Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.Briefwechsel mit Gerlach über Frankreich. dern ihn nur frei von den Zuthaten zur Anschauung bringen, welcheseinem Wesen nicht nothwendig eigen sind. Zu solchen rechne ich ferner die ungerechten Kriege und Eroberungen. Diese sind kein eigenthümliches Attribut der Familie Bonaparte oder des nach ihr benannten Regirungssystems. Legitime Erben alter Throne können das auch. Ludwig XIV. hat nach seinen Kräften nicht weniger heidnisch in Deutschland gewirthschaftet als Napoleon, und wenn letztrer mit seinen Anlagen und Neigungen als Sohn Ludwigs XVI. geboren wäre, so hätte er uns vermuthlich auch das Leben sauer genug gemacht. Der Trieb zum Erobern ist England, Nordamerika, Rußland Weder die Erinnerung an die Eroberungssucht des Onkels, Briefwechſel mit Gerlach über Frankreich. dern ihn nur frei von den Zuthaten zur Anſchauung bringen, welcheſeinem Weſen nicht nothwendig eigen ſind. Zu ſolchen rechne ich ferner die ungerechten Kriege und Eroberungen. Dieſe ſind kein eigenthümliches Attribut der Familie Bonaparte oder des nach ihr benannten Regirungsſyſtems. Legitime Erben alter Throne können das auch. Ludwig XIV. hat nach ſeinen Kräften nicht weniger heidniſch in Deutſchland gewirthſchaftet als Napoleon, und wenn letztrer mit ſeinen Anlagen und Neigungen als Sohn Ludwigs XVI. geboren wäre, ſo hätte er uns vermuthlich auch das Leben ſauer genug gemacht. Der Trieb zum Erobern iſt England, Nordamerika, Rußland Weder die Erinnerung an die Eroberungsſucht des Onkels, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0206" n="179"/><fw place="top" type="header">Briefwechſel mit Gerlach über Frankreich.<lb/></fw>dern ihn nur frei von den Zuthaten zur Anſchauung bringen, welche<lb/> ſeinem Weſen nicht nothwendig eigen ſind. Zu ſolchen rechne ich<lb/> ferner die ungerechten Kriege und Eroberungen. Dieſe ſind kein<lb/> eigenthümliches Attribut der Familie Bonaparte oder des nach ihr<lb/> benannten Regirungsſyſtems. Legitime Erben alter Throne können<lb/> das auch. Ludwig <hi rendition="#aq">XIV</hi>. hat nach ſeinen Kräften nicht weniger<lb/> heidniſch in Deutſchland gewirthſchaftet als Napoleon, und wenn<lb/> letztrer mit ſeinen Anlagen und Neigungen als Sohn Ludwigs <hi rendition="#aq">XVI</hi>.<lb/> geboren wäre, ſo hätte er uns vermuthlich auch das Leben ſauer<lb/> genug gemacht.</p><lb/> <p>Der Trieb zum Erobern iſt England, Nordamerika, Rußland<lb/> und andern nicht minder eigen als dem Napoleoniſchen Frankreich,<lb/> und ſobald Macht und Gelegenheit dazu ſich finden, iſt es auch<lb/> bei der legitimſten Monarchie ſchwerlich die Beſcheidenheit oder die<lb/> Gerechtigkeitsliebe, welche ihm Schranken ſetzt. Bei Napoleon <hi rendition="#aq">III</hi>.<lb/> ſcheint er als Inſtinct nicht zu dominiren; derſelbe iſt kein Feld¬<lb/> herr, und im großen Kriege, mit großen Erfolgen oder Gefahren<lb/> könnte es kaum fehlen, daß die Blicke der franzöſiſchen Armee, der<lb/> Trägerin ſeiner Herrſchaft, ſich mehr auf einen glücklichen General<lb/> als auf den Kaiſer richteten. Er wird daher den Krieg nur dann<lb/> ſuchen, wenn er ſich durch <hi rendition="#g">innre</hi> Gefahren dazu genöthigt glaubt.<lb/> Eine ſolche Nöthigung würde aber für den legitimen König von<lb/> Frankreich, wenn er jetzt zur Regirung käme, von Hauſe aus vor¬<lb/> handen ſein.</p><lb/> <p>Weder die Erinnerung an die <hi rendition="#g">Eroberungsſucht</hi> des Onkels,<lb/> noch die Thatſache des <hi rendition="#g">ungerechten Urſprungs</hi> ſeiner Macht be¬<lb/> rechtigt mich alſo, den gegenwärtigen Kaiſer der Franzoſen als den<lb/> ausſchließlichen Repräſentanten der Revolution, als vorzugsweiſes<lb/> Object des Kampfes gegen dieſelbe zu betrachten. Den zweiten<lb/> Makel theilt er mit vielen beſtehenden Gewalten, und des erſtern<lb/> iſt er bisher nicht verdächtiger als Andre. Sie, verehrteſter Freund,<lb/> werfen ihm vor, daß er ſich nicht halten könne, wenn nicht ringsum<lb/> alles ſo ſei, wie bei ihm; wenn ich das für richtig erkännte, ſo<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [179/0206]
Briefwechſel mit Gerlach über Frankreich.
dern ihn nur frei von den Zuthaten zur Anſchauung bringen, welche
ſeinem Weſen nicht nothwendig eigen ſind. Zu ſolchen rechne ich
ferner die ungerechten Kriege und Eroberungen. Dieſe ſind kein
eigenthümliches Attribut der Familie Bonaparte oder des nach ihr
benannten Regirungsſyſtems. Legitime Erben alter Throne können
das auch. Ludwig XIV. hat nach ſeinen Kräften nicht weniger
heidniſch in Deutſchland gewirthſchaftet als Napoleon, und wenn
letztrer mit ſeinen Anlagen und Neigungen als Sohn Ludwigs XVI.
geboren wäre, ſo hätte er uns vermuthlich auch das Leben ſauer
genug gemacht.
Der Trieb zum Erobern iſt England, Nordamerika, Rußland
und andern nicht minder eigen als dem Napoleoniſchen Frankreich,
und ſobald Macht und Gelegenheit dazu ſich finden, iſt es auch
bei der legitimſten Monarchie ſchwerlich die Beſcheidenheit oder die
Gerechtigkeitsliebe, welche ihm Schranken ſetzt. Bei Napoleon III.
ſcheint er als Inſtinct nicht zu dominiren; derſelbe iſt kein Feld¬
herr, und im großen Kriege, mit großen Erfolgen oder Gefahren
könnte es kaum fehlen, daß die Blicke der franzöſiſchen Armee, der
Trägerin ſeiner Herrſchaft, ſich mehr auf einen glücklichen General
als auf den Kaiſer richteten. Er wird daher den Krieg nur dann
ſuchen, wenn er ſich durch innre Gefahren dazu genöthigt glaubt.
Eine ſolche Nöthigung würde aber für den legitimen König von
Frankreich, wenn er jetzt zur Regirung käme, von Hauſe aus vor¬
handen ſein.
Weder die Erinnerung an die Eroberungsſucht des Onkels,
noch die Thatſache des ungerechten Urſprungs ſeiner Macht be¬
rechtigt mich alſo, den gegenwärtigen Kaiſer der Franzoſen als den
ausſchließlichen Repräſentanten der Revolution, als vorzugsweiſes
Object des Kampfes gegen dieſelbe zu betrachten. Den zweiten
Makel theilt er mit vielen beſtehenden Gewalten, und des erſtern
iſt er bisher nicht verdächtiger als Andre. Sie, verehrteſter Freund,
werfen ihm vor, daß er ſich nicht halten könne, wenn nicht ringsum
alles ſo ſei, wie bei ihm; wenn ich das für richtig erkännte, ſo
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |