Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.

Bild:
<< vorherige Seite

Neuntes Kapitel: Reisen. Regentschaft.
Napoleon gehalten hätte. Es sei wünschenswerth, unser Gebiet durch
die Erwerbung Hanovers und der Elbherzogthümer zu consoli¬
diren, um damit die Unterlage einer stärkern preußischen See¬
macht zu gewinnen. Es fehle an Seemächten zweiten Ranges, die
durch Vereinigung ihrer Streitkräfte mit der französischen das jetzt
erdrückende Uebergewicht Englands aufhöben. Eine Gefahr für sie
selbst und für das übrige Europa könne darin nicht liegen, weil
sie sich ja zu einseitig egoistisch-französischen Unternehmungen nicht
einigen würden, nur für die Freiheit der Meere von der eng¬
lischen Uebermacht. Zunächst wünsche er sich der Neutralität
Preußens zu versichern für den Fall, daß er wegen Italien mit
Oestreich in Krieg geriethe. Ich möge den König über dieses Alles
sondiren.

Ich antwortete, ich sei doppelt erfreut, daß der Kaiser diese
Andeutungen grade mir gemacht habe, erstens, weil ich darin einen
Beweis seines Vertrauens sehn dürfe, und zweitens, weil ich viel¬
leicht der einzige preußische Diplomat sei, der es über sich nehmen
würde, diese ganze Eröffnung zu Hause und auch seinem Souverän
gegenüber zu verschweigen1). Ich bäte ihn dringend, sich dieser
Gedanken zu entschlagen; es läge außer aller Möglichkeit für den
König Friedrich Wilhelm IV., auf dergleichen einzugehn; eine ab¬
lehnende Antwort sei unzweifelhaft, wenn ihm die Eröffnung ge¬
macht würde. Dabei bleibe im letztern Falle die große Gefahr
einer Indiscretion im mündlichen Verkehr der Fürsten, einer An¬
deutung darüber, welchen Versuchungen der König widerstanden
habe. Wenn eine andre deutsche Regirung in die Lage versetzt
würde, über dergleichen Indiscretionen nach Paris zu berichten, so
werde das für Preußen so werthvolle gute Benehmen mit Frank¬

1) Thatsächlich finden sich in den Berichten an Manteuffel vom 11. und
24. April, sowie vom 1. Mai 1857 (Preußen im Bundestage IV 257 f., III
91 ff. 94 ff.) keinerlei Mittheilungen über diese Unterredung, ebensowenig in
dem Briefe an Gerlach vom 11. April 1857, Briefe Bismarck's etc. S. 311 ff.;
das, er dem letztern davon erzählt hat, geht aus Gerlach's Denkwürdigkeiten
II 521 hervor.

Neuntes Kapitel: Reiſen. Regentſchaft.
Napoleon gehalten hätte. Es ſei wünſchenswerth, unſer Gebiet durch
die Erwerbung Hanovers und der Elbherzogthümer zu conſoli¬
diren, um damit die Unterlage einer ſtärkern preußiſchen See¬
macht zu gewinnen. Es fehle an Seemächten zweiten Ranges, die
durch Vereinigung ihrer Streitkräfte mit der franzöſiſchen das jetzt
erdrückende Uebergewicht Englands aufhöben. Eine Gefahr für ſie
ſelbſt und für das übrige Europa könne darin nicht liegen, weil
ſie ſich ja zu einſeitig egoiſtiſch-franzöſiſchen Unternehmungen nicht
einigen würden, nur für die Freiheit der Meere von der eng¬
liſchen Uebermacht. Zunächſt wünſche er ſich der Neutralität
Preußens zu verſichern für den Fall, daß er wegen Italien mit
Oeſtreich in Krieg geriethe. Ich möge den König über dieſes Alles
ſondiren.

Ich antwortete, ich ſei doppelt erfreut, daß der Kaiſer dieſe
Andeutungen grade mir gemacht habe, erſtens, weil ich darin einen
Beweis ſeines Vertrauens ſehn dürfe, und zweitens, weil ich viel¬
leicht der einzige preußiſche Diplomat ſei, der es über ſich nehmen
würde, dieſe ganze Eröffnung zu Hauſe und auch ſeinem Souverän
gegenüber zu verſchweigen1). Ich bäte ihn dringend, ſich dieſer
Gedanken zu entſchlagen; es läge außer aller Möglichkeit für den
König Friedrich Wilhelm IV., auf dergleichen einzugehn; eine ab¬
lehnende Antwort ſei unzweifelhaft, wenn ihm die Eröffnung ge¬
macht würde. Dabei bleibe im letztern Falle die große Gefahr
einer Indiscretion im mündlichen Verkehr der Fürſten, einer An¬
deutung darüber, welchen Verſuchungen der König widerſtanden
habe. Wenn eine andre deutſche Regirung in die Lage verſetzt
würde, über dergleichen Indiscretionen nach Paris zu berichten, ſo
werde das für Preußen ſo werthvolle gute Benehmen mit Frank¬

1) Thatſächlich finden ſich in den Berichten an Manteuffel vom 11. und
24. April, ſowie vom 1. Mai 1857 (Preußen im Bundestage IV 257 f., III
91 ff. 94 ff.) keinerlei Mittheilungen über dieſe Unterredung, ebenſowenig in
dem Briefe an Gerlach vom 11. April 1857, Briefe Bismarck's ꝛc. S. 311 ff.;
das, er dem letztern davon erzählt hat, geht aus Gerlach's Denkwürdigkeiten
II 521 hervor.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0221" n="194"/><fw place="top" type="header">Neuntes Kapitel: Rei&#x017F;en. Regent&#x017F;chaft.<lb/></fw> Napoleon gehalten hätte. Es &#x017F;ei wün&#x017F;chenswerth, un&#x017F;er Gebiet durch<lb/>
die Erwerbung Hanovers und der Elbherzogthümer zu con&#x017F;oli¬<lb/>
diren, um damit die Unterlage einer &#x017F;tärkern preußi&#x017F;chen See¬<lb/>
macht zu gewinnen. Es fehle an Seemächten zweiten Ranges, die<lb/>
durch Vereinigung ihrer Streitkräfte mit der franzö&#x017F;i&#x017F;chen das jetzt<lb/>
erdrückende Uebergewicht Englands aufhöben. Eine Gefahr für &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t und für das übrige Europa könne darin nicht liegen, weil<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;ich ja zu ein&#x017F;eitig egoi&#x017F;ti&#x017F;ch-franzö&#x017F;i&#x017F;chen Unternehmungen nicht<lb/>
einigen würden, nur für die Freiheit der Meere von der eng¬<lb/>
li&#x017F;chen Uebermacht. Zunäch&#x017F;t wün&#x017F;che er &#x017F;ich der Neutralität<lb/>
Preußens zu ver&#x017F;ichern für den Fall, daß er wegen Italien mit<lb/>
Oe&#x017F;treich in Krieg geriethe. Ich möge den König über die&#x017F;es Alles<lb/>
&#x017F;ondiren.</p><lb/>
          <p>Ich antwortete, ich &#x017F;ei doppelt erfreut, daß der Kai&#x017F;er die&#x017F;e<lb/>
Andeutungen grade mir gemacht habe, er&#x017F;tens, weil ich darin einen<lb/>
Beweis &#x017F;eines Vertrauens &#x017F;ehn dürfe, und zweitens, weil ich viel¬<lb/>
leicht der einzige preußi&#x017F;che Diplomat &#x017F;ei, der es über &#x017F;ich nehmen<lb/>
würde, die&#x017F;e ganze Eröffnung zu Hau&#x017F;e und auch &#x017F;einem Souverän<lb/>
gegenüber zu ver&#x017F;chweigen<note place="foot" n="1)"><lb/>
That&#x017F;ächlich finden &#x017F;ich in den Berichten an Manteuffel vom 11. und<lb/>
24. April, &#x017F;owie vom 1. Mai 1857 (Preußen im Bundestage <hi rendition="#aq">IV</hi> 257 f., <hi rendition="#aq">III</hi><lb/>
91 ff. 94 ff.) keinerlei Mittheilungen über die&#x017F;e Unterredung, eben&#x017F;owenig in<lb/>
dem Briefe an Gerlach vom 11. April 1857, Briefe Bismarck's &#xA75B;c. S. 311 ff.;<lb/>
das, er dem letztern davon erzählt hat, geht aus Gerlach's Denkwürdigkeiten<lb/><hi rendition="#aq">II</hi> 521 hervor.</note>. Ich bäte ihn dringend, &#x017F;ich die&#x017F;er<lb/>
Gedanken zu ent&#x017F;chlagen; es läge außer aller Möglichkeit für den<lb/>
König Friedrich Wilhelm <hi rendition="#aq">IV</hi>., auf dergleichen einzugehn; eine ab¬<lb/>
lehnende Antwort &#x017F;ei unzweifelhaft, wenn ihm die Eröffnung ge¬<lb/>
macht würde. Dabei bleibe im letztern Falle die große Gefahr<lb/>
einer Indiscretion im mündlichen Verkehr der Für&#x017F;ten, einer An¬<lb/>
deutung darüber, welchen Ver&#x017F;uchungen der König wider&#x017F;tanden<lb/>
habe. Wenn eine andre deut&#x017F;che Regirung in die Lage ver&#x017F;etzt<lb/>
würde, über dergleichen Indiscretionen nach Paris zu berichten, &#x017F;o<lb/>
werde das für Preußen &#x017F;o werthvolle gute Benehmen mit Frank¬<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[194/0221] Neuntes Kapitel: Reiſen. Regentſchaft. Napoleon gehalten hätte. Es ſei wünſchenswerth, unſer Gebiet durch die Erwerbung Hanovers und der Elbherzogthümer zu conſoli¬ diren, um damit die Unterlage einer ſtärkern preußiſchen See¬ macht zu gewinnen. Es fehle an Seemächten zweiten Ranges, die durch Vereinigung ihrer Streitkräfte mit der franzöſiſchen das jetzt erdrückende Uebergewicht Englands aufhöben. Eine Gefahr für ſie ſelbſt und für das übrige Europa könne darin nicht liegen, weil ſie ſich ja zu einſeitig egoiſtiſch-franzöſiſchen Unternehmungen nicht einigen würden, nur für die Freiheit der Meere von der eng¬ liſchen Uebermacht. Zunächſt wünſche er ſich der Neutralität Preußens zu verſichern für den Fall, daß er wegen Italien mit Oeſtreich in Krieg geriethe. Ich möge den König über dieſes Alles ſondiren. Ich antwortete, ich ſei doppelt erfreut, daß der Kaiſer dieſe Andeutungen grade mir gemacht habe, erſtens, weil ich darin einen Beweis ſeines Vertrauens ſehn dürfe, und zweitens, weil ich viel¬ leicht der einzige preußiſche Diplomat ſei, der es über ſich nehmen würde, dieſe ganze Eröffnung zu Hauſe und auch ſeinem Souverän gegenüber zu verſchweigen 1). Ich bäte ihn dringend, ſich dieſer Gedanken zu entſchlagen; es läge außer aller Möglichkeit für den König Friedrich Wilhelm IV., auf dergleichen einzugehn; eine ab¬ lehnende Antwort ſei unzweifelhaft, wenn ihm die Eröffnung ge¬ macht würde. Dabei bleibe im letztern Falle die große Gefahr einer Indiscretion im mündlichen Verkehr der Fürſten, einer An¬ deutung darüber, welchen Verſuchungen der König widerſtanden habe. Wenn eine andre deutſche Regirung in die Lage verſetzt würde, über dergleichen Indiscretionen nach Paris zu berichten, ſo werde das für Preußen ſo werthvolle gute Benehmen mit Frank¬ 1) Thatſächlich finden ſich in den Berichten an Manteuffel vom 11. und 24. April, ſowie vom 1. Mai 1857 (Preußen im Bundestage IV 257 f., III 91 ff. 94 ff.) keinerlei Mittheilungen über dieſe Unterredung, ebenſowenig in dem Briefe an Gerlach vom 11. April 1857, Briefe Bismarck's ꝛc. S. 311 ff.; das, er dem letztern davon erzählt hat, geht aus Gerlach's Denkwürdigkeiten II 521 hervor.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/221
Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/221>, abgerufen am 22.11.2024.