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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.

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Fünftes Kapitel: Wochenblattspartei. Krimkrieg.
ist keine ultramontane der Hauptsache nach, wie es sich Se. Majestät
construirt, obschon sie den Ultramontanismus nach den Umständen
gebraucht; sie hat keine großen Pläne von Eroberungen im Orient,
obschon sie auch davon etwas mitnimmt; sie denkt auch nicht an
die deutsche Kaiserkrone. Alles das ist viel zu erhaben und wird nur
hin und wieder als Mittelchen zum Zweck benutzt. Die öster¬
reichische Politik ist eine Politik der Furcht, basirt auf die schwie¬
rige innere und äußere Lage in Italien, Ungarn, in den Finanzen,
in dem zerstörten Recht, in der Furcht vor Bonaparte, in der Angst
vor russischer Rache, auch in der Furcht vor Preußen, dem man
viel mehr Böses zutraut, als irgend Jemand je hier gedacht hat.
Meyendorff sagt: ,Mein Schwager Buol ist ein politischer Hunds¬
fott; er fürchtet jeden Krieg, aber allerdings mehr einen Krieg mit
Frankreich als mit Rußland.' Dieses Urtheil ist ganz richtig, und
diese Furcht ist das, was Oesterreich bestimmt. ...

Ich glaube, wenn man betrachtet, daß es immer ein gefähr¬
liches Ding ist, allein zu stehen, daß die Dinge hier im Lande so
sind, daß es auch gefährlich ist, sie auf die Spitze zu treiben; da
weder Manteuffel noch -- zuverlässig sind, so scheint es mir der
Klugheit angemessen, Oesterreich so weit als irgend möglich nach¬
zugehen. Ueber diese Möglichkeit hinaus liegt aber jede Allianz mit
Frankreich, die wir weder moralisch, noch finanziell, noch militärisch
vertragen können. Sie wäre unser Tod, wir verlören unsern Ruhm
von 1813-1815, von dem wir leben, wir würden den mit Recht
mistrauischen Alliirten Festungen einräumen, wir würden sie er¬
nähren müssen. Bonaparte l'elu de sept millions würde bald
einen König von Polen finden, der auf demselben Rechtstitel stände
und dem man mit Leichtigkeit die Wähler in beliebiger Anzahl
finden würde1). ...

Potsdam, den 4. Januar 1855.

... Ich glaube, daß wir einig sein würden, wenn Sie hier
wären, das heißt in dem was zu thun ist, wenn auch nicht im

1) a. a. O. 203 ff.

Fünftes Kapitel: Wochenblattspartei. Krimkrieg.
iſt keine ultramontane der Hauptſache nach, wie es ſich Se. Majeſtät
conſtruirt, obſchon ſie den Ultramontanismus nach den Umſtänden
gebraucht; ſie hat keine großen Pläne von Eroberungen im Orient,
obſchon ſie auch davon etwas mitnimmt; ſie denkt auch nicht an
die deutſche Kaiſerkrone. Alles das iſt viel zu erhaben und wird nur
hin und wieder als Mittelchen zum Zweck benutzt. Die öſter¬
reichiſche Politik iſt eine Politik der Furcht, baſirt auf die ſchwie¬
rige innere und äußere Lage in Italien, Ungarn, in den Finanzen,
in dem zerſtörten Recht, in der Furcht vor Bonaparte, in der Angſt
vor ruſſiſcher Rache, auch in der Furcht vor Preußen, dem man
viel mehr Böſes zutraut, als irgend Jemand je hier gedacht hat.
Meyendorff ſagt: ‚Mein Schwager Buol iſt ein politiſcher Hunds¬
fott; er fürchtet jeden Krieg, aber allerdings mehr einen Krieg mit
Frankreich als mit Rußland.‘ Dieſes Urtheil iſt ganz richtig, und
dieſe Furcht iſt das, was Oeſterreich beſtimmt. ...

Ich glaube, wenn man betrachtet, daß es immer ein gefähr¬
liches Ding iſt, allein zu ſtehen, daß die Dinge hier im Lande ſo
ſind, daß es auch gefährlich iſt, ſie auf die Spitze zu treiben; da
weder Manteuffel noch — zuverläſſig ſind, ſo ſcheint es mir der
Klugheit angemeſſen, Oeſterreich ſo weit als irgend möglich nach¬
zugehen. Ueber dieſe Möglichkeit hinaus liegt aber jede Allianz mit
Frankreich, die wir weder moraliſch, noch finanziell, noch militäriſch
vertragen können. Sie wäre unſer Tod, wir verlören unſern Ruhm
von 1813–1815, von dem wir leben, wir würden den mit Recht
mistrauiſchen Alliirten Feſtungen einräumen, wir würden ſie er¬
nähren müſſen. Bonaparte l'élu de sept millions würde bald
einen König von Polen finden, der auf demſelben Rechtstitel ſtände
und dem man mit Leichtigkeit die Wähler in beliebiger Anzahl
finden würde1). ...

Potsdam, den 4. Januar 1855.

... Ich glaube, daß wir einig ſein würden, wenn Sie hier
wären, das heißt in dem was zu thun iſt, wenn auch nicht im

1) a. a. O. 203 ff.
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[106/0133] Fünftes Kapitel: Wochenblattspartei. Krimkrieg. iſt keine ultramontane der Hauptſache nach, wie es ſich Se. Majeſtät conſtruirt, obſchon ſie den Ultramontanismus nach den Umſtänden gebraucht; ſie hat keine großen Pläne von Eroberungen im Orient, obſchon ſie auch davon etwas mitnimmt; ſie denkt auch nicht an die deutſche Kaiſerkrone. Alles das iſt viel zu erhaben und wird nur hin und wieder als Mittelchen zum Zweck benutzt. Die öſter¬ reichiſche Politik iſt eine Politik der Furcht, baſirt auf die ſchwie¬ rige innere und äußere Lage in Italien, Ungarn, in den Finanzen, in dem zerſtörten Recht, in der Furcht vor Bonaparte, in der Angſt vor ruſſiſcher Rache, auch in der Furcht vor Preußen, dem man viel mehr Böſes zutraut, als irgend Jemand je hier gedacht hat. Meyendorff ſagt: ‚Mein Schwager Buol iſt ein politiſcher Hunds¬ fott; er fürchtet jeden Krieg, aber allerdings mehr einen Krieg mit Frankreich als mit Rußland.‘ Dieſes Urtheil iſt ganz richtig, und dieſe Furcht iſt das, was Oeſterreich beſtimmt. ... Ich glaube, wenn man betrachtet, daß es immer ein gefähr¬ liches Ding iſt, allein zu ſtehen, daß die Dinge hier im Lande ſo ſind, daß es auch gefährlich iſt, ſie auf die Spitze zu treiben; da weder Manteuffel noch — zuverläſſig ſind, ſo ſcheint es mir der Klugheit angemeſſen, Oeſterreich ſo weit als irgend möglich nach¬ zugehen. Ueber dieſe Möglichkeit hinaus liegt aber jede Allianz mit Frankreich, die wir weder moraliſch, noch finanziell, noch militäriſch vertragen können. Sie wäre unſer Tod, wir verlören unſern Ruhm von 1813–1815, von dem wir leben, wir würden den mit Recht mistrauiſchen Alliirten Feſtungen einräumen, wir würden ſie er¬ nähren müſſen. Bonaparte l'élu de sept millions würde bald einen König von Polen finden, der auf demſelben Rechtstitel ſtände und dem man mit Leichtigkeit die Wähler in beliebiger Anzahl finden würde 1). ... Potsdam, den 4. Januar 1855. ... Ich glaube, daß wir einig ſein würden, wenn Sie hier wären, das heißt in dem was zu thun iſt, wenn auch nicht im 1) a. a. O. 203 ff.

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/133>, abgerufen am 27.11.2024.