bat um Verzeihung und ein Glas Gilka. Nachdem ihm dies hinaufgereicht worden war und er es mit der Hast eines Verdurstenden hinuntergestürzt hatte, er¬ klärte er, nun wolle er auch nicht so sein und seinerseits etwas zum Besten geben. Und er be¬ gann im Schauerballadenstil sein Leben, das Leben des verkommenen Genies, herunterzusingen.
Es war einfach grausig, sag ich euch, wie er immer sich selber als zweite Person behandelte und gleichsam mit dem Stocke auf sich wies, wie die alten Jahrmarktsmorithatensänger auf die warnenden Exempel. Dabei stellte er in großen Zügen wirk¬ lich sein eigenes Leben dar, natürlich grotesk ver¬ zerrt und mit burlesken Beigaben. Aber ich habe dieses sein Leben nie mit so greller Deutlichkeit erkannt, wie während dieser Ballade, die überdies als parodistische Leistung ein Leckerbissen zu nennen ist. Am Schlusse immer der Kehrreim:
O lockert eure steinernen Geberden! Ich bin ein Lump und ihr könnt Lumpe werden. Seht dieses Fleisch und schlotternde Gebein, Jetzt sauf ich Gilka und einst soff ich Wein.
Nachdem er die Ballade zu Ende gesungen hatte, trat er unter johlendem Beifall ab. Der
Viertes Buch, viertes Kapitel.
bat um Verzeihung und ein Glas Gilka. Nachdem ihm dies hinaufgereicht worden war und er es mit der Haſt eines Verdurſtenden hinuntergeſtürzt hatte, er¬ klärte er, nun wolle er auch nicht ſo ſein und ſeinerſeits etwas zum Beſten geben. Und er be¬ gann im Schauerballadenſtil ſein Leben, das Leben des verkommenen Genies, herunterzuſingen.
Es war einfach grauſig, ſag ich euch, wie er immer ſich ſelber als zweite Perſon behandelte und gleichſam mit dem Stocke auf ſich wies, wie die alten Jahrmarktsmorithatenſänger auf die warnenden Exempel. Dabei ſtellte er in großen Zügen wirk¬ lich ſein eigenes Leben dar, natürlich grotesk ver¬ zerrt und mit burlesken Beigaben. Aber ich habe dieſes ſein Leben nie mit ſo greller Deutlichkeit erkannt, wie während dieſer Ballade, die überdies als parodiſtiſche Leiſtung ein Leckerbiſſen zu nennen iſt. Am Schluſſe immer der Kehrreim:
O lockert eure ſteinernen Geberden! Ich bin ein Lump und ihr könnt Lumpe werden. Seht dieſes Fleiſch und ſchlotternde Gebein, Jetzt ſauf ich Gilka und einſt ſoff ich Wein.
Nachdem er die Ballade zu Ende geſungen hatte, trat er unter johlendem Beifall ab. Der
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0409"n="395"/><fwplace="top"type="header">Viertes Buch, viertes Kapitel.<lb/></fw> bat um Verzeihung und ein Glas Gilka. Nachdem<lb/>
ihm dies hinaufgereicht worden war und er es mit der<lb/>
Haſt eines Verdurſtenden hinuntergeſtürzt hatte, er¬<lb/>
klärte er, nun wolle er auch nicht ſo ſein und<lb/>ſeinerſeits etwas zum Beſten geben. Und er be¬<lb/>
gann im Schauerballadenſtil ſein Leben, das Leben<lb/>
des verkommenen Genies, herunterzuſingen.</p><lb/><p>Es war einfach grauſig, ſag ich euch, wie er<lb/>
immer ſich ſelber als zweite Perſon behandelte und<lb/>
gleichſam mit dem Stocke auf ſich wies, wie die alten<lb/>
Jahrmarktsmorithatenſänger auf die warnenden<lb/>
Exempel. Dabei ſtellte er in großen Zügen wirk¬<lb/>
lich ſein eigenes Leben dar, natürlich grotesk ver¬<lb/>
zerrt und mit burlesken Beigaben. Aber ich habe<lb/>
dieſes ſein Leben nie mit ſo greller Deutlichkeit<lb/>
erkannt, wie während dieſer Ballade, die überdies<lb/>
als parodiſtiſche Leiſtung ein Leckerbiſſen zu nennen<lb/>
iſt. Am Schluſſe immer der Kehrreim:</p><lb/><lgtype="poem"><l>O lockert eure ſteinernen Geberden!</l><lb/><l>Ich bin ein Lump und ihr könnt Lumpe werden.</l><lb/><l>Seht dieſes Fleiſch und ſchlotternde Gebein,</l><lb/><l>Jetzt ſauf ich Gilka und einſt ſoff ich Wein.</l><lb/></lg><p>Nachdem er die Ballade zu Ende geſungen<lb/>
hatte, trat er unter johlendem Beifall ab. Der<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[395/0409]
Viertes Buch, viertes Kapitel.
bat um Verzeihung und ein Glas Gilka. Nachdem
ihm dies hinaufgereicht worden war und er es mit der
Haſt eines Verdurſtenden hinuntergeſtürzt hatte, er¬
klärte er, nun wolle er auch nicht ſo ſein und
ſeinerſeits etwas zum Beſten geben. Und er be¬
gann im Schauerballadenſtil ſein Leben, das Leben
des verkommenen Genies, herunterzuſingen.
Es war einfach grauſig, ſag ich euch, wie er
immer ſich ſelber als zweite Perſon behandelte und
gleichſam mit dem Stocke auf ſich wies, wie die alten
Jahrmarktsmorithatenſänger auf die warnenden
Exempel. Dabei ſtellte er in großen Zügen wirk¬
lich ſein eigenes Leben dar, natürlich grotesk ver¬
zerrt und mit burlesken Beigaben. Aber ich habe
dieſes ſein Leben nie mit ſo greller Deutlichkeit
erkannt, wie während dieſer Ballade, die überdies
als parodiſtiſche Leiſtung ein Leckerbiſſen zu nennen
iſt. Am Schluſſe immer der Kehrreim:
O lockert eure ſteinernen Geberden!
Ich bin ein Lump und ihr könnt Lumpe werden.
Seht dieſes Fleiſch und ſchlotternde Gebein,
Jetzt ſauf ich Gilka und einſt ſoff ich Wein.
Nachdem er die Ballade zu Ende geſungen
hatte, trat er unter johlendem Beifall ab. Der
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Bierbaum, Otto Julius: Stilpe. Ein Roman aus der Froschperspektive. Berlin, 1897, S. 395. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bierbaum_stilpe_1897/409>, abgerufen am 17.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.