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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.

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Briefwechsel mit Gerlach über Frankreich.
stimmig bitten, zu bleiben; und wenn er sie an den Herzog von
Bordeaux cedirte, so würde dieser sie sich ebensowenig erhalten
können, als er sie zu erwerben vermochte. Wenn Louis Napoleon
sich den elu de sept millions nennt, so erwähnt er damit einer That¬
sache, die er nicht wegleugnen kann; er vermag sich keinen andern
Ursprung zu geben, als er hat; daß er aber, nachdem er im Besitz
der Herrschaft ist, dem Prinzip der Volkssouveränetät practisch zu
huldigen fortführe und von dem Willen der Massen das Gesetz
empfinge, wie das jetzt mehr und mehr in England einreißt, kann
man von ihm nicht sagen.

Es ist menschlich natürlich, daß die Unterdrückung und schänd¬
liche Behandlung unsres Landes durch den ersten Napoleon in Allen,
die es erlebt haben, einen unauslöschlichen Eindruck hinterlassen hat,
und daß in deren Augen das böse Prinzip, welches wir in Ge¬
stalt der Revolution bekämpfen, sich allein mit der Person und
dem Geschlechte dessen identificirt, den man l'heureux soldat heri¬
tier de la revolution
nannte; aber mir scheint, daß Sie dem
jetzigen Napoleon zu viel aufbürden, wenn Sie grade in ihm und
nur in ihm die zu bekämpfende Revolution personificiren und aus
diesem Grunde die Proscription über ihn aussprechen, so daß es
wider die Ehre sei, mit ihm umzugehn. Jedes Kennzeichen der
Revolution, welches er an sich trägt, finden Sie auch an andern
Stellen wieder, ohne daß Sie Ihren Haß mit derselben Strenge
der Doctrin auch dahin richteten. Das bonapartistische Regiment im
Innern mit seiner rohen Centralisation, seiner Vernichtung der
Selbständigkeiten, seiner Nichtachtung von Recht und Freiheit, seiner
offiziellen Lüge, seiner Corruption in Staat und Börse, seinen
gefügigen und überzeugungslosen Schreibern blüht in dem von
Ihnen mit unverdienter Vorliebe betrachteten Oestreich ebenso wie
in Frankreich und wird an der Donau aus freier Machtvollkommen¬
heit mit Bewußtsein in's Leben gerufen, während Louis Napoleon
es in Frankreich als vorhandenes, ihm selbst unwillkommnes, aber
nicht leicht zu änderndes Resultat der Geschichte vorfand.

Briefwechſel mit Gerlach über Frankreich.
ſtimmig bitten, zu bleiben; und wenn er ſie an den Herzog von
Bordeaux cedirte, ſo würde dieſer ſie ſich ebenſowenig erhalten
können, als er ſie zu erwerben vermochte. Wenn Louis Napoleon
ſich den élu de ſept millions nennt, ſo erwähnt er damit einer That¬
ſache, die er nicht wegleugnen kann; er vermag ſich keinen andern
Urſprung zu geben, als er hat; daß er aber, nachdem er im Beſitz
der Herrſchaft iſt, dem Prinzip der Volksſouveränetät practiſch zu
huldigen fortführe und von dem Willen der Maſſen das Geſetz
empfinge, wie das jetzt mehr und mehr in England einreißt, kann
man von ihm nicht ſagen.

Es iſt menſchlich natürlich, daß die Unterdrückung und ſchänd¬
liche Behandlung unſres Landes durch den erſten Napoleon in Allen,
die es erlebt haben, einen unauslöſchlichen Eindruck hinterlaſſen hat,
und daß in deren Augen das böſe Prinzip, welches wir in Ge¬
ſtalt der Revolution bekämpfen, ſich allein mit der Perſon und
dem Geſchlechte deſſen identificirt, den man l'heureux soldat héri¬
tier de la révolution
nannte; aber mir ſcheint, daß Sie dem
jetzigen Napoleon zu viel aufbürden, wenn Sie grade in ihm und
nur in ihm die zu bekämpfende Revolution perſonificiren und aus
dieſem Grunde die Proſcription über ihn ausſprechen, ſo daß es
wider die Ehre ſei, mit ihm umzugehn. Jedes Kennzeichen der
Revolution, welches er an ſich trägt, finden Sie auch an andern
Stellen wieder, ohne daß Sie Ihren Haß mit derſelben Strenge
der Doctrin auch dahin richteten. Das bonapartiſtiſche Regiment im
Innern mit ſeiner rohen Centraliſation, ſeiner Vernichtung der
Selbſtändigkeiten, ſeiner Nichtachtung von Recht und Freiheit, ſeiner
offiziellen Lüge, ſeiner Corruption in Staat und Börſe, ſeinen
gefügigen und überzeugungsloſen Schreibern blüht in dem von
Ihnen mit unverdienter Vorliebe betrachteten Oeſtreich ebenſo wie
in Frankreich und wird an der Donau aus freier Machtvollkommen¬
heit mit Bewußtſein in's Leben gerufen, während Louis Napoleon
es in Frankreich als vorhandenes, ihm ſelbſt unwillkommnes, aber
nicht leicht zu änderndes Reſultat der Geſchichte vorfand.

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[181/0208] Briefwechſel mit Gerlach über Frankreich. ſtimmig bitten, zu bleiben; und wenn er ſie an den Herzog von Bordeaux cedirte, ſo würde dieſer ſie ſich ebenſowenig erhalten können, als er ſie zu erwerben vermochte. Wenn Louis Napoleon ſich den élu de ſept millions nennt, ſo erwähnt er damit einer That¬ ſache, die er nicht wegleugnen kann; er vermag ſich keinen andern Urſprung zu geben, als er hat; daß er aber, nachdem er im Beſitz der Herrſchaft iſt, dem Prinzip der Volksſouveränetät practiſch zu huldigen fortführe und von dem Willen der Maſſen das Geſetz empfinge, wie das jetzt mehr und mehr in England einreißt, kann man von ihm nicht ſagen. Es iſt menſchlich natürlich, daß die Unterdrückung und ſchänd¬ liche Behandlung unſres Landes durch den erſten Napoleon in Allen, die es erlebt haben, einen unauslöſchlichen Eindruck hinterlaſſen hat, und daß in deren Augen das böſe Prinzip, welches wir in Ge¬ ſtalt der Revolution bekämpfen, ſich allein mit der Perſon und dem Geſchlechte deſſen identificirt, den man l'heureux soldat héri¬ tier de la révolution nannte; aber mir ſcheint, daß Sie dem jetzigen Napoleon zu viel aufbürden, wenn Sie grade in ihm und nur in ihm die zu bekämpfende Revolution perſonificiren und aus dieſem Grunde die Proſcription über ihn ausſprechen, ſo daß es wider die Ehre ſei, mit ihm umzugehn. Jedes Kennzeichen der Revolution, welches er an ſich trägt, finden Sie auch an andern Stellen wieder, ohne daß Sie Ihren Haß mit derſelben Strenge der Doctrin auch dahin richteten. Das bonapartiſtiſche Regiment im Innern mit ſeiner rohen Centraliſation, ſeiner Vernichtung der Selbſtändigkeiten, ſeiner Nichtachtung von Recht und Freiheit, ſeiner offiziellen Lüge, ſeiner Corruption in Staat und Börſe, ſeinen gefügigen und überzeugungsloſen Schreibern blüht in dem von Ihnen mit unverdienter Vorliebe betrachteten Oeſtreich ebenſo wie in Frankreich und wird an der Donau aus freier Machtvollkommen¬ heit mit Bewußtſein in's Leben gerufen, während Louis Napoleon es in Frankreich als vorhandenes, ihm ſelbſt unwillkommnes, aber nicht leicht zu änderndes Reſultat der Geſchichte vorfand.

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 181. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/208>, abgerufen am 22.11.2024.