den Augenblicken der Klarheit, wenn der Alkohol versagt, sehr unglücklich dabei sein.
Deshalb gab ich mir Mühe, seiner habhaft zu werden. Aber es gelang mir lange Zeit nicht. So lange er Geld hatte, wohnte er, wenn er in Berlin war, bald in diesem, bald in jenem Hotel, und häufig war er offenbar von Berlin abwesend, viel¬ leicht an den Orten, wo die eine oder andere seiner Favoritinnen gerade ein Engagement an einem Tingeltangel hatte. Jetzt aber haben ihn die Fa¬ voritinnen ganz ausgezogen, und -- er hat selber ein Engagement an einem Tingeltangel hier.
Ich erfuhr, daß er in einem der kleinen Chantants draußen in Berlin N., wo die Chausseestraße an¬ fängt, als Komiker auftrete, und ich beschloß sofort den nächsten Abend zu einem Besuche in diesem Lokal, das sich Zum Nordlicht nennt, zu be¬ nutzen.
Das Milieu brauche ich euch nicht zu schildern; ihr kennt es aus eigener Erfahrung und aus den Novellen der ersten Periode unsres deutschen Naturalismus. Ich muß sagen: Mit einer wahren Angst sah ich dem Auftreten Stilpes auf dieser Bühne entgegen, auf der sich im Übrigen nur Chansonetten letzten Ranges produzierten. Au,
Stilpe.
den Augenblicken der Klarheit, wenn der Alkohol verſagt, ſehr unglücklich dabei ſein.
Deshalb gab ich mir Mühe, ſeiner habhaft zu werden. Aber es gelang mir lange Zeit nicht. So lange er Geld hatte, wohnte er, wenn er in Berlin war, bald in dieſem, bald in jenem Hôtel, und häufig war er offenbar von Berlin abweſend, viel¬ leicht an den Orten, wo die eine oder andere ſeiner Favoritinnen gerade ein Engagement an einem Tingeltangel hatte. Jetzt aber haben ihn die Fa¬ voritinnen ganz ausgezogen, und — er hat ſelber ein Engagement an einem Tingeltangel hier.
Ich erfuhr, daß er in einem der kleinen Chantants draußen in Berlin N., wo die Chauſſeeſtraße an¬ fängt, als Komiker auftrete, und ich beſchloß ſofort den nächſten Abend zu einem Beſuche in dieſem Lokal, das ſich Zum Nordlicht nennt, zu be¬ nutzen.
Das Milieu brauche ich euch nicht zu ſchildern; ihr kennt es aus eigener Erfahrung und aus den Novellen der erſten Periode unſres deutſchen Naturalismus. Ich muß ſagen: Mit einer wahren Angſt ſah ich dem Auftreten Stilpes auf dieſer Bühne entgegen, auf der ſich im Übrigen nur Chanſonetten letzten Ranges produzierten. Au,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0404"n="390"/><fwplace="top"type="header">Stilpe.<lb/></fw> den Augenblicken der Klarheit, wenn der Alkohol<lb/>
verſagt, ſehr unglücklich dabei ſein.</p><lb/><p>Deshalb gab ich mir Mühe, ſeiner habhaft zu<lb/>
werden. Aber es gelang mir lange Zeit nicht. So<lb/>
lange er Geld hatte, wohnte er, wenn er in Berlin<lb/>
war, bald in dieſem, bald in jenem H<hirendition="#aq">ô</hi>tel, und<lb/>
häufig war er offenbar von Berlin abweſend, viel¬<lb/>
leicht an den Orten, wo die eine oder andere ſeiner<lb/>
Favoritinnen gerade ein Engagement an einem<lb/>
Tingeltangel hatte. Jetzt aber haben ihn die Fa¬<lb/>
voritinnen ganz ausgezogen, und — er hat ſelber<lb/>
ein Engagement an einem Tingeltangel hier.</p><lb/><p>Ich erfuhr, daß er in einem der kleinen Chantants<lb/>
draußen in Berlin <hirendition="#aq">N</hi>., wo die Chauſſeeſtraße an¬<lb/>
fängt, als Komiker auftrete, und ich beſchloß ſofort<lb/>
den nächſten Abend zu einem Beſuche in dieſem<lb/>
Lokal, das ſich Zum Nordlicht nennt, zu be¬<lb/>
nutzen.</p><lb/><p>Das Milieu brauche ich euch nicht zu ſchildern;<lb/>
ihr kennt es aus eigener Erfahrung und aus den<lb/>
Novellen der erſten Periode unſres deutſchen<lb/>
Naturalismus. Ich muß ſagen: Mit einer wahren<lb/>
Angſt ſah ich dem Auftreten Stilpes auf dieſer<lb/>
Bühne entgegen, auf der ſich im Übrigen nur<lb/>
Chanſonetten letzten Ranges produzierten. Au,<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[390/0404]
Stilpe.
den Augenblicken der Klarheit, wenn der Alkohol
verſagt, ſehr unglücklich dabei ſein.
Deshalb gab ich mir Mühe, ſeiner habhaft zu
werden. Aber es gelang mir lange Zeit nicht. So
lange er Geld hatte, wohnte er, wenn er in Berlin
war, bald in dieſem, bald in jenem Hôtel, und
häufig war er offenbar von Berlin abweſend, viel¬
leicht an den Orten, wo die eine oder andere ſeiner
Favoritinnen gerade ein Engagement an einem
Tingeltangel hatte. Jetzt aber haben ihn die Fa¬
voritinnen ganz ausgezogen, und — er hat ſelber
ein Engagement an einem Tingeltangel hier.
Ich erfuhr, daß er in einem der kleinen Chantants
draußen in Berlin N., wo die Chauſſeeſtraße an¬
fängt, als Komiker auftrete, und ich beſchloß ſofort
den nächſten Abend zu einem Beſuche in dieſem
Lokal, das ſich Zum Nordlicht nennt, zu be¬
nutzen.
Das Milieu brauche ich euch nicht zu ſchildern;
ihr kennt es aus eigener Erfahrung und aus den
Novellen der erſten Periode unſres deutſchen
Naturalismus. Ich muß ſagen: Mit einer wahren
Angſt ſah ich dem Auftreten Stilpes auf dieſer
Bühne entgegen, auf der ſich im Übrigen nur
Chanſonetten letzten Ranges produzierten. Au,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Bierbaum, Otto Julius: Stilpe. Ein Roman aus der Froschperspektive. Berlin, 1897, S. 390. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bierbaum_stilpe_1897/404>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.