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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.

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Begegnung mit Prinz Albert und Königin Victoria. Prinzessin Victoria.
verdorben, in den royalistischen Traditionen der Familie aufgewachsen
und bedürfe zu meinem irdischen Behagen einer monarchischen Ein¬
richtung, dankte aber Gott, daß ich nicht dazu berufen sei, wie ein
König auf dem Präsentirteller zu leben, sondern bis an mein Ende
ein getreuer Unterthan des Königs zu sein. Daß diese meine
Ueberzeugung aber allgemein erblich sein würde, ließe sich nicht
verbürgen, nicht weil die Royalisten ausgehn würden, sondern
vielleicht die Könige. Pour faire un civet, il faut un lievre, et
pour une monarchie, il faut un roi.
Ich könnte nicht dafür gut
sagen, daß in Ermanglung eines solchen die nächste Generation
nicht republikanisch werden könne. Indem ich mich so äußerte, war
ich nicht frei von Sorge in dem Gedanken an einen Thronwechsel
ohne Uebergang der monarchischen Traditionen auf den Nachfolger.
Die Prinzessin vermied indessen jede ernsthafte Wendung und blieb
in dem scherzenden Tone, liebenswürdig und unterhaltend wie
immer; sie machte mir mehr den Eindruck, daß sie einen poli¬
tischen Gegner necken wollte.

In den ersten Jahren meines Ministeriums habe ich noch öfter
bei ähnlichen Tischgesprächen beobachtet, daß es der Prinzessin Ver¬
gnügen machte, meine patriotische Empfindlichkeit durch scherzhafte
Kritik von Personen und Zuständen zu reizen.

Die Königin Victoria sprach auf jenem Balle in Versailles
mit mir deutsch. Ich hatte von ihr den Eindruck, daß sie in mir
eine merkwürdige, aber unsympathische Persönlichkeit sah, doch war
ihre Tonart ohne den Anflug von ironischer Ueberlegenheit, den ich
bei dem Prinzen Albert durchzufühlen glaubte. Sie blieb freund¬
lich und höflich wie Jemand, der einen wunderlichen Kauz nicht
unfreundlich behandeln will.

Bei dem Souper war mir im Vergleich mit Berlin die Ein¬
richtung merkwürdig, daß die Gesellschaft in drei Klassen mit Ab¬
stufungen in dem Menu speiste und denjenigen Gästen, die über¬
haupt speisen sollten, die Zusicherung durch Ueberreichung einer
Karte mit der Nummer beim Eintreten gegeben wurde. Die Karten

Begegnung mit Prinz Albert und Königin Victoria. Prinzeſſin Victoria.
verdorben, in den royaliſtiſchen Traditionen der Familie aufgewachſen
und bedürfe zu meinem irdiſchen Behagen einer monarchiſchen Ein¬
richtung, dankte aber Gott, daß ich nicht dazu berufen ſei, wie ein
König auf dem Präſentirteller zu leben, ſondern bis an mein Ende
ein getreuer Unterthan des Königs zu ſein. Daß dieſe meine
Ueberzeugung aber allgemein erblich ſein würde, ließe ſich nicht
verbürgen, nicht weil die Royaliſten ausgehn würden, ſondern
vielleicht die Könige. Pour faire un civet, il faut un lièvre, et
pour une monarchie, il faut un roi.
Ich könnte nicht dafür gut
ſagen, daß in Ermanglung eines ſolchen die nächſte Generation
nicht republikaniſch werden könne. Indem ich mich ſo äußerte, war
ich nicht frei von Sorge in dem Gedanken an einen Thronwechſel
ohne Uebergang der monarchiſchen Traditionen auf den Nachfolger.
Die Prinzeſſin vermied indeſſen jede ernſthafte Wendung und blieb
in dem ſcherzenden Tone, liebenswürdig und unterhaltend wie
immer; ſie machte mir mehr den Eindruck, daß ſie einen poli¬
tiſchen Gegner necken wollte.

In den erſten Jahren meines Miniſteriums habe ich noch öfter
bei ähnlichen Tiſchgeſprächen beobachtet, daß es der Prinzeſſin Ver¬
gnügen machte, meine patriotiſche Empfindlichkeit durch ſcherzhafte
Kritik von Perſonen und Zuſtänden zu reizen.

Die Königin Victoria ſprach auf jenem Balle in Verſailles
mit mir deutſch. Ich hatte von ihr den Eindruck, daß ſie in mir
eine merkwürdige, aber unſympathiſche Perſönlichkeit ſah, doch war
ihre Tonart ohne den Anflug von ironiſcher Ueberlegenheit, den ich
bei dem Prinzen Albert durchzufühlen glaubte. Sie blieb freund¬
lich und höflich wie Jemand, der einen wunderlichen Kauz nicht
unfreundlich behandeln will.

Bei dem Souper war mir im Vergleich mit Berlin die Ein¬
richtung merkwürdig, daß die Geſellſchaft in drei Klaſſen mit Ab¬
ſtufungen in dem Menu ſpeiſte und denjenigen Gäſten, die über¬
haupt ſpeiſen ſollten, die Zuſicherung durch Ueberreichung einer
Karte mit der Nummer beim Eintreten gegeben wurde. Die Karten

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[151/0178] Begegnung mit Prinz Albert und Königin Victoria. Prinzeſſin Victoria. verdorben, in den royaliſtiſchen Traditionen der Familie aufgewachſen und bedürfe zu meinem irdiſchen Behagen einer monarchiſchen Ein¬ richtung, dankte aber Gott, daß ich nicht dazu berufen ſei, wie ein König auf dem Präſentirteller zu leben, ſondern bis an mein Ende ein getreuer Unterthan des Königs zu ſein. Daß dieſe meine Ueberzeugung aber allgemein erblich ſein würde, ließe ſich nicht verbürgen, nicht weil die Royaliſten ausgehn würden, ſondern vielleicht die Könige. Pour faire un civet, il faut un lièvre, et pour une monarchie, il faut un roi. Ich könnte nicht dafür gut ſagen, daß in Ermanglung eines ſolchen die nächſte Generation nicht republikaniſch werden könne. Indem ich mich ſo äußerte, war ich nicht frei von Sorge in dem Gedanken an einen Thronwechſel ohne Uebergang der monarchiſchen Traditionen auf den Nachfolger. Die Prinzeſſin vermied indeſſen jede ernſthafte Wendung und blieb in dem ſcherzenden Tone, liebenswürdig und unterhaltend wie immer; ſie machte mir mehr den Eindruck, daß ſie einen poli¬ tiſchen Gegner necken wollte. In den erſten Jahren meines Miniſteriums habe ich noch öfter bei ähnlichen Tiſchgeſprächen beobachtet, daß es der Prinzeſſin Ver¬ gnügen machte, meine patriotiſche Empfindlichkeit durch ſcherzhafte Kritik von Perſonen und Zuſtänden zu reizen. Die Königin Victoria ſprach auf jenem Balle in Verſailles mit mir deutſch. Ich hatte von ihr den Eindruck, daß ſie in mir eine merkwürdige, aber unſympathiſche Perſönlichkeit ſah, doch war ihre Tonart ohne den Anflug von ironiſcher Ueberlegenheit, den ich bei dem Prinzen Albert durchzufühlen glaubte. Sie blieb freund¬ lich und höflich wie Jemand, der einen wunderlichen Kauz nicht unfreundlich behandeln will. Bei dem Souper war mir im Vergleich mit Berlin die Ein¬ richtung merkwürdig, daß die Geſellſchaft in drei Klaſſen mit Ab¬ ſtufungen in dem Menu ſpeiſte und denjenigen Gäſten, die über¬ haupt ſpeiſen ſollten, die Zuſicherung durch Ueberreichung einer Karte mit der Nummer beim Eintreten gegeben wurde. Die Karten

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 151. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/178>, abgerufen am 25.11.2024.