zu entschlagen; man bleibt gesünder dabei und verbraucht weniger Tinte.
Sie werden wahrscheinlich sagen, daß ich aus depit, weil Sie nicht meiner Meinung sind, schwarz sehe und raisonnire wie ein Rohrspatz; aber ich würde wahrlich ebensogern meine Be¬ mühungen an die Durchführung fremder Ideen wie eigner setzen, wenn ich nur überhaupt welche fände. So weiter zu vegetiren, dazu bedürfen wir eigentlich des ganzen Apparates unsrer Diplo¬ matie nicht. Die Tauben, die uns gebraten anfliegen, entgehn uns ohnehin nicht; oder doch, denn wir werden den Mund schwerlich dazu aufmachen, falls wir nicht grade gähnen. Mein Streben geht ja nur dahin, daß wir solche Dinge zulassen und nicht von uns weisen, welche geeignet sind, bei den Cabinetten in Friedens¬ zeit den Eindruck zu machen, daß wir uns mit Frankreich nicht schlecht stehn, daß man auf unsre Beistandsbedürftigkeit gegen Frankreich nicht zählen und uns deßhalb drücken darf, und daß uns, wenn man unwürdig mit uns umgehn will, alle Bündnisse offen stehn. Wenn ich nun melde, daß diese Vortheile gegen Höf¬ lichkeit und gegen den Schein der Reciprocität zu haben sind, so erwarte ich, daß man mir entweder nachweist, es seien keine Vor¬ theile, es entspreche vielmehr unsern Interessen besser, wenn fremde und deutsche Höfe berechtigt sind, von der Annahme auszugehn, daß wir gegen Westen unter allen Umständen feindlich gerüstet sein müssen und Bündnisse, eventuell Hülfe, dagegen bedürfen, und wenn sie diese Annahme als Basis ihrer gegen uns gerichteten politischen Operationen ausbeuten. Oder ich erwarte, daß man andre Pläne und Absichten hat, in deren Combination der Anschein eines guten Vernehmens mit Frankreich nicht paßt. Ich weiß nicht, ob die Regirung einen Plan hat (den ich nicht kenne), ich glaube es nicht; wenn man aber diplomatische Annäherungen einer großen Macht nur deßhalb von sich abhält und die politischen Beziehungen zweier großen Mächte nur danach regelt, ob man Antipathien oder Sym¬ pathien für Zustände und Personen hat, die man doch nicht ändern
Achtes Kapitel: Beſuch in Paris.
zu entſchlagen; man bleibt geſünder dabei und verbraucht weniger Tinte.
Sie werden wahrſcheinlich ſagen, daß ich aus dépit, weil Sie nicht meiner Meinung ſind, ſchwarz ſehe und raiſonnire wie ein Rohrſpatz; aber ich würde wahrlich ebenſogern meine Be¬ mühungen an die Durchführung fremder Ideen wie eigner ſetzen, wenn ich nur überhaupt welche fände. So weiter zu vegetiren, dazu bedürfen wir eigentlich des ganzen Apparates unſrer Diplo¬ matie nicht. Die Tauben, die uns gebraten anfliegen, entgehn uns ohnehin nicht; oder doch, denn wir werden den Mund ſchwerlich dazu aufmachen, falls wir nicht grade gähnen. Mein Streben geht ja nur dahin, daß wir ſolche Dinge zulaſſen und nicht von uns weiſen, welche geeignet ſind, bei den Cabinetten in Friedens¬ zeit den Eindruck zu machen, daß wir uns mit Frankreich nicht ſchlecht ſtehn, daß man auf unſre Beiſtandsbedürftigkeit gegen Frankreich nicht zählen und uns deßhalb drücken darf, und daß uns, wenn man unwürdig mit uns umgehn will, alle Bündniſſe offen ſtehn. Wenn ich nun melde, daß dieſe Vortheile gegen Höf¬ lichkeit und gegen den Schein der Reciprocität zu haben ſind, ſo erwarte ich, daß man mir entweder nachweiſt, es ſeien keine Vor¬ theile, es entſpreche vielmehr unſern Intereſſen beſſer, wenn fremde und deutſche Höfe berechtigt ſind, von der Annahme auszugehn, daß wir gegen Weſten unter allen Umſtänden feindlich gerüſtet ſein müſſen und Bündniſſe, eventuell Hülfe, dagegen bedürfen, und wenn ſie dieſe Annahme als Baſis ihrer gegen uns gerichteten politiſchen Operationen ausbeuten. Oder ich erwarte, daß man andre Pläne und Abſichten hat, in deren Combination der Anſchein eines guten Vernehmens mit Frankreich nicht paßt. Ich weiß nicht, ob die Regirung einen Plan hat (den ich nicht kenne), ich glaube es nicht; wenn man aber diplomatiſche Annäherungen einer großen Macht nur deßhalb von ſich abhält und die politiſchen Beziehungen zweier großen Mächte nur danach regelt, ob man Antipathien oder Sym¬ pathien für Zuſtände und Perſonen hat, die man doch nicht ändern
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Achtes Kapitel: Beſuch in Paris.
zu entſchlagen; man bleibt geſünder dabei und verbraucht weniger
Tinte.
Sie werden wahrſcheinlich ſagen, daß ich aus dépit, weil
Sie nicht meiner Meinung ſind, ſchwarz ſehe und raiſonnire wie
ein Rohrſpatz; aber ich würde wahrlich ebenſogern meine Be¬
mühungen an die Durchführung fremder Ideen wie eigner ſetzen,
wenn ich nur überhaupt welche fände. So weiter zu vegetiren,
dazu bedürfen wir eigentlich des ganzen Apparates unſrer Diplo¬
matie nicht. Die Tauben, die uns gebraten anfliegen, entgehn uns
ohnehin nicht; oder doch, denn wir werden den Mund ſchwerlich
dazu aufmachen, falls wir nicht grade gähnen. Mein Streben
geht ja nur dahin, daß wir ſolche Dinge zulaſſen und nicht von
uns weiſen, welche geeignet ſind, bei den Cabinetten in Friedens¬
zeit den Eindruck zu machen, daß wir uns mit Frankreich nicht
ſchlecht ſtehn, daß man auf unſre Beiſtandsbedürftigkeit gegen
Frankreich nicht zählen und uns deßhalb drücken darf, und daß
uns, wenn man unwürdig mit uns umgehn will, alle Bündniſſe
offen ſtehn. Wenn ich nun melde, daß dieſe Vortheile gegen Höf¬
lichkeit und gegen den Schein der Reciprocität zu haben ſind, ſo
erwarte ich, daß man mir entweder nachweiſt, es ſeien keine Vor¬
theile, es entſpreche vielmehr unſern Intereſſen beſſer, wenn fremde
und deutſche Höfe berechtigt ſind, von der Annahme auszugehn,
daß wir gegen Weſten unter allen Umſtänden feindlich gerüſtet ſein
müſſen und Bündniſſe, eventuell Hülfe, dagegen bedürfen, und wenn
ſie dieſe Annahme als Baſis ihrer gegen uns gerichteten politiſchen
Operationen ausbeuten. Oder ich erwarte, daß man andre Pläne
und Abſichten hat, in deren Combination der Anſchein eines guten
Vernehmens mit Frankreich nicht paßt. Ich weiß nicht, ob die
Regirung einen Plan hat (den ich nicht kenne), ich glaube es nicht;
wenn man aber diplomatiſche Annäherungen einer großen Macht
nur deßhalb von ſich abhält und die politiſchen Beziehungen zweier
großen Mächte nur danach regelt, ob man Antipathien oder Sym¬
pathien für Zuſtände und Perſonen hat, die man doch nicht ändern
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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/191>, abgerufen am 23.11.2024.
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