Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.

Bild:
<< vorherige Seite

Achtes Kapitel: Besuch in Paris.
würde ich mich auf eine gründliche Widerlegung nicht einlassen,
indem eine solche doch zu nichts führen könnte. Haben Sie das
Bedürfniß, mit mir principiell nicht auseinander zu gehen, so liegt
es uns doch zunächst ob, dieses Princip aufzusuchen und sich nicht
an Negationen zu halten, wie z. B. ,Ignoriren von Realitäten',
,Ausschließen von Frankreich aus den politischen Combinationen'.
Ebensowenig dürften wir das gemeinschaftliche Princip in dem
,preußischen Patriotismus', ,in der Schädlichkeit und Nützlichkeit
für Preußen', ,in dem ausschließlichen Dienst des Königs und des
Landes' finden, denn das sind Dinge, die sich von selbst verstehen
und bei denen Sie doch auf die Antwort gefaßt sein müssen, daß
ich diese Dinge in meiner Politik noch besser und mehr als in der
Ihrigen und in jeder andern zu finden glaube. Mir ist aber
das Aufsuchen des Princips gerade deshalb von der größten
Wichtigkeit, weil ich, ohne ein solches gefunden zu haben, alle
politischen Combinationen für fehlerhaft, unsicher und in hohem
Grade gefährlich halte, wovon ich mich in den letzten zehn Jahren
und gerade durch den Erfolg überzeugt habe.

Jetzt muß ich etwas weit ausholen und zwar bis zu Karl dem
Großen, also über 1000 Jahre. Damals war das Princip der
europäischen Politik die Ausbreitung der christlichen Kirche. Karl
der Große huldigte demselben in seinen Kriegen mit den Sarazenen,
Sachsen, Avaren u. s. w., und seine Politik war wahrlich nicht
unpraktisch. Seine Nachfolger stritten sich principienlos unter ein¬
ander, und wieder waren es die großen Fürsten des Mittelalters,
welche dem alten Princip treu blieben. Die preußische Macht
wurde gegründet durch die Kämpfe der brandenburgischen Mark¬
grafen und des deutschen Ordens gegen diejenigen Völker, welche
sich dem Kaiser, dem Vicarius der Kirche, nicht unterwerfen wollten,
und das dauerte, bis daß der Verfall der Kirche zu dem Territorialis¬
mus, zum Verfall des Reiches, zur Spaltung in der Kirche führte.
Seitdem war nicht mehr ein allgemeines Princip in der Christen¬
heit. Von dem ursprünglichen Princip war noch allein der Wider¬

Achtes Kapitel: Beſuch in Paris.
würde ich mich auf eine gründliche Widerlegung nicht einlaſſen,
indem eine ſolche doch zu nichts führen könnte. Haben Sie das
Bedürfniß, mit mir principiell nicht auseinander zu gehen, ſo liegt
es uns doch zunächſt ob, dieſes Princip aufzuſuchen und ſich nicht
an Negationen zu halten, wie z. B. ‚Ignoriren von Realitäten‘,
‚Ausſchließen von Frankreich aus den politiſchen Combinationen‘.
Ebenſowenig dürften wir das gemeinſchaftliche Princip in dem
,preußiſchen Patriotismus‘, ‚in der Schädlichkeit und Nützlichkeit
für Preußen‘, ‚in dem ausſchließlichen Dienſt des Königs und des
Landes‘ finden, denn das ſind Dinge, die ſich von ſelbſt verſtehen
und bei denen Sie doch auf die Antwort gefaßt ſein müſſen, daß
ich dieſe Dinge in meiner Politik noch beſſer und mehr als in der
Ihrigen und in jeder andern zu finden glaube. Mir iſt aber
das Aufſuchen des Princips gerade deshalb von der größten
Wichtigkeit, weil ich, ohne ein ſolches gefunden zu haben, alle
politiſchen Combinationen für fehlerhaft, unſicher und in hohem
Grade gefährlich halte, wovon ich mich in den letzten zehn Jahren
und gerade durch den Erfolg überzeugt habe.

Jetzt muß ich etwas weit ausholen und zwar bis zu Karl dem
Großen, alſo über 1000 Jahre. Damals war das Princip der
europäiſchen Politik die Ausbreitung der chriſtlichen Kirche. Karl
der Große huldigte demſelben in ſeinen Kriegen mit den Sarazenen,
Sachſen, Avaren u. ſ. w., und ſeine Politik war wahrlich nicht
unpraktiſch. Seine Nachfolger ſtritten ſich principienlos unter ein¬
ander, und wieder waren es die großen Fürſten des Mittelalters,
welche dem alten Princip treu blieben. Die preußiſche Macht
wurde gegründet durch die Kämpfe der brandenburgiſchen Mark¬
grafen und des deutſchen Ordens gegen diejenigen Völker, welche
ſich dem Kaiſer, dem Vicarius der Kirche, nicht unterwerfen wollten,
und das dauerte, bis daß der Verfall der Kirche zu dem Territorialis¬
mus, zum Verfall des Reiches, zur Spaltung in der Kirche führte.
Seitdem war nicht mehr ein allgemeines Princip in der Chriſten¬
heit. Von dem urſprünglichen Princip war noch allein der Wider¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0193" n="166"/><fw place="top" type="header">Achtes Kapitel: Be&#x017F;uch in Paris.<lb/></fw> würde ich mich auf eine gründliche Widerlegung nicht einla&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
indem eine &#x017F;olche doch zu nichts führen könnte. Haben Sie das<lb/>
Bedürfniß, mit mir principiell nicht auseinander zu gehen, &#x017F;o liegt<lb/>
es uns doch zunäch&#x017F;t ob, die&#x017F;es Princip aufzu&#x017F;uchen und &#x017F;ich nicht<lb/>
an Negationen zu halten, wie z. B. &#x201A;Ignoriren von Realitäten&#x2018;,<lb/>
&#x201A;Aus&#x017F;chließen von Frankreich aus den politi&#x017F;chen Combinationen&#x2018;.<lb/>
Eben&#x017F;owenig dürften wir das gemein&#x017F;chaftliche Princip in dem<lb/>
,preußi&#x017F;chen Patriotismus&#x2018;, &#x201A;in der Schädlichkeit und Nützlichkeit<lb/>
für Preußen&#x2018;, &#x201A;in dem aus&#x017F;chließlichen Dien&#x017F;t des Königs und des<lb/>
Landes&#x2018; finden, denn das &#x017F;ind Dinge, die &#x017F;ich von &#x017F;elb&#x017F;t ver&#x017F;tehen<lb/>
und bei denen Sie doch auf die Antwort gefaßt &#x017F;ein mü&#x017F;&#x017F;en, daß<lb/>
ich die&#x017F;e Dinge in meiner Politik noch be&#x017F;&#x017F;er und mehr als in der<lb/>
Ihrigen und in jeder andern zu finden glaube. Mir i&#x017F;t aber<lb/>
das Auf&#x017F;uchen des Princips gerade deshalb von der größten<lb/>
Wichtigkeit, weil ich, ohne ein &#x017F;olches gefunden zu haben, alle<lb/>
politi&#x017F;chen Combinationen für fehlerhaft, un&#x017F;icher und in hohem<lb/>
Grade gefährlich halte, wovon ich mich in den letzten zehn Jahren<lb/>
und gerade durch den Erfolg überzeugt habe.</p><lb/>
          <p>Jetzt muß ich etwas weit ausholen und zwar bis zu Karl dem<lb/>
Großen, al&#x017F;o über 1000 Jahre. Damals war das Princip der<lb/>
europäi&#x017F;chen Politik die Ausbreitung der chri&#x017F;tlichen Kirche. Karl<lb/>
der Große huldigte dem&#x017F;elben in &#x017F;einen Kriegen mit den Sarazenen,<lb/>
Sach&#x017F;en, Avaren u. &#x017F;. w., und &#x017F;eine Politik war wahrlich nicht<lb/>
unprakti&#x017F;ch. Seine Nachfolger &#x017F;tritten &#x017F;ich principienlos unter ein¬<lb/>
ander, und wieder waren es die großen Für&#x017F;ten des Mittelalters,<lb/>
welche dem alten Princip treu blieben. Die preußi&#x017F;che Macht<lb/>
wurde gegründet durch die Kämpfe der brandenburgi&#x017F;chen Mark¬<lb/>
grafen und des deut&#x017F;chen Ordens gegen diejenigen Völker, welche<lb/>
&#x017F;ich dem Kai&#x017F;er, dem Vicarius der Kirche, nicht unterwerfen wollten,<lb/>
und das dauerte, bis daß der Verfall der Kirche zu dem Territorialis¬<lb/>
mus, zum Verfall des Reiches, zur Spaltung in der Kirche führte.<lb/>
Seitdem war nicht mehr ein allgemeines Princip in der Chri&#x017F;ten¬<lb/>
heit. Von dem ur&#x017F;prünglichen Princip war noch allein der Wider¬<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[166/0193] Achtes Kapitel: Beſuch in Paris. würde ich mich auf eine gründliche Widerlegung nicht einlaſſen, indem eine ſolche doch zu nichts führen könnte. Haben Sie das Bedürfniß, mit mir principiell nicht auseinander zu gehen, ſo liegt es uns doch zunächſt ob, dieſes Princip aufzuſuchen und ſich nicht an Negationen zu halten, wie z. B. ‚Ignoriren von Realitäten‘, ‚Ausſchließen von Frankreich aus den politiſchen Combinationen‘. Ebenſowenig dürften wir das gemeinſchaftliche Princip in dem ,preußiſchen Patriotismus‘, ‚in der Schädlichkeit und Nützlichkeit für Preußen‘, ‚in dem ausſchließlichen Dienſt des Königs und des Landes‘ finden, denn das ſind Dinge, die ſich von ſelbſt verſtehen und bei denen Sie doch auf die Antwort gefaßt ſein müſſen, daß ich dieſe Dinge in meiner Politik noch beſſer und mehr als in der Ihrigen und in jeder andern zu finden glaube. Mir iſt aber das Aufſuchen des Princips gerade deshalb von der größten Wichtigkeit, weil ich, ohne ein ſolches gefunden zu haben, alle politiſchen Combinationen für fehlerhaft, unſicher und in hohem Grade gefährlich halte, wovon ich mich in den letzten zehn Jahren und gerade durch den Erfolg überzeugt habe. Jetzt muß ich etwas weit ausholen und zwar bis zu Karl dem Großen, alſo über 1000 Jahre. Damals war das Princip der europäiſchen Politik die Ausbreitung der chriſtlichen Kirche. Karl der Große huldigte demſelben in ſeinen Kriegen mit den Sarazenen, Sachſen, Avaren u. ſ. w., und ſeine Politik war wahrlich nicht unpraktiſch. Seine Nachfolger ſtritten ſich principienlos unter ein¬ ander, und wieder waren es die großen Fürſten des Mittelalters, welche dem alten Princip treu blieben. Die preußiſche Macht wurde gegründet durch die Kämpfe der brandenburgiſchen Mark¬ grafen und des deutſchen Ordens gegen diejenigen Völker, welche ſich dem Kaiſer, dem Vicarius der Kirche, nicht unterwerfen wollten, und das dauerte, bis daß der Verfall der Kirche zu dem Territorialis¬ mus, zum Verfall des Reiches, zur Spaltung in der Kirche führte. Seitdem war nicht mehr ein allgemeines Princip in der Chriſten¬ heit. Von dem urſprünglichen Princip war noch allein der Wider¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/193
Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 166. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/193>, abgerufen am 23.11.2024.