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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.

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Siebentes Kapitel: Unterwegs zwischen Frankfurt und Berlin.
zu lassen. Ich setzte auseinander, daß damit mein Einfluß auf
die Fraction über- und die Unabhängigkeit derselben unterschätzt
werde. Ich hätte in dieser Frage persönlich keine Ueberzeugung,
die der des Königs entgegenstände, und sei bereit, die letztre bei
meinen Fractionsgenossen zu vertreten, wenn er mir Zeit dazu lassen
wolle und geneigt sei, seine Wünsche in neuer Gestalt nochmals
geltend zu machen. Der König, sichtlich versöhnt, ging darauf ein
und entließ mich mit dem Auftrage, Propaganda für seinen Plan
zu machen. Letztres geschah mit mehr Erfolg, als ich selbst er¬
wartet hatte; der Widerspruch gegen die Umgestaltung der Körper¬
schaft hatte nur die Führer der Fraction zu Trägern, und seine
Nachhaltigkeit beruhte nicht auf der Ueberzeugung der Gesammtheit,
sondern auf der Autorität, welche in jeder Fraction die anerkannten
Leiter zu haben pflegen -- und nicht mit Unrecht, da sie in der
Regel die besten Redner und gewöhnlich die einzigen arbeitsamen
Geschäftsleute sind und den Uebrigen die Mühe abnehmen, die
vorkommenden Fragen zu studiren. Ein Opponent in der Fraction,
der nicht das gleiche Ansehn hat, wird von dem Fractionsführer,
welcher gewöhnlich der schlagfertigere Redner ist, sehr leicht in einer
Weise abgeführt, welche ihm für die Zukunft die Lust zur Auf¬
lehnung benimmt, wenn er nicht mit einem Mangel an Schüchtern¬
heit begabt ist, der bei uns grade in den Klassen, denen die Con¬
servativen meistens angehören, nicht häufig ist.

Ich fand unsre damals zahlreiche, ich glaube über 100 Köpfe
starke Fraction unter dem Banne der von den Führern festgelegten
politischen Sätze. Ich selbst hatte mich, seit ich mich in Frankfurt
auf der Defensive gegen Oestreich, also auf einem von der Fractions¬
leitung nicht gebilligten Wege befand, von derselben einigermaßen
emancipirt, und obschon in dieser Frage unser Verhältniß zu Oest¬
reich nicht im Spiele war, so hatte die Meinungsverschiedenheit
über dieses Verhältniß meinen Glauben an die Fractionsleitung
überhaupt erschüttert. Indessen überraschte mich doch die sofortige
Wirkung, welche mein Plaidoyer nicht sowohl für die vorliegende

Siebentes Kapitel: Unterwegs zwiſchen Frankfurt und Berlin.
zu laſſen. Ich ſetzte auseinander, daß damit mein Einfluß auf
die Fraction über- und die Unabhängigkeit derſelben unterſchätzt
werde. Ich hätte in dieſer Frage perſönlich keine Ueberzeugung,
die der des Königs entgegenſtände, und ſei bereit, die letztre bei
meinen Fractionsgenoſſen zu vertreten, wenn er mir Zeit dazu laſſen
wolle und geneigt ſei, ſeine Wünſche in neuer Geſtalt nochmals
geltend zu machen. Der König, ſichtlich verſöhnt, ging darauf ein
und entließ mich mit dem Auftrage, Propaganda für ſeinen Plan
zu machen. Letztres geſchah mit mehr Erfolg, als ich ſelbſt er¬
wartet hatte; der Widerſpruch gegen die Umgeſtaltung der Körper¬
ſchaft hatte nur die Führer der Fraction zu Trägern, und ſeine
Nachhaltigkeit beruhte nicht auf der Ueberzeugung der Geſammtheit,
ſondern auf der Autorität, welche in jeder Fraction die anerkannten
Leiter zu haben pflegen — und nicht mit Unrecht, da ſie in der
Regel die beſten Redner und gewöhnlich die einzigen arbeitſamen
Geſchäftsleute ſind und den Uebrigen die Mühe abnehmen, die
vorkommenden Fragen zu ſtudiren. Ein Opponent in der Fraction,
der nicht das gleiche Anſehn hat, wird von dem Fractionsführer,
welcher gewöhnlich der ſchlagfertigere Redner iſt, ſehr leicht in einer
Weiſe abgeführt, welche ihm für die Zukunft die Luſt zur Auf¬
lehnung benimmt, wenn er nicht mit einem Mangel an Schüchtern¬
heit begabt iſt, der bei uns grade in den Klaſſen, denen die Con¬
ſervativen meiſtens angehören, nicht häufig iſt.

Ich fand unſre damals zahlreiche, ich glaube über 100 Köpfe
ſtarke Fraction unter dem Banne der von den Führern feſtgelegten
politiſchen Sätze. Ich ſelbſt hatte mich, ſeit ich mich in Frankfurt
auf der Defenſive gegen Oeſtreich, alſo auf einem von der Fractions¬
leitung nicht gebilligten Wege befand, von derſelben einigermaßen
emancipirt, und obſchon in dieſer Frage unſer Verhältniß zu Oeſt¬
reich nicht im Spiele war, ſo hatte die Meinungsverſchiedenheit
über dieſes Verhältniß meinen Glauben an die Fractionsleitung
überhaupt erſchüttert. Indeſſen überraſchte mich doch die ſofortige
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[142/0169] Siebentes Kapitel: Unterwegs zwiſchen Frankfurt und Berlin. zu laſſen. Ich ſetzte auseinander, daß damit mein Einfluß auf die Fraction über- und die Unabhängigkeit derſelben unterſchätzt werde. Ich hätte in dieſer Frage perſönlich keine Ueberzeugung, die der des Königs entgegenſtände, und ſei bereit, die letztre bei meinen Fractionsgenoſſen zu vertreten, wenn er mir Zeit dazu laſſen wolle und geneigt ſei, ſeine Wünſche in neuer Geſtalt nochmals geltend zu machen. Der König, ſichtlich verſöhnt, ging darauf ein und entließ mich mit dem Auftrage, Propaganda für ſeinen Plan zu machen. Letztres geſchah mit mehr Erfolg, als ich ſelbſt er¬ wartet hatte; der Widerſpruch gegen die Umgeſtaltung der Körper¬ ſchaft hatte nur die Führer der Fraction zu Trägern, und ſeine Nachhaltigkeit beruhte nicht auf der Ueberzeugung der Geſammtheit, ſondern auf der Autorität, welche in jeder Fraction die anerkannten Leiter zu haben pflegen — und nicht mit Unrecht, da ſie in der Regel die beſten Redner und gewöhnlich die einzigen arbeitſamen Geſchäftsleute ſind und den Uebrigen die Mühe abnehmen, die vorkommenden Fragen zu ſtudiren. Ein Opponent in der Fraction, der nicht das gleiche Anſehn hat, wird von dem Fractionsführer, welcher gewöhnlich der ſchlagfertigere Redner iſt, ſehr leicht in einer Weiſe abgeführt, welche ihm für die Zukunft die Luſt zur Auf¬ lehnung benimmt, wenn er nicht mit einem Mangel an Schüchtern¬ heit begabt iſt, der bei uns grade in den Klaſſen, denen die Con¬ ſervativen meiſtens angehören, nicht häufig iſt. Ich fand unſre damals zahlreiche, ich glaube über 100 Köpfe ſtarke Fraction unter dem Banne der von den Führern feſtgelegten politiſchen Sätze. Ich ſelbſt hatte mich, ſeit ich mich in Frankfurt auf der Defenſive gegen Oeſtreich, alſo auf einem von der Fractions¬ leitung nicht gebilligten Wege befand, von derſelben einigermaßen emancipirt, und obſchon in dieſer Frage unſer Verhältniß zu Oeſt¬ reich nicht im Spiele war, ſo hatte die Meinungsverſchiedenheit über dieſes Verhältniß meinen Glauben an die Fractionsleitung überhaupt erſchüttert. Indeſſen überraſchte mich doch die ſofortige Wirkung, welche mein Plaidoyer nicht ſowohl für die vorliegende

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 142. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/169>, abgerufen am 25.11.2024.