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Bierbaum, Otto Julius: Stilpe. Ein Roman aus der Froschperspektive. Berlin, 1897.

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Stilpe.
andern sagten, zu eingebildet war. In der That
hielt er sich für reichlich dreimal so gescheid wie
alle übrigen, wenn auch nicht gerade in den Fächern,
die auf dem Stundenplane standen.

Daß er sich auch in die spezifische Geheimkunst
der Knabeninstitute einführen ließ, bedarf nicht be¬
sonderer Erwähnung. Er übte sie aber noch ohne
jene Perspektive, die erst aus der Erkenntnis vom
Wesensunterschiede der Geschlechter erwächst. In¬
dessen: Es liegt in der Natur dieser bedenklichen Kunst,
daß sie den Hunger nach jener bedenklichen Erkennt¬
nis weckt. Oh, die Augen Willibalds damals!
Was wollten sie nur, daß sie zuweilen so weit
offen und starr waren, glühten und glosten, flackerten
und sich weiteten . . .?

Wirklich, meine werten Herren Pädagogen, es
genügt nicht, mensa abzufragen und den Jungens
auf den Zahn zu fühlen, ob der peloponnesische Krieg
fest sitzt, -- Sie müßten ihnen auch manchmal in die
Augen sehen. Sie, die Sie mit unfehlbarer Sicher¬
heit jedes Jota subscriptum aufstöbern, das zuviel
geschrieben wird, sehen Sie denn nicht, daß da
unten in diesem Auge ein häßlicher Wurm sitzt?
Umgotteswillen, rotten Sie diesen Wurm aus, Herr
Professor, er ist viel bedenklicher als zehn falsche

Stilpe.
andern ſagten, zu eingebildet war. In der That
hielt er ſich für reichlich dreimal ſo geſcheid wie
alle übrigen, wenn auch nicht gerade in den Fächern,
die auf dem Stundenplane ſtanden.

Daß er ſich auch in die ſpezifiſche Geheimkunſt
der Knabeninſtitute einführen ließ, bedarf nicht be¬
ſonderer Erwähnung. Er übte ſie aber noch ohne
jene Perſpektive, die erſt aus der Erkenntnis vom
Weſensunterſchiede der Geſchlechter erwächſt. In¬
deſſen: Es liegt in der Natur dieſer bedenklichen Kunſt,
daß ſie den Hunger nach jener bedenklichen Erkennt¬
nis weckt. Oh, die Augen Willibalds damals!
Was wollten ſie nur, daß ſie zuweilen ſo weit
offen und ſtarr waren, glühten und gloſten, flackerten
und ſich weiteten . . .?

Wirklich, meine werten Herren Pädagogen, es
genügt nicht, menſa abzufragen und den Jungens
auf den Zahn zu fühlen, ob der peloponneſiſche Krieg
feſt ſitzt, — Sie müßten ihnen auch manchmal in die
Augen ſehen. Sie, die Sie mit unfehlbarer Sicher¬
heit jedes Jota ſubſcriptum aufſtöbern, das zuviel
geſchrieben wird, ſehen Sie denn nicht, daß da
unten in dieſem Auge ein häßlicher Wurm ſitzt?
Umgotteswillen, rotten Sie dieſen Wurm aus, Herr
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[40/0054] Stilpe. andern ſagten, zu eingebildet war. In der That hielt er ſich für reichlich dreimal ſo geſcheid wie alle übrigen, wenn auch nicht gerade in den Fächern, die auf dem Stundenplane ſtanden. Daß er ſich auch in die ſpezifiſche Geheimkunſt der Knabeninſtitute einführen ließ, bedarf nicht be¬ ſonderer Erwähnung. Er übte ſie aber noch ohne jene Perſpektive, die erſt aus der Erkenntnis vom Weſensunterſchiede der Geſchlechter erwächſt. In¬ deſſen: Es liegt in der Natur dieſer bedenklichen Kunſt, daß ſie den Hunger nach jener bedenklichen Erkennt¬ nis weckt. Oh, die Augen Willibalds damals! Was wollten ſie nur, daß ſie zuweilen ſo weit offen und ſtarr waren, glühten und gloſten, flackerten und ſich weiteten . . .? Wirklich, meine werten Herren Pädagogen, es genügt nicht, menſa abzufragen und den Jungens auf den Zahn zu fühlen, ob der peloponneſiſche Krieg feſt ſitzt, — Sie müßten ihnen auch manchmal in die Augen ſehen. Sie, die Sie mit unfehlbarer Sicher¬ heit jedes Jota ſubſcriptum aufſtöbern, das zuviel geſchrieben wird, ſehen Sie denn nicht, daß da unten in dieſem Auge ein häßlicher Wurm ſitzt? Umgotteswillen, rotten Sie dieſen Wurm aus, Herr Profeſſor, er iſt viel bedenklicher als zehn falſche

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Zitationshilfe: Bierbaum, Otto Julius: Stilpe. Ein Roman aus der Froschperspektive. Berlin, 1897, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bierbaum_stilpe_1897/54>, abgerufen am 24.11.2024.