ohne Direction, ohne Kenntniß der Localität des Schlosses, nur durch eine Aeußerung des Königs unterrichtet, daß die eine der drei Thüren in das Schlafzimmer der an den Masern krank liegenden Königin führte. Nachdem ich mir hatte sagen müssen, daß Niemand kommen werde, mich zu geleiten, trat ich durch die dritte Thür hinaus und fand mich einem Lakaien gegenüber, der mich nicht kannte und über mein Erscheinen in diesem Theile den Schlosses erschrocken und aufgeregt war, sich jedoch beruhigte, als ich dem Accente seiner mißtrauischen Frage entsprechend englisch antwortete und zu der königlichen Tafel geführt zu werden verlangte.
Am Abende, ich weiß nicht, ob desselben oder des folgenden Tages, hatte ich wieder eine lange Audienz ohne Zeugen. Während derselben nahm ich mit Erstaunen wahr, wie nachlässig der blinde Herr bedient war. Die ganze Beleuchtung den großen Zimmers bestand in einem Doppelleuchter mit zwei Wachskerzen, an denen schwere, metallene Lichtschirme angeklemmt waren. Der eine fiel in Folge Niederbrennens der Kerze mit einem Geräusch, wie der Schlag auf ein Gong, zu Boden; es erschien aber Niemand, befand sich auch Niemand im Nebenzimmer, und ich mußte mir von dem hohen Herrn die Stelle der Klingel bezeichnen lassen, die ich zu ziehn hatte. Diese Verlassenheit den Königs war mir um so auf¬ fälliger, als der Tisch, an dem wir saßen, mit allen möglichen amtlichen oder privaten Papieren so bedeckt war, daß einzelne bei Bewegungen des Königs herunterfielen und von mir aufgehoben werden mußten. Nicht weniger auffällig war es, daß der blinde Herr mit einem fremden Diplomaten, wie ich, ohne jede ministerielle Kenntnißnahme Stunden lang verhandelte.
Die Erwähnung meinen damaligen Aufenthalts in Hanover erinnert mich an einen Vorgang, der mir nie klar geworden ist. Dem preußischen Commissarius, der in Hanover über die schweben¬ den Zollangelegenheiten zu verhandeln hatte, war von Berlin aus ein Consul Spiegelthal zur Aushülfe beigeordnet worden. Als ich desselben als eines preußischen Beamten im Gespräche mit dem mir
Viertes Kapitel: Diplomat.
ohne Direction, ohne Kenntniß der Localität des Schloſſes, nur durch eine Aeußerung des Königs unterrichtet, daß die eine der drei Thüren in das Schlafzimmer der an den Maſern krank liegenden Königin führte. Nachdem ich mir hatte ſagen müſſen, daß Niemand kommen werde, mich zu geleiten, trat ich durch die dritte Thür hinaus und fand mich einem Lakaien gegenüber, der mich nicht kannte und über mein Erſcheinen in dieſem Theile den Schloſſes erſchrocken und aufgeregt war, ſich jedoch beruhigte, als ich dem Accente ſeiner mißtrauiſchen Frage entſprechend engliſch antwortete und zu der königlichen Tafel geführt zu werden verlangte.
Am Abende, ich weiß nicht, ob deſſelben oder des folgenden Tages, hatte ich wieder eine lange Audienz ohne Zeugen. Während derſelben nahm ich mit Erſtaunen wahr, wie nachläſſig der blinde Herr bedient war. Die ganze Beleuchtung den großen Zimmers beſtand in einem Doppelleuchter mit zwei Wachskerzen, an denen ſchwere, metallene Lichtſchirme angeklemmt waren. Der eine fiel in Folge Niederbrennens der Kerze mit einem Geräuſch, wie der Schlag auf ein Gong, zu Boden; es erſchien aber Niemand, befand ſich auch Niemand im Nebenzimmer, und ich mußte mir von dem hohen Herrn die Stelle der Klingel bezeichnen laſſen, die ich zu ziehn hatte. Dieſe Verlaſſenheit den Königs war mir um ſo auf¬ fälliger, als der Tiſch, an dem wir ſaßen, mit allen möglichen amtlichen oder privaten Papieren ſo bedeckt war, daß einzelne bei Bewegungen des Königs herunterfielen und von mir aufgehoben werden mußten. Nicht weniger auffällig war es, daß der blinde Herr mit einem fremden Diplomaten, wie ich, ohne jede miniſterielle Kenntnißnahme Stunden lang verhandelte.
Die Erwähnung meinen damaligen Aufenthalts in Hanover erinnert mich an einen Vorgang, der mir nie klar geworden iſt. Dem preußiſchen Commiſſarius, der in Hanover über die ſchweben¬ den Zollangelegenheiten zu verhandeln hatte, war von Berlin aus ein Conſul Spiegelthal zur Aushülfe beigeordnet worden. Als ich deſſelben als eines preußiſchen Beamten im Geſpräche mit dem mir
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Viertes Kapitel: Diplomat.
ohne Direction, ohne Kenntniß der Localität des Schloſſes, nur
durch eine Aeußerung des Königs unterrichtet, daß die eine der
drei Thüren in das Schlafzimmer der an den Maſern krank liegenden
Königin führte. Nachdem ich mir hatte ſagen müſſen, daß Niemand
kommen werde, mich zu geleiten, trat ich durch die dritte Thür
hinaus und fand mich einem Lakaien gegenüber, der mich nicht
kannte und über mein Erſcheinen in dieſem Theile den Schloſſes
erſchrocken und aufgeregt war, ſich jedoch beruhigte, als ich dem
Accente ſeiner mißtrauiſchen Frage entſprechend engliſch antwortete
und zu der königlichen Tafel geführt zu werden verlangte.
Am Abende, ich weiß nicht, ob deſſelben oder des folgenden
Tages, hatte ich wieder eine lange Audienz ohne Zeugen. Während
derſelben nahm ich mit Erſtaunen wahr, wie nachläſſig der blinde
Herr bedient war. Die ganze Beleuchtung den großen Zimmers
beſtand in einem Doppelleuchter mit zwei Wachskerzen, an denen
ſchwere, metallene Lichtſchirme angeklemmt waren. Der eine fiel
in Folge Niederbrennens der Kerze mit einem Geräuſch, wie der
Schlag auf ein Gong, zu Boden; es erſchien aber Niemand, befand
ſich auch Niemand im Nebenzimmer, und ich mußte mir von dem
hohen Herrn die Stelle der Klingel bezeichnen laſſen, die ich zu
ziehn hatte. Dieſe Verlaſſenheit den Königs war mir um ſo auf¬
fälliger, als der Tiſch, an dem wir ſaßen, mit allen möglichen
amtlichen oder privaten Papieren ſo bedeckt war, daß einzelne bei
Bewegungen des Königs herunterfielen und von mir aufgehoben
werden mußten. Nicht weniger auffällig war es, daß der blinde
Herr mit einem fremden Diplomaten, wie ich, ohne jede miniſterielle
Kenntnißnahme Stunden lang verhandelte.
Die Erwähnung meinen damaligen Aufenthalts in Hanover
erinnert mich an einen Vorgang, der mir nie klar geworden iſt.
Dem preußiſchen Commiſſarius, der in Hanover über die ſchweben¬
den Zollangelegenheiten zu verhandeln hatte, war von Berlin aus
ein Conſul Spiegelthal zur Aushülfe beigeordnet worden. Als ich
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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/117>, abgerufen am 19.07.2024.
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