Petersburg behufs Unterweisung des Thronfolgers ausgearbeitet war, die in dem apokryphen, ungefähr um das Jahr 1810 in Paris entstandenen, Testamente Peters des Großen niedergelegten Grundzüge der russischen Politik auf die Gegenwart anwendet und Rußland mit einer gegen alle Staaten gerichteten Minirarbeit zum Zwecke der Weltherrschaft beschäftigt erscheinen läßt. Es ist mir später mitgetheilt worden, daß dieses in die ausländische, nament¬ lich die englische Presse übergegangene Elaborat von Constantin Frantz geliefert war.
Während Goltz und seine Berliner Genossen ihre Sache mit einem gewissen Geschick betrieben, von welchem der erwähnte Artikel eine Probe ist, war Bunsen, Gesandter in London, so unvorsichtig, im April 1854 dem Minister Manteuffel eine lange Denkschrift einzusenden, welche die Herstellung Polens, die Ausdehnung Oest¬ reichs bis in die Krim, die Versetzung der Ernestinischen Linie auf den sächsischen Königsthron und dergleichen mehr forderte und die Mitwirkung Preußens für dieses Programm empfahl. Gleichzeitig hatte er nach Berlin gemeldet, die englische Regirung würde mit der Erwerbung der Elbherzogthümer durch Preußen einverstanden sein, wenn letztres sich den Westmächten anschließen wolle, und in London hatte er zu verstehn gegeben, daß die preußische Regirung dazu unter der bezeichneten Gegenleistung bereit sei1). Zu beiden Er¬ klärungen war er nicht ermächtigt. Das war denn doch dem Könige, als er dahinter kam, zu viel, so sehr er Bunsen liebte. Er ließ ihn durch Manteuffel anweisen, einen langen Urlaub zu nehmen, der dann in den Ruhestand überging. In der von der Familie heraus¬ gegebenen Biographie Bunsen's ist jene Denkschrift, mit Weglassung der ärgsten Stellen, aber ohne Andeutung von Lücken, abgedruckt und die amtliche Correspondenz, die mit der Beurlaubung endigte, in einseitiger Färbung wiedergegeben. Ein im Jahre 1882 in die Presse gelangter Brief des Prinzen Albert an den Freiherrn von Stock¬
1) Vgl. Sybel, Die Begründung des Deutschen Reichs II 181.
Fünftes Kapitel: Wochenblattspartei. Krimkrieg.
Petersburg behufs Unterweiſung des Thronfolgers ausgearbeitet war, die in dem apokryphen, ungefähr um das Jahr 1810 in Paris entſtandenen, Teſtamente Peters des Großen niedergelegten Grundzüge der ruſſiſchen Politik auf die Gegenwart anwendet und Rußland mit einer gegen alle Staaten gerichteten Minirarbeit zum Zwecke der Weltherrſchaft beſchäftigt erſcheinen läßt. Es iſt mir ſpäter mitgetheilt worden, daß dieſes in die ausländiſche, nament¬ lich die engliſche Preſſe übergegangene Elaborat von Conſtantin Frantz geliefert war.
Während Goltz und ſeine Berliner Genoſſen ihre Sache mit einem gewiſſen Geſchick betrieben, von welchem der erwähnte Artikel eine Probe iſt, war Bunſen, Geſandter in London, ſo unvorſichtig, im April 1854 dem Miniſter Manteuffel eine lange Denkſchrift einzuſenden, welche die Herſtellung Polens, die Ausdehnung Oeſt¬ reichs bis in die Krim, die Verſetzung der Erneſtiniſchen Linie auf den ſächſiſchen Königsthron und dergleichen mehr forderte und die Mitwirkung Preußens für dieſes Programm empfahl. Gleichzeitig hatte er nach Berlin gemeldet, die engliſche Regirung würde mit der Erwerbung der Elbherzogthümer durch Preußen einverſtanden ſein, wenn letztres ſich den Weſtmächten anſchließen wolle, und in London hatte er zu verſtehn gegeben, daß die preußiſche Regirung dazu unter der bezeichneten Gegenleiſtung bereit ſei1). Zu beiden Er¬ klärungen war er nicht ermächtigt. Das war denn doch dem Könige, als er dahinter kam, zu viel, ſo ſehr er Bunſen liebte. Er ließ ihn durch Manteuffel anweiſen, einen langen Urlaub zu nehmen, der dann in den Ruheſtand überging. In der von der Familie heraus¬ gegebenen Biographie Bunſen's iſt jene Denkſchrift, mit Weglaſſung der ärgſten Stellen, aber ohne Andeutung von Lücken, abgedruckt und die amtliche Correſpondenz, die mit der Beurlaubung endigte, in einſeitiger Färbung wiedergegeben. Ein im Jahre 1882 in die Preſſe gelangter Brief des Prinzen Albert an den Freiherrn von Stock¬
1) Vgl. Sybel, Die Begründung des Deutſchen Reichs II 181.
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Fünftes Kapitel: Wochenblattspartei. Krimkrieg.
Petersburg behufs Unterweiſung des Thronfolgers ausgearbeitet
war, die in dem apokryphen, ungefähr um das Jahr 1810 in
Paris entſtandenen, Teſtamente Peters des Großen niedergelegten
Grundzüge der ruſſiſchen Politik auf die Gegenwart anwendet und
Rußland mit einer gegen alle Staaten gerichteten Minirarbeit zum
Zwecke der Weltherrſchaft beſchäftigt erſcheinen läßt. Es iſt mir
ſpäter mitgetheilt worden, daß dieſes in die ausländiſche, nament¬
lich die engliſche Preſſe übergegangene Elaborat von Conſtantin
Frantz geliefert war.
Während Goltz und ſeine Berliner Genoſſen ihre Sache mit
einem gewiſſen Geſchick betrieben, von welchem der erwähnte Artikel
eine Probe iſt, war Bunſen, Geſandter in London, ſo unvorſichtig,
im April 1854 dem Miniſter Manteuffel eine lange Denkſchrift
einzuſenden, welche die Herſtellung Polens, die Ausdehnung Oeſt¬
reichs bis in die Krim, die Verſetzung der Erneſtiniſchen Linie auf
den ſächſiſchen Königsthron und dergleichen mehr forderte und die
Mitwirkung Preußens für dieſes Programm empfahl. Gleichzeitig
hatte er nach Berlin gemeldet, die engliſche Regirung würde mit
der Erwerbung der Elbherzogthümer durch Preußen einverſtanden
ſein, wenn letztres ſich den Weſtmächten anſchließen wolle, und in
London hatte er zu verſtehn gegeben, daß die preußiſche Regirung
dazu unter der bezeichneten Gegenleiſtung bereit ſei 1). Zu beiden Er¬
klärungen war er nicht ermächtigt. Das war denn doch dem Könige,
als er dahinter kam, zu viel, ſo ſehr er Bunſen liebte. Er ließ ihn
durch Manteuffel anweiſen, einen langen Urlaub zu nehmen, der
dann in den Ruheſtand überging. In der von der Familie heraus¬
gegebenen Biographie Bunſen's iſt jene Denkſchrift, mit Weglaſſung
der ärgſten Stellen, aber ohne Andeutung von Lücken, abgedruckt
und die amtliche Correſpondenz, die mit der Beurlaubung endigte,
in einſeitiger Färbung wiedergegeben. Ein im Jahre 1882 in die
Preſſe gelangter Brief des Prinzen Albert an den Freiherrn von Stock¬
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Vgl. Sybel, Die Begründung des Deutſchen Reichs II 181.
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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/139>, abgerufen am 17.02.2025.
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