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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.

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Fünftes Kapitel: Wochenblattspartei. Krimkrieg.
der Vorsehung gegebene Aufgabe sei es, den Frieden dictatorisch
herbeizuführen und unsern Freund auch gegen seinen Willen zu
retten.

In dieser Form etwa hatten Goltz, Albert Pourtales und
Usedom in ihrer auf den Sturz Manteuffel's berechneten Politik die
Preußen gegen Rußland zugedachte Rolle dem Prinzen annehmbar
gemacht, wobei die Abneigung der Prinzessin, seiner Gemalin, gegen
Rußland ihnen behülflich gewesen sein wird.

Um ihn aus diesem Gedankenkreise loszumachen, stellte ich ihm
vor, daß wir absolut keinen eignen Kriegsgrund gegen Rußland
hätten und kein Interesse an der orientalischen Frage, das einen
Krieg mit Rußland oder auch nur das Opfer unsrer langjährigen
guten Beziehungen zu Rußland rechtfertigen könnte; im Gegentheil,
jeder siegreiche Krieg gegen Rußland unter unsrer nachbarlichen
Betheiligung belade uns nicht nur mit dem dauernden Revanche¬
gefühl Rußlands, das wir ohne eignen Kriegsgrund angefallen,
sondern zugleich mit einer sehr bedenklichen Aufgabe, nämlich die
polnische Frage in einer für Preußen erträglichen Form zu lösen.
Wenn eigne Interessen keinenfalls für, eher gegen einen Bruch
mit Rußland sprächen, so würden wir den bisherigen Freund und
immerwährenden Nachbar, ohne daß wir provocirt wären, ent¬
weder aus Furcht vor Frankreich oder im Liebesdienste Englands
und Oestreichs angreifen. Wir würden die Rolle eines indischen
Vasallenfürsten übernehmen, der im englischen Patronat englische
Kriege zu führen hat, oder die des York'schen Corps beim Aus¬
marsch zum Kriege 1812, wo die damals berechtigte Furcht vor
Frankreich uns zu dessen gehorsamen Bundesgenossen zwangsweis
gemacht hatte.

Den Prinzen verletzte mein Ausdruck, mit zorniger Röthe unter¬
brach er mich mit den Worten: "Von Vasallen und Furcht ist
hier garkeine Rede." Er brach aber die Unterredung nicht ab.
Wer einmal sein Vertrauen hatte und in seiner Gnade stand,
konnte ihm gegenüber sehr frei von der Leber sprechen, sogar heftig

Fünftes Kapitel: Wochenblattspartei. Krimkrieg.
der Vorſehung gegebene Aufgabe ſei es, den Frieden dictatoriſch
herbeizuführen und unſern Freund auch gegen ſeinen Willen zu
retten.

In dieſer Form etwa hatten Goltz, Albert Pourtalès und
Uſedom in ihrer auf den Sturz Manteuffel's berechneten Politik die
Preußen gegen Rußland zugedachte Rolle dem Prinzen annehmbar
gemacht, wobei die Abneigung der Prinzeſſin, ſeiner Gemalin, gegen
Rußland ihnen behülflich geweſen ſein wird.

Um ihn aus dieſem Gedankenkreiſe loszumachen, ſtellte ich ihm
vor, daß wir abſolut keinen eignen Kriegsgrund gegen Rußland
hätten und kein Intereſſe an der orientaliſchen Frage, das einen
Krieg mit Rußland oder auch nur das Opfer unſrer langjährigen
guten Beziehungen zu Rußland rechtfertigen könnte; im Gegentheil,
jeder ſiegreiche Krieg gegen Rußland unter unſrer nachbarlichen
Betheiligung belade uns nicht nur mit dem dauernden Revanche¬
gefühl Rußlands, das wir ohne eignen Kriegsgrund angefallen,
ſondern zugleich mit einer ſehr bedenklichen Aufgabe, nämlich die
polniſche Frage in einer für Preußen erträglichen Form zu löſen.
Wenn eigne Intereſſen keinenfalls für, eher gegen einen Bruch
mit Rußland ſprächen, ſo würden wir den bisherigen Freund und
immerwährenden Nachbar, ohne daß wir provocirt wären, ent¬
weder aus Furcht vor Frankreich oder im Liebesdienſte Englands
und Oeſtreichs angreifen. Wir würden die Rolle eines indiſchen
Vaſallenfürſten übernehmen, der im engliſchen Patronat engliſche
Kriege zu führen hat, oder die des York'ſchen Corps beim Aus¬
marſch zum Kriege 1812, wo die damals berechtigte Furcht vor
Frankreich uns zu deſſen gehorſamen Bundesgenoſſen zwangsweis
gemacht hatte.

Den Prinzen verletzte mein Ausdruck, mit zorniger Röthe unter¬
brach er mich mit den Worten: „Von Vaſallen und Furcht iſt
hier garkeine Rede.“ Er brach aber die Unterredung nicht ab.
Wer einmal ſein Vertrauen hatte und in ſeiner Gnade ſtand,
konnte ihm gegenüber ſehr frei von der Leber ſprechen, ſogar heftig

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[114/0141] Fünftes Kapitel: Wochenblattspartei. Krimkrieg. der Vorſehung gegebene Aufgabe ſei es, den Frieden dictatoriſch herbeizuführen und unſern Freund auch gegen ſeinen Willen zu retten. In dieſer Form etwa hatten Goltz, Albert Pourtalès und Uſedom in ihrer auf den Sturz Manteuffel's berechneten Politik die Preußen gegen Rußland zugedachte Rolle dem Prinzen annehmbar gemacht, wobei die Abneigung der Prinzeſſin, ſeiner Gemalin, gegen Rußland ihnen behülflich geweſen ſein wird. Um ihn aus dieſem Gedankenkreiſe loszumachen, ſtellte ich ihm vor, daß wir abſolut keinen eignen Kriegsgrund gegen Rußland hätten und kein Intereſſe an der orientaliſchen Frage, das einen Krieg mit Rußland oder auch nur das Opfer unſrer langjährigen guten Beziehungen zu Rußland rechtfertigen könnte; im Gegentheil, jeder ſiegreiche Krieg gegen Rußland unter unſrer nachbarlichen Betheiligung belade uns nicht nur mit dem dauernden Revanche¬ gefühl Rußlands, das wir ohne eignen Kriegsgrund angefallen, ſondern zugleich mit einer ſehr bedenklichen Aufgabe, nämlich die polniſche Frage in einer für Preußen erträglichen Form zu löſen. Wenn eigne Intereſſen keinenfalls für, eher gegen einen Bruch mit Rußland ſprächen, ſo würden wir den bisherigen Freund und immerwährenden Nachbar, ohne daß wir provocirt wären, ent¬ weder aus Furcht vor Frankreich oder im Liebesdienſte Englands und Oeſtreichs angreifen. Wir würden die Rolle eines indiſchen Vaſallenfürſten übernehmen, der im engliſchen Patronat engliſche Kriege zu führen hat, oder die des York'ſchen Corps beim Aus¬ marſch zum Kriege 1812, wo die damals berechtigte Furcht vor Frankreich uns zu deſſen gehorſamen Bundesgenoſſen zwangsweis gemacht hatte. Den Prinzen verletzte mein Ausdruck, mit zorniger Röthe unter¬ brach er mich mit den Worten: „Von Vaſallen und Furcht iſt hier garkeine Rede.“ Er brach aber die Unterredung nicht ab. Wer einmal ſein Vertrauen hatte und in ſeiner Gnade ſtand, konnte ihm gegenüber ſehr frei von der Leber ſprechen, ſogar heftig

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/141>, abgerufen am 27.11.2024.