Bierbaum, Otto Julius: Stilpe. Ein Roman aus der Froschperspektive. Berlin, 1897.Viertes Buch, viertes Kapitel. bat um Verzeihung und ein Glas Gilka. Nachdemihm dies hinaufgereicht worden war und er es mit der Hast eines Verdurstenden hinuntergestürzt hatte, er¬ klärte er, nun wolle er auch nicht so sein und seinerseits etwas zum Besten geben. Und er be¬ gann im Schauerballadenstil sein Leben, das Leben des verkommenen Genies, herunterzusingen. Es war einfach grausig, sag ich euch, wie er O lockert eure steinernen Geberden! Ich bin ein Lump und ihr könnt Lumpe werden. Seht dieses Fleisch und schlotternde Gebein, Jetzt sauf ich Gilka und einst soff ich Wein. Nachdem er die Ballade zu Ende gesungen Viertes Buch, viertes Kapitel. bat um Verzeihung und ein Glas Gilka. Nachdemihm dies hinaufgereicht worden war und er es mit der Haſt eines Verdurſtenden hinuntergeſtürzt hatte, er¬ klärte er, nun wolle er auch nicht ſo ſein und ſeinerſeits etwas zum Beſten geben. Und er be¬ gann im Schauerballadenſtil ſein Leben, das Leben des verkommenen Genies, herunterzuſingen. Es war einfach grauſig, ſag ich euch, wie er O lockert eure ſteinernen Geberden! Ich bin ein Lump und ihr könnt Lumpe werden. Seht dieſes Fleiſch und ſchlotternde Gebein, Jetzt ſauf ich Gilka und einſt ſoff ich Wein. Nachdem er die Ballade zu Ende geſungen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0409" n="395"/><fw place="top" type="header">Viertes Buch, viertes Kapitel.<lb/></fw> bat um Verzeihung und ein Glas Gilka. Nachdem<lb/> ihm dies hinaufgereicht worden war und er es mit der<lb/> Haſt eines Verdurſtenden hinuntergeſtürzt hatte, er¬<lb/> klärte er, nun wolle er auch nicht ſo ſein und<lb/> ſeinerſeits etwas zum Beſten geben. Und er be¬<lb/> gann im Schauerballadenſtil ſein Leben, das Leben<lb/> des verkommenen Genies, herunterzuſingen.</p><lb/> <p>Es war einfach grauſig, ſag ich euch, wie er<lb/> immer ſich ſelber als zweite Perſon behandelte und<lb/> gleichſam mit dem Stocke auf ſich wies, wie die alten<lb/> Jahrmarktsmorithatenſänger auf die warnenden<lb/> Exempel. Dabei ſtellte er in großen Zügen wirk¬<lb/> lich ſein eigenes Leben dar, natürlich grotesk ver¬<lb/> zerrt und mit burlesken Beigaben. Aber ich habe<lb/> dieſes ſein Leben nie mit ſo greller Deutlichkeit<lb/> erkannt, wie während dieſer Ballade, die überdies<lb/> als parodiſtiſche Leiſtung ein Leckerbiſſen zu nennen<lb/> iſt. Am Schluſſe immer der Kehrreim:</p><lb/> <lg type="poem"> <l>O lockert eure ſteinernen Geberden!</l><lb/> <l>Ich bin ein Lump und ihr könnt Lumpe werden.</l><lb/> <l>Seht dieſes Fleiſch und ſchlotternde Gebein,</l><lb/> <l>Jetzt ſauf ich Gilka und einſt ſoff ich Wein.</l><lb/> </lg> <p>Nachdem er die Ballade zu Ende geſungen<lb/> hatte, trat er unter johlendem Beifall ab. Der<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [395/0409]
Viertes Buch, viertes Kapitel.
bat um Verzeihung und ein Glas Gilka. Nachdem
ihm dies hinaufgereicht worden war und er es mit der
Haſt eines Verdurſtenden hinuntergeſtürzt hatte, er¬
klärte er, nun wolle er auch nicht ſo ſein und
ſeinerſeits etwas zum Beſten geben. Und er be¬
gann im Schauerballadenſtil ſein Leben, das Leben
des verkommenen Genies, herunterzuſingen.
Es war einfach grauſig, ſag ich euch, wie er
immer ſich ſelber als zweite Perſon behandelte und
gleichſam mit dem Stocke auf ſich wies, wie die alten
Jahrmarktsmorithatenſänger auf die warnenden
Exempel. Dabei ſtellte er in großen Zügen wirk¬
lich ſein eigenes Leben dar, natürlich grotesk ver¬
zerrt und mit burlesken Beigaben. Aber ich habe
dieſes ſein Leben nie mit ſo greller Deutlichkeit
erkannt, wie während dieſer Ballade, die überdies
als parodiſtiſche Leiſtung ein Leckerbiſſen zu nennen
iſt. Am Schluſſe immer der Kehrreim:
O lockert eure ſteinernen Geberden!
Ich bin ein Lump und ihr könnt Lumpe werden.
Seht dieſes Fleiſch und ſchlotternde Gebein,
Jetzt ſauf ich Gilka und einſt ſoff ich Wein.
Nachdem er die Ballade zu Ende geſungen
hatte, trat er unter johlendem Beifall ab. Der
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