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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.

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Doppelspiel der Wochenblattspartei.
bezeichnete und später in Flugschriften den Prinzen Albert als den
gefährlichsten Gegner seiner befreienden Anstrengungen denunciren
ließ, von diesen Hülfen wurde die Gestaltung der deutschen Zu¬
stände mit Sicherheit vorhergesagt, welche später von der Armee
des Königs Wilhelm auf den Schlachtfeldern erkämpft worden ist.
Die Frage, ob Palmerston oder ein andrer englischer Minister
geneigt sein würde, Arm in Arm mit dem gothaisirenden Liberalis¬
mus und mit der Fronde am preußischen Hofe Europa zu einem
ungleichen Kampfe herauszufordern und englische Interessen auf
dem Altar der deutschen Einheitsbestrebungen zu opfern, -- die
weitere Frage, ob England dazu ohne andern continentalen Bei¬
stand als den einer in coburgische Wege geleiteten preußischen
Politik im Stande sein würde -- diese Fragen bis an's Ende
durchzudenken, fühlte niemand den Beruf, am allerwenigsten die
Fürsprecher derartiger Experimente. Die Phrase und die Bereit¬
willigkeit, im Partei-Interesse jede Dummheit hinzunehmen, deckten
alle Lücken in dem windigen Bau der damaligen westmächtlichen
Hofnebenpolitik. Mit diesen kindischen Utopien spielten sich die
zweifellos klugen Köpfe der Bethmann-Hollwegschen Partei als
Staatsmänner aus, hielten es für möglich, den Körper von sechzig
Millionen Groß-Russen in der europäischen Zukunft als ein caput
mortuum
zu behandeln, das man nach Belieben mißhandeln
könne, ohne daraus einen sichern Bundesgenossen jedes zukünftigen
Feindes von Preußen zu machen und ohne Preußen in jedem fran¬
zösischen Kriege zur Rückendeckung gegen Polen zu nöthigen, da
eine Polen befriedigende Auseinandersetzung in den Provinzen
Preußen und Posen und selbst noch in Schlesien unmöglich ist,
ohne den Bestand Preußens aufzulösen. Diese Politiker hielten
sich damals nicht nur für weise, sondern wurden in der liberalen
Presse als solche verehrt.

Von den Leistungen des Preußischen Wochenblatts ist mir unter
andern eine in der Erinnerung geblieben, ein Memoire, das an¬
geblich unter dem Kaiser Nicolaus in dem Auswärtigen Amte in

Doppelſpiel der Wochenblattspartei.
bezeichnete und ſpäter in Flugſchriften den Prinzen Albert als den
gefährlichſten Gegner ſeiner befreienden Anſtrengungen denunciren
ließ, von dieſen Hülfen wurde die Geſtaltung der deutſchen Zu¬
ſtände mit Sicherheit vorhergeſagt, welche ſpäter von der Armee
des Königs Wilhelm auf den Schlachtfeldern erkämpft worden iſt.
Die Frage, ob Palmerſton oder ein andrer engliſcher Miniſter
geneigt ſein würde, Arm in Arm mit dem gothaiſirenden Liberalis¬
mus und mit der Fronde am preußiſchen Hofe Europa zu einem
ungleichen Kampfe herauszufordern und engliſche Intereſſen auf
dem Altar der deutſchen Einheitsbeſtrebungen zu opfern, — die
weitere Frage, ob England dazu ohne andern continentalen Bei¬
ſtand als den einer in coburgiſche Wege geleiteten preußiſchen
Politik im Stande ſein würde — dieſe Fragen bis an's Ende
durchzudenken, fühlte niemand den Beruf, am allerwenigſten die
Fürſprecher derartiger Experimente. Die Phraſe und die Bereit¬
willigkeit, im Partei-Intereſſe jede Dummheit hinzunehmen, deckten
alle Lücken in dem windigen Bau der damaligen weſtmächtlichen
Hofnebenpolitik. Mit dieſen kindiſchen Utopien ſpielten ſich die
zweifellos klugen Köpfe der Bethmann-Hollwegſchen Partei als
Staatsmänner aus, hielten es für möglich, den Körper von ſechzig
Millionen Groß-Ruſſen in der europäiſchen Zukunft als ein caput
mortuum
zu behandeln, das man nach Belieben mißhandeln
könne, ohne daraus einen ſichern Bundesgenoſſen jedes zukünftigen
Feindes von Preußen zu machen und ohne Preußen in jedem fran¬
zöſiſchen Kriege zur Rückendeckung gegen Polen zu nöthigen, da
eine Polen befriedigende Auseinanderſetzung in den Provinzen
Preußen und Poſen und ſelbſt noch in Schleſien unmöglich iſt,
ohne den Beſtand Preußens aufzulöſen. Dieſe Politiker hielten
ſich damals nicht nur für weiſe, ſondern wurden in der liberalen
Preſſe als ſolche verehrt.

Von den Leiſtungen des Preußiſchen Wochenblatts iſt mir unter
andern eine in der Erinnerung geblieben, ein Memoire, das an¬
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[111/0138] Doppelſpiel der Wochenblattspartei. bezeichnete und ſpäter in Flugſchriften den Prinzen Albert als den gefährlichſten Gegner ſeiner befreienden Anſtrengungen denunciren ließ, von dieſen Hülfen wurde die Geſtaltung der deutſchen Zu¬ ſtände mit Sicherheit vorhergeſagt, welche ſpäter von der Armee des Königs Wilhelm auf den Schlachtfeldern erkämpft worden iſt. Die Frage, ob Palmerſton oder ein andrer engliſcher Miniſter geneigt ſein würde, Arm in Arm mit dem gothaiſirenden Liberalis¬ mus und mit der Fronde am preußiſchen Hofe Europa zu einem ungleichen Kampfe herauszufordern und engliſche Intereſſen auf dem Altar der deutſchen Einheitsbeſtrebungen zu opfern, — die weitere Frage, ob England dazu ohne andern continentalen Bei¬ ſtand als den einer in coburgiſche Wege geleiteten preußiſchen Politik im Stande ſein würde — dieſe Fragen bis an's Ende durchzudenken, fühlte niemand den Beruf, am allerwenigſten die Fürſprecher derartiger Experimente. Die Phraſe und die Bereit¬ willigkeit, im Partei-Intereſſe jede Dummheit hinzunehmen, deckten alle Lücken in dem windigen Bau der damaligen weſtmächtlichen Hofnebenpolitik. Mit dieſen kindiſchen Utopien ſpielten ſich die zweifellos klugen Köpfe der Bethmann-Hollwegſchen Partei als Staatsmänner aus, hielten es für möglich, den Körper von ſechzig Millionen Groß-Ruſſen in der europäiſchen Zukunft als ein caput mortuum zu behandeln, das man nach Belieben mißhandeln könne, ohne daraus einen ſichern Bundesgenoſſen jedes zukünftigen Feindes von Preußen zu machen und ohne Preußen in jedem fran¬ zöſiſchen Kriege zur Rückendeckung gegen Polen zu nöthigen, da eine Polen befriedigende Auseinanderſetzung in den Provinzen Preußen und Poſen und ſelbſt noch in Schleſien unmöglich iſt, ohne den Beſtand Preußens aufzulöſen. Dieſe Politiker hielten ſich damals nicht nur für weiſe, ſondern wurden in der liberalen Preſſe als ſolche verehrt. Von den Leiſtungen des Preußiſchen Wochenblatts iſt mir unter andern eine in der Erinnerung geblieben, ein Memoire, das an¬ geblich unter dem Kaiſer Nicolaus in dem Auswärtigen Amte in

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/138>, abgerufen am 23.11.2024.