllte aber das Blatt zuſammen und warf es in die Ecke, aus der es hervorgeholt und, nachdem es geglättet, zu den Acten ge¬ nommen wurde. Auch an meinem Abſchiedsgeſuche von 1877 war zu ſehn, daß der Kaiſer es zum Knäul geballt hatte, bevor er darauf antwortete. V. Ich wurde am 29. Januar 1859 zum Geſandten in Peters¬ „Ew. Excellenz erlaube ich mir noch hiemit ganz ergebenſt <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0239" n="212"/><fw place="top" type="header">Neuntes Kapitel: Reiſen. Regentſchaft.<lb/></fw>Schwerin, beeinflußt von dem nachmaligen Oberbürgermeiſter Winter<lb/> in Danzig und andern liberalen Beamten. Er trieb die miniſterielle<lb/> Unabhängigkeit gegen den Regenten ſo weit, daß er ſchriftliche Be¬<lb/> fehle ſchriftlich damit erledigend beantwortete, dieſelben ſeien nicht<lb/> contraſignirt. Als das Miniſterium den Regenten einmal zu einer<lb/> ihm widerwärtigen Unterſchrift genöthigt hatte, leiſtete er dieſelbe<lb/> in unlesbarer Geſtalt und zerſtampfte die Feder darauf. Graf<lb/> Schwerin ließ eine zweite Reinſchrift machen und beſtand auf einer<lb/> leſerlichen Unterſchrift. Der Regent unterſchrieb nun wie gewöhnlich,<lb/> knüllte aber das Blatt zuſammen und warf es in die Ecke, aus<lb/> der es hervorgeholt und, nachdem es geglättet, zu den Acten ge¬<lb/> nommen wurde. Auch an meinem Abſchiedsgeſuche von 1877 war<lb/> zu ſehn, daß der Kaiſer es zum Knäul geballt hatte, bevor er<lb/> darauf antwortete.</p><lb/> </div> <div n="2"> <head> <hi rendition="#aq">V.</hi><lb/> </head> <p>Ich wurde am 29. Januar 1859 zum Geſandten in Peters¬<lb/> burg ernannt, verließ Frankfurt aber erſt am 6. März und ver¬<lb/> weilte bis zum 23. deſſelben Monats in Berlin. Während dieſer<lb/> Zeit hatte ich Gelegenheit, von der Verwendung der öſtreichiſchen<lb/> geheimen Fonds, der ich bis dahin nur in der Preſſe begegnet<lb/> war, einen praktiſchen Eindruck zu gewinnen. Der Bankier Levin¬<lb/> ſtein, welcher ſeit Jahrzehnten bei meinen Vorgeſetzten und in deren<lb/> vertraulichen Aufträgen in Wien und Paris mit den Leitern der<lb/> auswärtigen Politik und mit dem Kaiſer Napoleon in Perſon<lb/> verkehrt hatte, richtete am Morgen des Tages, auf den meine<lb/> Abreiſe feſtgeſetzt war, das nachſtehende Schreiben an mich:</p><lb/> <p>„Ew. Excellenz erlaube ich mir noch hiemit ganz ergebenſt<lb/> gutes Glück zu Ihrer Reiſe und Ihrer Miſſion zu wünſchen, hoffend,<lb/> daß wir Sie bald wieder hier begrüßen werden, da Sie im Vater¬<lb/> lande wohl nützlicher zu wirken vermögen, als in der Ferne.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [212/0239]
Neuntes Kapitel: Reiſen. Regentſchaft.
Schwerin, beeinflußt von dem nachmaligen Oberbürgermeiſter Winter
in Danzig und andern liberalen Beamten. Er trieb die miniſterielle
Unabhängigkeit gegen den Regenten ſo weit, daß er ſchriftliche Be¬
fehle ſchriftlich damit erledigend beantwortete, dieſelben ſeien nicht
contraſignirt. Als das Miniſterium den Regenten einmal zu einer
ihm widerwärtigen Unterſchrift genöthigt hatte, leiſtete er dieſelbe
in unlesbarer Geſtalt und zerſtampfte die Feder darauf. Graf
Schwerin ließ eine zweite Reinſchrift machen und beſtand auf einer
leſerlichen Unterſchrift. Der Regent unterſchrieb nun wie gewöhnlich,
knüllte aber das Blatt zuſammen und warf es in die Ecke, aus
der es hervorgeholt und, nachdem es geglättet, zu den Acten ge¬
nommen wurde. Auch an meinem Abſchiedsgeſuche von 1877 war
zu ſehn, daß der Kaiſer es zum Knäul geballt hatte, bevor er
darauf antwortete.
V.
Ich wurde am 29. Januar 1859 zum Geſandten in Peters¬
burg ernannt, verließ Frankfurt aber erſt am 6. März und ver¬
weilte bis zum 23. deſſelben Monats in Berlin. Während dieſer
Zeit hatte ich Gelegenheit, von der Verwendung der öſtreichiſchen
geheimen Fonds, der ich bis dahin nur in der Preſſe begegnet
war, einen praktiſchen Eindruck zu gewinnen. Der Bankier Levin¬
ſtein, welcher ſeit Jahrzehnten bei meinen Vorgeſetzten und in deren
vertraulichen Aufträgen in Wien und Paris mit den Leitern der
auswärtigen Politik und mit dem Kaiſer Napoleon in Perſon
verkehrt hatte, richtete am Morgen des Tages, auf den meine
Abreiſe feſtgeſetzt war, das nachſtehende Schreiben an mich:
„Ew. Excellenz erlaube ich mir noch hiemit ganz ergebenſt
gutes Glück zu Ihrer Reiſe und Ihrer Miſſion zu wünſchen, hoffend,
daß wir Sie bald wieder hier begrüßen werden, da Sie im Vater¬
lande wohl nützlicher zu wirken vermögen, als in der Ferne.
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